Thema: Altdeutschland Bayern: Briefe erklären
bayern klassisch Am: 18.01.2023 10:38:29 Gelesen: 68884# 884@  
Liebe Freunde,

wer Contraventionen sammelt, freut sich über krumme Hunde, denn sie sind die Basis einer solchen Sammlung.

Aber ich will auch gerne mal eine Lanze brechen für richtig Gemachtes, obwohl es sonst oft falsch gemacht wurde und solch ein Brief wurde in Fürth am 4.6.1875 vom dortigen Magistrat an das württembergische Amtsnotariat in Dizingen (heute: Ditzingen) verschickt mit dem Vermerk "Porto jenseits". Diesem Terminus technicus begegnen wir schon im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts bei portopflichtigen Dienstbriefen, also Partei-Sachen, wenn der Absender eine Behörde war, die für eine fremde Behörde = Empfänger eine Dienstleistung vollbracht hatte, die eine Partei (= ein Privater) im seinem Einzugsbereich benötigte.



In diesen Fällen war seit 1868 unter den Korrespondenzen der Vertragsstaaten ausgehandelt worden, dass auch bei einer unfrankierten Versenund nur die günstigen Frankotaxen in Anwendung zu kommen hatten, und es demnach keine Portozuschläge geben sollte (im Gegensatz zu Privatkorrespondenzen).

Als Fernbrief Fürth - Ditzingen hätte man also bei einer Firma 7 Kreuzer bis 1 Loth bzw. 15g notieren müssen, über 1-15 Loth bzw. 250g 11 Kreuzer.

Hier war aber nur die weitaus günstigere Frankotaxe anzusetzen, also bis 15g nur 3 Kreuzer, wie es die aufmerksame Aufgabepost auch tat und die das Amtsnotariat am Folgetag gerne bezahlte (danke für diesen Abschlag, lieber Ditzinger!).

Bei regulären Dienstbriefen hätte sich die Absenderbehörde oben frontseitig benennen müssen - hier schlug man nur das grün-blaue Dienstsiegel ab, siegelseitig drücke man ein Papiersiegel auf - diese Nicht-Benennung als Absenderbehörde kenne ich seit den späten 1860er Jahren, vor allem aus der Pfalz und sie kommt hier und da immer mehr in Mode, weil ein Stempelabschlag schneller von statten ging, als das Ausschreiben mit Feder und Tinte. Auf eine Genehmigung der Post für dieses Vorgehen bin ich aber nicht gestossen - aber wir wollen ja nicht meckern, so sieht es doch viel attraktiver aus.

Hätte man diesen Brief (leider ohne Inhalt) mit 7 Kreuzern taxiert, wäre bei richtiger Taxierung ein Portobrief der 2. Gewichtsstufe gewesen, oder bei falscher Taxierung (der Mehrheit mir bekannter Briefe) nur ein Brief der 1. Gewichtsstufe, aber ungerechtfertigterweise mit Portozuschlag.

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
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