Thema: Bund: Die fünfziger Jahre - Erfahrungsaustausch zum Sammeln in dieser Zeit
Bendix Gruenlich Am: 18.02.2023 13:53:47 Gelesen: 2858# 14@  
Ich möchte kurz auf die Anmerkung von Uli eingehen (Beitrag Nr. 3)

Anzahl der Sammler war klein: Hierzu gibt es eine Grafik, die hier im Forum unter dem Artikel „Aussichten der Philatelie“ veröffentlicht wurde.



https://www.philaseiten.de/cgi-bin/index.pl?ST=16469

Es gab in den 1950ern genau so viele organisierter Sammler wie heute. Die Steigerung bis 1980 waren rasch und enorm. Ich behaupte aber, nach dem Lesen der Beiträge unserer Kollegen, dass die Dunkelziffer der nicht organisierten Sammler seinerzeit höher war (wie für mich z.B. die gut nachvollziehbare Schilderung von dem Schulhoftausch beweist). Um hier zu einer belastbaren wissenschaftlichen Aussage zu kommen, wären allerdings noch deutlich mehr Wortmeldungen und Zahlenmaterial (Stückzahlen der Versandstelle, Auflagen der Presse im Periodenvergleich etc.) erforderlich. Denn folgendes: zehntausende Feiern Straßenkarneval – aber nur wenige hundert sind tatsächlich Karnevalsvereinsmitglieder.

Aber Herr Gärtner hat in seinem Leitartikel dazu Schätzungen anderer Publikationen zitiert (wie die darauf kommen war nicht zu entnehmen) die von einer Relation von 4% organisierter Sammler vs. 96% unorganisierten ausgehen. Anders gesagt: man nimmt die Zahl der organisierten Sammler und multipliziert die mit dem Faktor 25, dann erhält man die Zahl aller Sammler.

Anfang der Fünfziger 20.000 x 25 = 1.000.000
Ende der Fünfziger 40.000 x 25 = 2.000.000
Anfang der Siebziger 60.000 x 25 = 3.000.000
 

Wenn die Auflage der frühen Fünfziger um die 5 Mio. gelegen hat, wird klar, wie da Druck durch die notwendigerweise steigende Nachfrage auf den Preis und die Katalognotierung kommt.

Auflage nicht gleich verkaufte Menge: ich bin durch fünfzehn Jahre Briefmarkenpresse und hier durchs Forum gegangen. Ich konnte keine Hinweise finden, dass dies im größeren Ausmaß (also systematisch) der Fall gewesen wäre. Wer hierzu belastbare Erkenntnisse hat (kein Hörensagen), sollte dieses Wissen gerne mit uns teilen.

Falz: Ich ziehe bei dem Thema immer die Augenbraue hoch, weil ich als Grafikfreund eher auf die Gestaltung und den historischen Hintergrund unsere Schätze schaue. Das ist wohl eine Glaubensfrage.

Als Ketzer (auf den natürlich der Scheiterhaufen wartet) mache ich mich darüber immer lustig (…Gummifetischismus…). So soll bei einer ungestempelten Marke die Gummierung eine werterhöhende Wirkung haben. So die Gummierung bei einer gestempelten Marke vorhanden ist, wirkt dies aber nicht werterhöhend oder gar abwertend.

Aber mal zwei unpolemische Thesen dazu:

• In der Briefmarkenpresse der 1950-er war die Erhaltungsform postfrisch gem. meiner Stichprobe (Einblicknahme in die philatelistische Presse der Zeit) im gewerblichen Handel bereits Standard. Die Dinger müssen also in Privathand gekommen sein, und wer geglaubt hat, er würde die Sammlung für immer in seinem Besitz halten, hat zur Falz gegriffen (gerne Rückmeldungen zu dieser These, wenn ich da falsch liege)

• Ich bin ja Kaufmann und weiß um die menschliche Schwäche der Gier (nach Geld) – da sind wir Kaufleute ganz nah am Pfarrer dran. Jetzt nehmen wir mal an, ihr habt Bestände gehortet, mit dem Ziel sie zu vermarkten. Was schreit man, um die private Konkurrenz auszuschalten und Nachfrage zu erzeugen: dass nur die von Euch anbietbare Qualität, die erstrebenswerte ist. Und dann muss der alte Schrott natürlich unbedingt gegen marktgängiges Material getauscht werden….so heizt man den Absatz an. Erfolgreich Wirtschaften heißt auch immer mit menschlichen Schwächen zu arbeiten, wir sind einfach nicht rational, auch wenn wir das immer glauben. Ist das Bedürfnis geweckt, muss es auch befriedigt werden und bekommt einen Preis.

Es ist ganz philatelietypisch, dass mit einer Qualitätsänderung schon immer der Absatz befördert wurde. Aktuell befinden wir uns ja in Zeiten abnehmender Nachfrage, was den Nutzen unserer gesamten Sammeltätigkeit in Frage stellt, wenn man den in Geldeinheiten zu messen versucht (….warum mache ich dass bloß….übrigens eine Frage, die sich Nicht-Briefmarkensammler seit Jahrzehnten stellen). Sind aktuell eine Menge Sammlungen auf den Markt, wird dann die Qualitätserwartung hochgeschraubt (…..nur mir lesbaren Vollstempel….reicht das noch nicht, nur in zeitlicher Nähe zum Ausgabetag….reicht immer noch nicht, dann auf nur auf echt gelaufenen….immer noch zu wenig, dann nur auf eingeschriebenen Bedarfs-Luftpostbriefen in die Südsee….usw. usw.). Das ist vollkommen menschlich, denn wir sind ja alle auf der Jagd und wollen den Jagderfolg auch vorweisen können.

Soviel für heute.

Ich werde in den nächsten Wochen mal über meine Eindrücke der Durchsicht der philatelistischen Presse der 1850-er berichten (wie ich das auch schon vor Monaten einmal versprochen habe).

Oha, da sehe ich, das wird ja ein Beitrag ohne Briefmarke und das in einem Briefmarkenforum – ob das aus Marketinggesichtspunkten ausreicht? Eher nicht.

Dann zeige ich mal zur Auflockerung eine kontrovers gestaltete Ausgabe - so ganz untypisch für das Jahrzehnt. Deren Gestaltung wurde jahrzehntelang, noch in den 1980-ern bekrittelt, (ganz gefährliche Diskussion, die oft unangenehm in Richtung „entartete Kunst“ ging, zumal die Ausgabe mal spekulativ teuer war, und man – um vollständig zu sein, bekanntlich ein überlebenswichtiges Kriterium – für etwas teuer bezahlen musste, was einem nicht gefiel).



Ich verändere mal die Perspektive; eine Ausgabe die den bösen Kohleabbau ehrt (ich kann den CO²-Ausstoß praktisch riechen)? Kann doch wohl kaum „woke“ sein…., darf man die Marken dann überhaupt besitzen (oder sollten die nicht besser verboten werden). Mit dieser Entscheidung lasse ich Euch aber jetzt wirklich alleine.
 

Quelle: www.philaseiten.de
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