Thema: Rohrpostbelege
cartaphilos Am: 11.12.2010 08:15:02 Gelesen: 1363571# 563@  
Kleine Gabe zum 3. Advent

Seit einiger Zeit befindet sich in meiner Sammlung ein Rohrpostumschlag DR RU 3. Gelaufen ist er ab Berlin SO 33 Gewerbe-Ausstellung, dies alles am 12/8 1896, Stunden 9-10 vormittags. Wie üblich zeigt der Stempel neben der Uhrzeitgruppe zwei Sternchen.



Nichts Besonderes also, da dieser Stempel zu den häufigsten Berliner Sonderstempeln der Klassik oder Semiklassik gehört und der auch auf Rohrpostsendungen recht häufig anzutreffen ist. Gibt es bei ebay schon mal für 30 Euronen auf ansehnlichen Belegen. Daneben sitzt auf der Vorderseite ein roter Numeratorstempel mit der Einstellung 2909, dessen Bedeutung unbekannt ist und womit hier um Aufklärung gebeten wird.

Auf der Rückseite trägt der Beleg als Ankunftsstempel den Sonderstempel des Gewerbeausstellungspostamtes mit dem Unterscheidungsbuchstaben „b“. Wenn Schmugglers Fazit vom 6.7.2009 [# 373] Bestand hat, wonach bisher kein Stempel der Gewerbeausstellung 1896 mit dem Unterscheidungsbuchstaben „b“ vorgelegen hat, dann dürfte dies der erste sein.



Weshalb aber kommt ein weiterer Stempel des Gewerbeausstellung offensichtlich als Ak-Stempel überhaupt auf die Rückseite des Umschlags?

Die Adresse hilft uns hier weiter. Der Umschlag ist adressiert: „An den Kaiserl. Unterleutnant z. See […] / Herrn Heinrich Hagenmeyer / Kaiserschiff / Ausstellung, Berlin.“

Ganz offensichtlich ist dieser Umschlag auf dem Gelände der Gewerbeausstellung selbst befördert worden. Das „Kaiserschiff“ war ein vom Lloyd nach dem Muster eines Schiffes vom Festland aus in die Spree hinausgebautes Bauwerk, das ganz offensichtlich einen Restaurationsbetrieb beinhaltete. Es gibt Berichte von Zeitungsreportern, die davon schreiben, daß sie beim Kaffee im Kaiserschiff sitzen und das Ausstellungstreiben beobachten. Auf zeitgenössischen Übersichtsplänen der Gewerbeausstellung sehen wir ein Objekt, das in der Form eines Schiffsrumpfes von Land aus in die Spree hineinragt. Auf einigen Plänen steht daneben lediglich die Bezeichnung „Lloyd-Dampfer“, auf anderen hingegen ist das gleiche Bauwerk als „Kaiserschiff“ bezeichnet. Hier zunächst der Übersichtplan.



Im Norden, dort wo das Ausstellungsgelände von der Spree begrenzt wird, finden wir dann auch das "Kaiserschiff":



Ebenfalls finden wir auf den Plänen selbstverständlich den schemenhaften Grundriß des Ausstellungspostamtes, das ca. 500 m Luftline vom "Kaiserschiff" entfernt lag.



Auf welchem Wege der Rohrpostbrief nun von Postamt an den Adressaten auf dem Kaiserschiff gelangt ist, ist bisher unklar. Angesichts der Bemühungen der Ausstellungsleitung, die wichtigsten Verkehrs- und Transportmittel vorzuführen, ist auch an einen partiellen Transport mit der Ausstellungseisenbahn zu denken oder gab es etwa eine Ausstellungsrohrpost? Aber dies steht alles nur im Bereich des Konjunktivs, denn schon die Betrachtung der Streckenführung der Ausstellungseisenbahn legt nahe, daß ein Zustellgang zu Fuß vom Postamt zum "Kaiserschiff" effizienter gewesen wäre.

Bemerkenswert ist jedoch, daß der Stempel mit dem Unterscheidungsbuchstaben „b“ hier als Ankunftsstempel benutzt wurde und – wie es aussieht – also nicht am Schalter im Einsatz war, sondern an einem Stempeltisch, an dem aufgelieferte oder weiterzuleitende Post gestempelt wurde. Die andere Möglichkeit wäre, daß dieser Stempel an einem anderen Schalter in Einsatz war, der nicht für die Annahme von Rohrpostsendungen vorgesehen war. Üblicherweise war dies bei den früheren Postämtern immer der Schalter 1, bei größeren Ämtern abwechselnd Schalter 1 und 2.

Rohrpostsendungen mußten zur Dokumentation der Laufzeit immer sofort gestempelt werden, was bedeutet, daß in der Regel ein Abschlag des am Schalter eingesetzten Stempels auf den Sendungen angebracht sein worden dürfte. Dies würde auch erklären, weshalb die Sonderstempel mit den Unterscheidungs-Buchstaben auf Rohrpostbelegen wahrscheinlich nicht als Aufgabestempel vorkommen, es sei denn, ein Beleg sei einmal durchgerutscht und wäre nachträglich bei der weiteren Postbearbeitung entwertet worden.
 
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