Thema: Rohrpostbelege
cartaphilos Am: 03.01.2011 00:03:12 Gelesen: 1360253# 591@  
@ Schmuggler [#246]

Und sowieso alle anderen auch:

Zuerst einmal allen ein schönes neues Jahr !



Mit genau den Funden von Rohrpostbelegen, von denen wir immer schon geträumt haben.

Wie wär's mit einer eingeschriebenen Rohrpost-Drucksache in München zum 4 + 15 + 40 = 59-Pfenning-Tarif bis zum 1.7.1954?

Oder das gleiche etwas später mit Rohrpost zum Flughafen aus Berlin zu 82 Pfenning?

Na ja, träumen wir weiter.

Nun aber Ernst komm her.

Schmuggler hat vor etlicher Zeit auf den Umstand hingewiesen, daß Rohrpostsendungen in Berlin seit ca. 1910 auch per Straßenbahn oder S-Bahn befördert werden konnten. Anbei nun ein Beleg, der am 6. November 1920 vom Haupttelegraphenamt per Straßenbahn nach Berlin-Neukölln befördert werden sollte. Zunächst die Vorderseite:



Das Telegramm wurde frühmorgens am 6. November 1920 in Bonn aufgegeben und über die Siemensleitung (von der Reichsppost gemietet) von Köln aus ans das HTA weitergeleitet. Um 8.50 Uhr fand die Ausfertigung im HTA durch Aufkleben der Tickerstreifen statt, doch keinen Rohrpoststempel des HTA finden wir hier, allerdings die mit Rötel handschriftlich angebrachte Rohrpost-Leitungsvorschrift "Nk", also Neukölln. Oben rechts ist dann der Rohrpoststempel von Neukölln, Stunde 11 Uhr abgeschlagen. Doch es ist vollkommen unklar, wie das Telegramm nach Neukölln gelangt ist, denn auf der Rückseite finden wir den Stempel:



" Wegen Einstellung des Straße[n-]
bahnverkehrs verzögert.
"

Einen derartigen Stempel meint offensichtlich auch Schmuggler, wenn er von Stempeln wegen "Verzögerung durch Straßenbahnbeförderung" schreibt. Können wir die Anbringung des Stempels auf der Rückseite so erklären, daß Rohrpostsendungen vom HTA üblicherweise auch mit der Straßenbahn befördert wurden und im Fall, daß die Straßenbahn versagte, ein entsprechender Verzögerungsvermerk auf der Rückseite angebracht wurde? Oder hat man im HTA, nachdem klar wurde, daß eine Beförderung mit der Rohrpost nicht möglich sein würde, auf den Abschlag des Rohrpoststempels verzichtet? und wie ist das Telegramm dann nach Neukölln geklangt? und vor allem: wo ist der Stempel angebracht worden, denn alle Logik spricht dafür, daß man diesen Stempel in Neukölln vorrätig hielt. Wir wissen darüber nicht viel, doch offensichtlich bedeutet die Ausfertigung des Telegramms im HTA um 8.50 Uhr und die Ankunft in Neukölln um 11 Uhr eine so große Zeitdifferenz, daß wir nicht mit einer normalen Beförderung rechnen können und folglich auch der Hinweis auf die Verzögerung angebracht werden mußte.

Nun bringt uns jedoch die Geschichte etwas von dem Hintergrund dieses Belegs und damit auch dem Verständnis näher: Am 6. November 1920 fand in Berlin ein Generalstreik der Arbeiter der Elektrizitätswerke statt, was zu einem weitgehenden Ausfall der mit Elektrizität betriebenen Transportmittel führte. In jedem Fall dürfte dazu auch die Straßenbahn gehört haben. Was es mit der Rohrpost an diesem Tag auf sich hatte, ist nicht bekannt, und ebensowenig ist bekannt, ob hier eventuell Ersatzgeneratoren zur Stromerzeugung eingesetzt wurden. In jedem Fall ging es an dem Tag drunter und drüber und die Post hat durch diesen interessanten Stempel eine Spur von den Folgen des allgemeinen gesellschaftlichen Geschehens auf diesem Beleg hinterlassen.

Es drängt sich hier eine Frage auf, die sich gleichfalls bei der Betrachtung der Verhältnisse in Hamburg und in München stellt: Wo hört die Rohrpostbeförderung auf und wo beginnt die Straßenbahnbeförderung? Wir wissen beispielsweise, daß in Hamburg Straßenbahnlinien zur Eilpost- und Telegrammbeförderung vom Postpavillon aus nach Wandsbeck ebenso unterwegs waren wie parallel dazu eine Rohrpostlinie betrieben wurde. Was kam also in den Postsack und was kam in die Röhre? Und welcher Stempel wurde beim Eingangspostamt auf der Sendung abgeschlagen? Und wenn der gleiche Stempel abgeschlagen wurde, was in Hamburg bei einzelnen Ämtern der Fall gewesen zu sein scheint, wie kann man dann Rohrpost- und Straßenbahnpostsendungen noch voneinander unterscheiden? Das gleiche gilt für den Anschluß Neuköllns an das HTA Berlin.

Fragen, Fragen, Fragen, die mit jedem ungewöhnlichen Beleg mehr werden.

Mit den besten Grüßen

telosgraphein007
 
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