Thema: Bund: Die fünfziger Jahre - Erfahrungsaustausch zum Sammeln in dieser Zeit
Bendix Gruenlich Am: 03.03.2024 13:10:23 Gelesen: 524# 27@  
@ Bendix Gruenlich [#17]
@ stampmix [#18]

Kriegsgefangenmarke

Den Hinweis von stampmix habe ich gerne aufgenommen und bei einem Besuch in der philatelistischen Bücherei in Wuppertal mal durch den Band durchgeblättert.

Natürlich war das Büchlein philatelieorientiert. Ich habe folgendes daraus mitgenommen:

• Der Grafiker war selbst in sowjetischer Kriegsgefangenschaft
• Der Autor (Reinhard Krüger) schreibt, es wäre seinerzeit um ca. 10.000 Restgefangene gegangen sein
• Auch Briefe von Bürgern zur Grafik wurden zitiert (wie üblich mit heterogenem Echo, in zwei Beispielen hat‘s gefallen, einer sah mal wieder ein totales Misslingen und gestalterischen Untergang des Abendlandes)
• Der Autor weist auch auf folgendes hin: auf der Marke wird von „Gefangenen“ gesprochen und nicht von „Kriegsgefangenen“. Daher soll sich die Marke auch auf die politischen Gefangenen in der DDR bezogen haben.
• Abgedruckt worden ist auch die Ministerankündigung zur Briefmarke.
• Dort wird ausdrücklich nur von Kriegsgefangenen gesprochen.
• In der Ankündigung wird auch die hohe Auflage erklärlich, denn die Marke ersetzte zeitweise die 10 Pfennig-Freimarke. Postämter, die 10 Pfennig-Freimarken bestellten, haben automatisch die Kriegsgefangenen-Marke erhalten
• Es gibt im Band umfangreiche grafische Beispiele für die Verwendung der Marke. Die DDR hat die Marke jedenfalls als Provokation (Kriegstreiberei, einseitig antisowjetisch) empfunden, Sendungen mit dieser Marke zurückgeschickt, oder die Briefe zugestellt, aber dann geschwärzt und / oder mit Gegenvignetten versehen.
• Ganz richtig fand ich, den Hinweis im Buch, dass in deutscher Gefangenschaft für sowjetische Kriegsgefangen die Todesrate bei 66% gelegen haben soll. Meiner Meinung nach ein schlimmes Kriegsverbrechen und eine Schande für Deutschland, erstaunlicherweise selten angesprochen (und von westdeutscher Seite philatelistisch nicht explizit gewürdigt).

Ich habe dann noch versucht zu recherchieren, was die Leute damals umgetrieben hat. Es war wohl so, dass viele Deutsche seinerzeit nicht begreifen konnten, dass die Verlustrate in sowjetischer Gefangenschaft 30% betragen hat, und wie ich vermutet habe, ihre Verwandten noch am Leben glaubten. Es gab eine Kriegsgefangenengedenkwoche mit Veranstaltungen, die (1952) 10 Mio. Menschen mobilisiert haben soll. Es gab eine zweiminütige amtliche Verkehrsstille und Arbeitsruhe.

Wer’s genau wissen will, kann online die Kabinettssitzungen der Fünfziger Jahre nachlesen (link unten). Ganz interessant: in der Öffentlichkeit sprach die westdeutsche Regierung von 1,5 Mio. ungeklärten Schicksalen und zehntausenden Verschleppten, ggü. der Militärregierung (Hohe Kommission) wurde von 0,3 Mio. zurückgehaltenen Kriegsgefangenen und 0,3 Mio. vermissten Zivilpersonen gesprochen.

Wieder mal einmal der Beweis, dass Briefmarken tiefgründiger sind, als mancher oberflächliche Betrachter meint.

Alles in allem ein ernstes Thema, das mir sogar etwas auf die Stimmung drückt. Daher für mich kein Wunder, dass viele weitere Ausgaben der Zeit eben friedlicheren und freundlichen Ausgabeanlässen gewidmet sind.

https://kabinettsprotokolle.bundesarchiv.de/protokoll/dfc28e3f-3862-4b3a-9a70-954ed0dfbe5c#Kd56-79b-472
 
Quelle: www.philaseiten.de
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