Thema: Rohrpostbelege
cartaphilos Am: 30.01.2011 11:27:36 Gelesen: 1354979# 611@  
Rohrpost Wien

Guten Morgen,

wenn ich es recht sehe, dann ist die Rohrpost Wien bislang nur selten Gegenstand unserer Diskussionen geworden. Anders ist dies in England, wo die Austrian Philatelic Society immerhin schon ein dreibändiges Handbuch der Wiener Rohrpost herausgebracht hat, das seinesgleichen in der Welt der Darstellung pneumatischer Postbeförderung sucht:







Da die Darstellungen der englischen Gesellschaft eigentlich alles erfassen, was sich in Wien bis 1945 im unterirdischen Postwesen abgespielt hat, ist hier nur noch die Zeit seit 1945 bis zur Einstellung der Rohrpost in Wien für den allgemeinen Publikumsverkehr von Interesse. Am 2. April 1956 stellte die Österreichische Post- und Telegraphenverwaltung den Rohrpostverkehr in Wien ein.

Bereits im Jahre 1950 war die Gesamtzahl der Sendungen auf 2 Millionen pro Jahr gesunken. Dies lag offensichtlich so weit unter der Grenze zur Wirtschaftlichkeit, daß man an die Preisgabe des Rohrpostverkehrs dachte. Mit dem 2. April 1956 war dann Schluß für den öffentlichen Rohrpostverkehr. Dennoch wurde die Rohrpost für den internen Verkehr weiter genutzt. Dies war eine paradoxe Situation: auf der einen Seite galt das System nicht mehr als wirtschaftlich, auf der anderen Seite wurde es intern weiterhin genutzt, und dies konnte angesichts der 'Unwirtschaftlichkeit' der Rohrpost nur unter Bezuschussung aus öffentlichem Haushalt geschehen. Die Begründung für die Einstellung der Rohrpost in Wien erscheint vor diesem Hintergrund also eher als fadenscheinig.

Wie dem auch sei: Das 'unwirtschaftliche' System der Rohrpost in Wien wurde nicht mehr aufrecht erhalten, um vor allem interne Sendungen rasch zu befördern. Dies entspricht etwa der Praxis in Berlin und in München seit dem 28. Februar 1963, wo weit über die Betriebszeit der öffentlich zugängigen Rohrpost hinaus deren Betrieb für interne Zwecke fortgesetzt wurde. In Wien jedoch wurde mit dem letzten Rohrpostzug am frühen Nachmittag des 2. April 1956 (es war ein Ostermontag) die Geschichte der Wiener Rohrpost beendet. Dieser letzte Zug startete um 13.25 Uhr ab PA 129 und endete in der Telegraphenzentralstation.

Wenn danach noch Rohrpoststempel auf Sendungen auftauchen, dann mit großer Wahrscheinlichkeit, weil sie weiterverwendet wurden, um die Transportleistungen des jetzt sofort eingerichteten postalischen Kurierdiestes zu dokumentieren.

Einen entsprechenden Fall erkennen wir in einem Orts-Eilbotenbrief vom 22. IX 1960. Die Sendung wurde am Donnerstag, den 22. IX 1960, Stunde 8 in der Telegraphenzentralstation von Wien aufgegeben



und dann von dort an das Bestimmungspostamt im 10. Bezirk weitergeleitet:



Der Rohrpoststempel von Wien 75 (10. Bezirk, Favoriten) ist dabei insofern bemerkenswert, als er aufgrund einer Fehleinstellung der Uhrzeit zwei mal abgeschlagen wurde. Der erste fehlerhafte Abschlag wurde dann mit einem schwarzen Stempel überstempelt (man kann noch knapp eine 8 darunter erkennen) und der richtige Abschlag danebengesetzt.

Bemerkenwert ist die dadurch dokumentierte, vergleichsweise lange Laufzeit des Briefes von der Telegrafenzentralstation Wien, die sich im Norden des 1. Bezirks befand, in den 10. Bezirk nur wenige Meter südlich des Margaretengürtels und nur durch den kleinen 4. Bezirk vom Zentrum getrennt.



So kommt es, daß dieser Eilbrief wohl wenigstens eine Stunde unterwegs war, eine Entfernung, die die Wiener Rohrpost bereits im Jahre 1892 in erheblich kürzerer Zeit durchmaß. So benötigte eine Rohrpostfahrt von der Telegrafenzentralstation zum Postamt Wieden - in der Nähe des Bestimmungsortes unserer Sendung - laut Fahrplan gerade einmal 19 Minuten. Von der Telegraphenzentralstationen bis nach Wien 75 Favoriten maß die Rohrpoststrecke ca. 5 km. Dafür muß man dann eben schon einmal mehr als eine Stunde Transportzeit mit dem Stadtkurier der Post in Kauf nehmen, falls er nicht gerade irgendwo zwischen Kärntner Ring, Margaretengürtel und Wiedener Hauptstraße im dichten Verkehr steckengeblieben ist. Doch auch 1960 noch hätte eine funktionierende Rohrpost dafür nur 15 Minuten gebraucht.
 
Quelle: www.philaseiten.de
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