Thema: Briefmarken als Kapitalanlage
drmoeller_neuss Am: 04.11.2011 17:02:29 Gelesen: 26475# 31@  
Lars hat nicht behauptet, mit Sammlern zu diskutieren, wäre sinnlos, sondern schreibt "Eine Diskussion mit Dir und Günther ist daher in meinen Augen sinnlos." Hier kann man Lars nur zustimmen.

Als jemand, der sich über zwanzig Jahre mit Bilanzen und Geldanlagen auseinander setzt, habe ich immer einen Grundsatz befolgt: Alles sofort verkaufen, wenn sich etwas nicht so entwickelt, wie man gedacht hat. Ein schlechtes "Investment" wird nicht besser, in dem man wartet.

Über die richtige Anlagestrategie kann man sich trefflich streiten, Lars fährt hier einen konservativen Kurs und bildet nur den DAX-Verlauf in seinem Depot ab (Stichwort: Schweinezyklus). Ich denke, antizyklisch fährt man besser, allerdings mit höherem Risiko.

Günther schreibt: Du willst den Sammlern einreden, Briefmarkensammeln sei die „Entsorgung“ überflüssigen Geldes. Mal abgesehen davon, daß sich jeder Sammler, der so etwas aus der „Feder“ eines führenden Vertreters seines Interessenverbands hört, sich für blöde gehalten fühlt - wo bleibt da die Moral.

Ja, alles was über die Erfüllung der physischen Grundbedürfnisse (Ernährung und einfache, wärmende Kleidung) hinausgeht, ist "Entsorgung überflüssigen Geldes". Warum habe ich eine Tageszeitung abonniert? In der Stadtbibliothek könnte ich sie umsonst lesen. Warum gehe ich in die Kneipe, meine physischen Grundbedürfnisse kann ich doch auch mit Wasser und Brot erfüllen?

Mir fällt da nur PolPot ein, der Despot aus Khmer, der diese Moral des "Steinzeitkommunismus" seinen Volk aufgedrückt hat, bis das Land von Vietnam befreit wurde. Selbst Nord-Korea steht seinem Volk hin und wieder etwas Vergnügen zu, zumindest dürfen Briefmarken gesammelt werden. Das war unter PolPot auch verboten.

Übrigens gab es auch immer wieder erfolglose Ansätze, Briefmarken als Investment zu sehen. In den 60er Jahren wurde das von einigen Banken propagiert, und zuletzt hat eine spanische Investmentgesellschaft die Preise für Europa-CEPT-Marken in schwindelerregende Höhen getrieben, bis das ganze Modell wie ein Kartenhaus zusammengebrochen ist. Mir ist zur Zeit kein institutionelles Produkt bekannt, dass auf Briefmarken als Anlageobjekt setzt.

Als gebildeter Sammler - damit komme ich auf Lars Argument zurück, bei "hochkarätigen Philatelisten in die Lehre zu gehen" - kannst Du natürlich günstig einkaufen. Damit nutzt Du aber nur Assymetrien in einem nicht vollkommenen Markt aus, wenn Du mehr als der Verkäufer weisst. Der Anbieter hat zum Beispiel im Gegensatz zu Dir als Käufer nicht den Plattenfehler oder den besonderen Stempel erkannt. Ich kenne einige Kollegen, die Stücke für wenige cent eingekauft und damit später auf Realauktionen einen guten Reibach gemacht haben.

Als Investment leiden Briefmarken unter den hohen Transaktionskosten. Wie andere Sachwerte (Teppiche, Kunstwerke) haben sie aber den Vorteil, "unauffällig" verschoben werden zu können. Dann kommt so mancher Mitbürger auf die Idee und rechnet: "Mein Enkel muss für zwar später beim Auktionator 20% verkaufsprovision abdrücken, um an sein Geld zu kommen, aber die spart er jetzt bei der Schenkungssteuer. Wenn ich mein Aktiendepot übertragen würde, kommt er zwar später leichter an sein Geld, aber verliert jetzt schon 20% an das Finanzamt, weil die Bank beim Fiskus petzen muss. Oder mein Nachbar St. Einreich, der sein Vermögen aus der Schweiz in Form von kleinen Briefmarken zurückgeholt hat, die er mit Hilfe von Kommissionären diskret bei verschiedenen Auktionshäusern eingekauft hatte. Natürlich hat der Zoll ihn an der deutschen Grenze gefilzt. Aber er hat nichts falsch gemacht, die Zöllner hatten ja nur nach Bargeld gefragt und gesucht, und St. Einreich hatte wirklich nur noch die paar Euros in seinem Portemonnaie."

Wir wollen aber ehrlich bleiben, und sammeln auch klassische Briefmarken nur unter dem Gesichtspunkt des Spassfaktors.

Und zum Thema Kataloge: die Preise sind nur ein kleiner unwichtiger Teil eines Kataloges. Der Rest ist Information über die Marken eines Sammelgebietes. Wer ausser dem Michel erzählt Dir denn, wieviel verschiedene Wasserzeichen und Zähnungen es von einer Ausgabe gibt?

Um die tatsächlichen Marktpreise zu ermitteln, braucht man keinen Katalog, sondern ein paar Suchbegriffe bei eBay. Über den Michel habe ich auch Kritik geübt, und ich habe mir jetzt den Scott zugelegt. Die Preisansätze sind dort tatsächlich realistischer. Ansonsten ist der Scott recht spartanisch, weswegen ich den Michel nach wie vor favorisiere. Man braucht nicht jedes Jahr einen neuen Katalog, wenn die Michel-Redaktion auch anderer Meinung ist, ganz einfach, weil sie davon leben muss. Die "Philatelie" hat sich übrigens auch schon über das Reichrechnen ausgelassen. Sammler wie Du müssten eigentlich vor den hohen Katalogpreisen gewarnt sein, wenn sie denn Mitglied im BDPh wären und die "Philatelie" lesen würden.
 
Quelle: www.philaseiten.de
https://www.philaseiten.de/thema/3717
https://www.philaseiten.de/beitrag/42140