Thema: Philatelie in der Presse
Richard Am: 21.03.2008 10:57:36 Gelesen: 1329812# 80@  
Hier der von Christoph entdeckte Beitrag

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Post schließt Filialen: Schwamm drüber, Stempel drauf!

Von Christian Mayer

Süddeutsche Zeitung (19.03.08) - Die gute, alte Post wird es so bald nicht mehr geben: Was wir verlieren, wenn wir unsere Päckchen im Supermarkt aufgeben müssen.

Das Fernmeldegebäude in Konstanz-Petershausen war ein mausgrauer Riegel. Das einzige Hochhaus der Kreisstadt, das diesen Namen verdiente, ein typisches Produkt der späten Sechziger-Jahre-Architektur. Oben auf dem Flachdach ragten Antennen in den Himmel, wahrscheinlich für den Funkverkehr zwischen dem Bodensee und dem Rest der Welt, jedenfalls wirkte der kühle Klotz von Konstanz wie ein verlorener Fremdkörper im Ensemble der Altbauten. Das Postamt befand sich im Erdgeschoss, alle übrigen Bediensteten, die etwa mit Telefonleitungen zu tun hatten oder mit antiken Fernkopierern operierten, machten in den Obergeschossen ihre Arbeit. Was ein Faxgerät war, wussten damals nur Spezialisten.

Es war geradezu lebensnotwendig, dass ein junger Briefmarkensammler so oft wie möglich das Fernmeldegebäude aufsuchen musste. Was da alles gemeldet wurde und vor allem, wer was zu melden hatte, war dem überzeugten Junior-Philatelisten nicht ganz klar. Sicher war nur: Die Deutsche Bundespost war kein reduzierter Servicepoint und keine ausgegliederte Filiale. Sie war ein Erlebnisort. Es roch hier nach Paketkleber, nach dicken, von zigtausend Fingern leicht angefeuchteten Telefonbüchern von A bis Z, die an einem Rohr befestigt waren. Im Sekundentakt hörte man das leise Klacken der Stempel. Wenn die Erinnerung nicht trügt, dann verkehrte man hier im Halbdunkeln: Aus unerfindlichen Gründen waren die Schachtelbüros hinter den Scheiben mit einem lamellenartigen Sichtschutz versehen - die Institution war bemüht, allzu grelle Effekte zu vermeiden.

Buddha am Schalter

Das Fernmeldegebäude in seiner Doppelfunktion als Post- und Telefonanbieter war eine Macht. Ein unverrückbarer Außenposten der größten bundesrepublikanischen Behörde. Hinter den Schaltern saßen Beamte im Neonlicht. Sie strahlten eine fast buddhistische Gelassenheit aus; würdevoll wie Tempeldiener thronten sie vor ihren Handbüchern. Ihre Erklärungen, warum man sich jetzt doch noch einmal am Nebenschalter um ein Einschreiben bemühen musste, also noch einmal in die Schlange einzureihen hatte, wurden vom Publikum ohne Murren akzeptiert. Auch das Fernmeldewesen kannte keine Hektik. Wer Anfang der siebziger Jahre in Konstanz einen Telefonanschluss beantragte, wartete bis zu zwei Jahre darauf. Im äußersten Notfall gab es ja das Telegramm.

Nur keine Eile: Das galt auch für die jugendlichen Briefmarkenfreunde. Wenn man Glück hatte, dann dauerte der Kauf mindestens eine halbe Stunde, weil vorne in der Reihe andere Sammler die begehrten Olympia-Wertzeichen oder die Wohlfahrtsmarken mit Märchenmotiven, mit Wald- und Wiesenblumen abholen wollten. Wohlfahrtsmarken! Das Wort muss man sich heute auf der Zunge zergehen lassen.

In jener versunkenen Epoche war auch die Frankierung eines Briefes eine ehrenvolle Tätigkeit. Wenn der Staatsdiener die Briefmarke vom Heft zupfte, wenn er sie am orangefarbenen Schwamm befeuchtete und auf den Bogen klebte, dann wusste man: Diese Nachricht wird ganz sicher ihren Weg gehen. Stempel drauf und weg! Allein diese Gewissheit war, für den Absender zumindest, ein Glücksmoment und alle Mühen wert.

Die alte Post, so wie sie vor ihrer Zerschlagung durch konservative Politiker existierte, war ein universaler Apparat, ein schwerfälliger Monopolist, aber im Vergleich zu den Nachfolgeunternehmen erstaunlich kundenfreundlich. An manchen Schaltern stand ein kleines Schild: "Alle Leistungen". Das war theoretisch ernst gemeint.

Ganz vorne hinter der Glastür im Foyer befand sich ein langer Metalltisch, an dem Geschäftsleute ihre Briefe sortierten, die in den Postfächern lagerten. Daneben konnte man sich in Telefonzellen mit dem Ausland verbinden lassen, und weiter hinten, unter einer großen Uhr, ließ man sich beim fachgerechten Verschnüren eines Pakets helfen. Betagte Kundinnen und zwölfjährige Sparer zückten ihr blaues Büchlein, um das Konto mit zehn oder 20 Mark aufzubessern. Auch die Postbeamten wussten immer, was zu tun war - und wie viel Wasser man morgens dem grünen Schwammbehälter beifügen musste, damit die Briefmarke richtig klebte.

Alles längst Geschichte. Im Internet-Zeitalter sind die meisten postalischen Angebote überflüssig geworden. Wer braucht noch Briefe, mal abgesehen von Abmahn-Anwälten und sehr altmodischen Liebhabern? Die Privatisierung der Bundespost hat aus stolzen Beamten flexible Mitarbeiter gemacht, die auf klapprigen Höckerchen sitzen. Die Deutsche Post, wie sie sich heute präsentiert, gleicht einer überdimensionierten Werbeagentur - überall liegen bunte Broschüren herum, der Kunde stolpert über Grußkartenständer und die polyglotten Versprechungen der DHL. Im "Direct Marketing Center" darf man laut Prospekt "exklusive Leistungen" erwarten, der Postcard-Besitzer freut sich über die "geballte Kompetenz" der verbliebenen Fachberater und die Annehmlichkeiten der virtuellen E-Filiale. Noch dicker kommt es für die Kunden der Postbank, die derzeit mit "Zinsjäger-Tarifen" geködert werden und dann zur Gruppe der "Quartal-Sparer" gehören.

Die Post verlässt ihren Posten

Die sprachliche Verhunzung der Zumwinkel-Post ist aber nur ein Ergebnis des Privatisierungswahns. Denn das globalisierte Unternehmen macht sich als lokaler Dienstleister nun endgültig selbst überflüssig. Die Post verlässt ihren Posten, sie löst sich in ihrer historischen Funktion also auf und überlässt anderen das Feld: Von 800 kleineren Filialen sollen 700 an private "Partner" abgegeben werden, sagt ein Konzernsprecher ohne jegliches Bedauern. Supermärkte, Bäckereien, Tankstellen und Lottoläden ersetzen dann noch stärker als bisher den Staat, beziehungsweise das, was von ihm übrig ist. Gelb vor Ärger werden manche Kunden sein, die künftig beim Kioskbesitzer stempeln gehen müssen.

Und was ist aus dem Fernmeldegebäude in Konstanz geworden? Es steht noch immer, ein überragendes Relikt der Vergangenheit. Es gibt tatsächlich noch eine Postfiliale im Erdgeschoss, die sich den Zeiten angepasst hat. Die Schlange vor dem Schalter ist immer noch so lange wie früher. In den oberen Stockwerken des Hochhauses sitzt inzwischen ein weltweit agierendes Pharmaunternehmen. Das bietet Mittel gegen alles an, gegen Sodbrennen, Vitaminmangel, Hämorrhoiden. Gegen Postverdruss helfen leider keine Pillen.

(Quelle: http://www.sueddeutsche.de/panorama/artikel/732/164270/)

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