Thema: Rohrpostbelege
cartaphilos Am: 09.01.2012 00:55:23 Gelesen: 1274532# 730@  
Ein - wenn auch verspätetes - schönes neues Jahr noch allen Freunden der pneumatischen Postbeförderung.

Womit beginnen wir das neue Jahr? Mit einem Knaller natürlich!

Ihr habt es gesehen: Es war eine RP26 bei ebay im Angebot. Etwas mehr als 700 Euro hat sie gekostet, leicht unklarer Rohrpoststempel von Steglitz 1 drauf. Das ist nun schon der dritte mir bekannte Beleg der RP26 aus Steglitz. Eine bemerkenswerte Häufung.

Das schöne an der Karte: Sie ist pickepackevoll mit alltagsweltlichem Bedarfstext beschrieben. Ein Akademiker aus Berlin-Dahlem - nicht wirklich weit von Berlin-Steglitz, um nicht zu sagen: Im Einzugsbereich, sobald man über Steglitz nach Dahlem kommen will (hab da mal gewohnt: vom Nachtkino im Steglitz zu Fuß nach Dahlem etwa 15 Minuten, mit weiblicher Begleitung, vor allem im Sommer, natürlich erheblich länger wegen der zahlreichen Parkanlagen und Bänke ;-) - tut dort sein Erleben von der letzten Nacht und den Bombenangriffen seiner Verwandtschaft weiter westlich in Peine bei Hannover kund.

Hier nun einmal die Vorderseite:



und der Wertstempel in Vergrößerung:



und jetzt auch noch die sensationell vollgeschriebene Rückseite:



Der Wehrmachtsbericht wird dies vielleicht bestätigen oder die Aufzeichnungen der hier angesprochenen us-amerikanischen, brandbombeninwohngebietewerfenden Allierten: Es handelt sich um keinen fiktiven Text, zumal er sehr konkret ist.

Zum Postgeschichtlichen: Wir 'wissen' alle, daß die Eilzustellung seit 1941 'aufgehoben' und daher eine portorichtige und bestimmungegemäße Verwendung der RP26 nicht mehr möglich war. Wohl aber ist eine portorichtige Verwendung als Rohrpost-Luftpost-Einschreibkarte in die nicht gebührenreduzierten Länder Europas (p.ex. Schweden) möglich gewesen. Daß die Eilzustellung im Gänze aufgehoben war, ist jedoch eine Legende, die sich per MICHEL-Ganzsachenkatalog als 'Wahrheit' ausgebreitet hat und mit jeder Neuauflage dieses Werks nicht wahrer wird. Tatsächlich wurde im Jahre 1941 nur "der Anspruch auf Eilzustellung" aufgehoben, während die Eilzustellung als solche immer noch möglich war. Erst im Amtsblatt 77 vom 14. August 1944 wird die Eilzustellung tatsächlich vollkommen aufgehoben.

So besitze ich ein Telegramm von 1943 nach Berlin, auf dem extra per Stempel angewiesen ist: "mit Boten zuzustellen." (Scan kommt später) Dazu kommen noch einige nicht mit Eilporti beklebte Eilsendungen - zur Zahlung der Eilzustellungsgebühren durch den Empfänger - vor allem aus dem annektierten Österreich ('Ostmark') bis 1943.

Und noch konkreter, was unsere gemeinsame Leidenschaft für die RP 26 betrifft, hier ein interessanter Beleg aus der phantasiereichen philatelistischen Belege-Manufaktur Walter Prell in Chemnitz. Dieser teilweise geniale Belegefummler (wenn er doch nur nicht immer diese schrecklichen Stempeladressen verwendet hätte!) kam auf die Idee, eine RP26 mit 1 Pf zuzufrankieren und am 12.1.1943 aus Den Haag "Durch Deutsche Dienstpost Den Haag" portorichtig (6 Pf Postkarte, 50 Pf Auslands-Eilboten) als auf Inlandsporto reduzierte Auslands-Rück-Antwortkarte nach Chemnitz mit ausführlichem Bericht von einer philatelistischen Veranstaltung dort zurückschicken zu lassen:



und die reichlich beschriebene Rückseite:



Was hier in erster Linie interessiert, ist die Tatsache, daß die Karte bei ihrer Ankunft in Chemnitz am 13. Januar 1943 vor der Zustellung durch einen Eilzusteller am Fernamt Chemnitz ganz offensichtlich den Stempel der FA-Chemnitz aufgedrückt bekam. Und vor allem: Auch der Eilzusteller mit dem Kreisstempel (17) brachte die Spuren und Zeichen seiner Tätigkeit auf dieser Karte an. Ergo (mag diese Karte auch nur philatelistisch gefummelt sein oder nicht): Eilzustellung gab's also doch, und zwar dort, wo sie, wie im Jahre 1941 festgelegt, aus personellen Gründen noch durchgeführt werden konnte, was hier zu Beginn des Jahres 1943 dann wenigstens noch in Chemnitz der Fall war.

Nicht also das Glaubensbekenntnis des MICHEL-Ganzsachen-Kataloges (an dessen Zustandekommen ich als Mitglied des BGSV ja auch wenigstens virtuell beteiligt bin) hinsichtlich der 'Abschaffung der Eilzustellung im Jahre 1941' ist maßgeblich, sondern die Vorschriften und die postgeschichtliche und postpraktische Realität.

So weit meine Neujahrsmeldung
Allen nur Gutes
und seltene und die schönsten Belege
 
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