Thema: Extreme Postlaufzeiten - immer schön langsam
drmoeller_neuss Am: 24.01.2012 20:22:58 Gelesen: 77571# 38@  
Bevor man pauschal auf die Postdienste in der dritten Welt schimpft, muss man sich erst einmal über die allgemeinen Verhältnisse im Klaren werden. Ich berichte aus Indien und den Philippinen.

Strassennamen gibt es nur in den grossen Städten und auch nur für die wichtigen Strassen. In Manila haben manche Strassen auch zwei Namen, den alten spanischen und einen neueren philippinischen. Manche Bürgermeister verewigen ihren Familienclan, in dem sie Strassen nach ihren Freunden nennen. Natürlich hält das nur eine Wahlperiode, und Geld für Strassenschilder ist sowieso nicht da.

Mit Hausnummern ist noch schwieriger. Das einfache europäische Prinzip, vom Anfang bis zum Ende der Strasse durchzuzählen, greift häufig nicht. In Indien haben grössere Geschäfts- und Appartementshäuser eigene Namen, und dann werden die Condos durchnummeriert. Dann gibt es auch Adressen wie im übertragenen Sinne "Max Mustermann, neben Restaurant "Zum Mustermann", 123456 Musterpur oder "Nähe Esso-Tankstelle".

Vom Briefträger wird schon einiges an Ortskenntnis abverlangt. Dafür wird er fürstlich mit 2 bis 3 Euro pro Tag entlohnt.

Und hier setzt sich ein weiterer Teufelskreis in Gang: Der Grossteil der Bevölkerung kann nicht vernünftig schreiben, also braucht man keine Post. Das Briefaufkommen ist sehr gering und die Portosätze sind sehr niedrig (ein Einschreibebrief kostet in Indien etwa 30 Cent, ein Standardbrief etwa 8 Cent). Wenn die Post nicht noch andere Aufgaben wie die Auszahlung von Renten übernimmt, ist das für den Staat ein Zuschlussgeschäft. Investitionen werden nicht getätigt. Selbst in grossen indischen Städten gibt es keine Sortieranlagen und die Post wird per Hand gestempelt. Ich habe bislang noch keinen Maschinenstempel aus Bangalore gesehen !

Werbung wird durch Boten verteilt. Dafür braucht man die Post nicht, da die zu lange braucht und nicht flexibel ist. Die besser Verdienenden kommen in den Genuss einer Strom- und Wasserrechnung, die aber auch häufig durch Boten verteilt werden. Oft nimmt der Bote dann gleich den Scheck mit, denn Banküberweisungen so wie bei uns gibt es nicht. Am Rande: Wer eine Wasserrechnung bekommt, ist schon privilegiert, da das Wasserwerk davon ausgeht, dass man einen festen Wohnsitz hat und die Rechnung bezahlen kann. In solchen Ländern ersetzt die Wasserrechnung die amtliche Anmeldebestätigung. Mit der Wasserrechnung in der Hand kann man einen günstigeren Postpaid-Mobilfunkvertrag bekommen.

Meine Eltern wohnen in einer grösseren philippinischen Stadt. Die Hauptpost hat zwei Schalter und sieht aus wie ein bayrisches Dorfpostamt. Meistens ist dort nichts los. Briefmarken gibt es nur in wenigen Wertstufen (Zitat: "für Postkartenporto haben wir nicht, aber die bekommen Sie sicher in Manila", Kommentar: ca. 80 km Entfernung mit dem Bus). Postkarten kann man aber bekommen. Praktischerweise werden Motive aus den ganzen Philippinen verkauft, als würde man in Deutschland auf Sylt auch Postkarten von Berlin und Berchtesgaden im Ständer finden.

Wenn man auf dem Provinzpostamt hartnäckig nachfragt, bekommt man seine Post ausgehändigt. Der Briefträger verteilt nicht so schnell, wenn überhaupt.

Auch wenn es off-Topic ist, noch ein Kommentar zu Pommes: Die Philippinen sind sicher. Natürlich gibt es "no-go"-Areas, aber die Kriminalität ist nicht höher als in Europa. Das Problem ist die Korruption, besonders in der Provinz, und die teilweise katastrophale Infrastruktur. Knapp 1/3 des gesamte Volkseinkommen wird im Ausland durch philippinische Gastarbeiter erwirtschaftet. Dank der relativ guten Bildung sind die Filipinos im Ausland gefragt, zum Beispiel im persischen Golf, aber auch in Europa zum Beispiel im Pflegebereich. Die Überweisungen in die Heimat helfen der nicht arbeitenden Verwandschaft, sich über Wasser zu halten. Um die Gastarbeiter bei Laune zu halten, können Gastarbeiter Pakete (fast) zollfrei in die Heimat schicken.

Auch in Deutschland gibt es mehrere Unternehmen, die diese sogenannten "Balikbayan-Pakete" regelmässig einsammeln, und dann einen grossen Container packen, der per Seefracht auf die Philippinen verschifft wird. Den Weitertransport vor Ort und die Verteilung auf den Philippinen übernimmt ein lokales Unternehmen. Dieser Transport ist recht günstig (ein grosser Umzugskarton kostet etwa 80 EUR Fracht, unabhängig vom Gewicht. Versanddauer: nach Manila ca. 6-8 Wochen, in die Provinzen entsprechend länger). Leider bieten diese privaten Frachtpostunternehmen rein gar nichts aus philatelistischer Sicht, es gibt keine Gebührenmarken oder Frachtaufkleber oder ähnliches. Es wird bar bei Abholung gezahlt und auf einer Zweckform-Quittung bestätigt.

Und wieder zurück zur Philatelie: Es gibt einige Sammler in den Philippinen und die Post bemüht sich um die Sammler. Man kann Briefmarken auch im Balikbayan-Paket auf die Philippinen schicken. Das ist vielleicht nicht erlaubt, aber es stört keinen.
 
Quelle: www.philaseiten.de
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