Thema: Postfrisch oder ungestempelt sammeln im Jahre 1947
DL8AAM Am: 18.12.2012 18:41:17 Gelesen: 3835# 5@  
@ chuck193 [#3]

Heute steht die Sache anders.

Hi Chuck,

jou, das ist alles nur eine Frage des Zeitgeistes. Was heute vorgegeben, gewollt, usus oder gefordert ist, kann und wird wahrscheinlich morgen (auch wieder?) ganz anders bewertet werden können. Das ist mit Falz so.

Wenn ich mir die Sammlung meines Vaters anschaue, da durfte keine gestempelte Marke ins Album, wenn der Stempel mehr als maximalst 1/4 über die Ecke hereinragte, dass Markenbild durfte vom Stempel auf keinen Fall tangiert, d.h. verschandelt werden. Das war damals eben so (und bleibt weiterhin bis heute sein Standard), nur sauberst eckrandgestempelte Marken finden Gnade. Zumindest geht der Rest heute zur Caritas. Als kleiner Grundschüler bekam ich aber immer diese "verstempelten" (voll und schön rund gestempelten) Schmuddelexemplare zum Recycling durch meine Kinderpost. Da fielen dann gefühlt "100te von Heusse und Posthörnern" dem kindlichen Amokstempeln zum Opfer. Wenn ich auch nur daran denke, wird mir schon ganz anders. Aber so war der Zeitgeist und wurde auch in den Sammler-Freizeitgruppen in dieser Form vorgelebt. Das war einfach so üblich, zumindest in der "breitensportlichen" Sammlerszene, Spezialisten waren sicherlich auch damals schon 'anders drauf', sonst gäbe es heute ja auch keine 'echten' postfrischen Briefmarken aus der guten alten Falzzeit mehr.

Verschärfend kommt hinzu, dass dieser Zeitgeist auch noch regionalen Unterschieden unterliegt, so sind bzw. waren in vielen Gebieten der Erde Ganzsachenausschnitte (z.T noch immer) vollwertige Sammlerobjekte. Bei Ingo "Cantus" klappen sich bestimmt gleich wieder (verständlicherweise) die Fußnägel hoch, wenn die Verbindung Ganzsache und Schere vor seinem geistigen Auge auftaucht. Aber andere Länder, andere Zeiten, andere Sitten. Man kann Entscheidungen früherer Zeiten mit den Augen von heute nie gerecht beurteilen. Das ist genau das Problem aller Historiker, mit zeitlichen Abstand und den Wissen von heute, ist das dümmste Erstsemster schlauer als der intelligenteste Zeitzeuge von vor 100 Jahren.

Im Prinzip kann man nur raten, den "gesunden Menschenverstand einschalten", d.h. (z.B.) 'keinen Beleg zerschneiden' etc., schauen wie das private "Preis-Leistungsverhältnis" bestimmter Objekte ausfällt und dann Sammeln was hier und jetzt "Spass" macht bzw. zur individuellen Geldbörse passt. Wenn man sich nur ein verfalzte Exemplar 'Der Rarität' seines Sammelgebiets für 10% des normalen Preises leisten kann oder will (...), sollte das vollkommen OK sein, auch für all seine Vereinskollegen. Dann, aber nur nicht den Fehler begehen, beim Sammeln an eventuelle Erben und mögliche Verkaufserlöse denken. Zumindest gilt das für die weitaus meisten Fälle und Sammler. ;-) Eine unsauber gestempelte Blaue Mauritius, dem Nachwuchs zum Bekleben von Lampenschirmen im Kinderzimmer zu geben, wäre dann doch keine gute Idee, auch wenn sich dort kein sauberster Eckrandstempel darauf findet, hi. Ohje, die vielen schönen Posthörnchen. ;-(

Egal welche noch so sinnvolle erscheinende "Sachzwang-Warum-Ausrede" man haben mag, egal was der Markt aktuell fordert oder Handbücher heute sagen, eine ungebrauchte Briefmarke mit (privaten) Prüf- oder Eigentümerstempel ist keine wirkliche postfrische Marke mehr. Gleiches gilt analog für bereits gestempelte Marken. Hier einmal angerichtete Schäden (wie auch Falz oder Ganzsachenausschnitte etc.) können nie wieder vollkommen geheilt werden. Selbst wenn eine ansonsten billige Marke durch einen 'bekannten Eigentümer' preislich aufgewertet wäre, es ist und bleibt eine nachträgliche Beschädigung eines Originals.

So genug der Häresie, frohe Festtage allen Mitgliedern, Familien und sonstigen Fremdlesern,

liebe Grüße
Thomas
 
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