Thema: Saalauktionen: Ergebnisse viel zu niedrig - wer ist schuld daran ?
drmoeller_neuss Am: 03.07.2013 12:28:52 Gelesen: 59101# 37@  
Warum wird in diesem Thema eigentlich mehrheitlich die Keule gegen den Markenhandel geschwungen? Wer "Schätze" mit einem Katalogwert in den Hunderttausenden anhäufen kann, sollte doch auch ein wenig Zeit aufbringen können, sich über die Gegebenheiten des Briefmarkenhandels zu informieren. In diesem Fall hätte ich den Ablauf einer Rauhut-Auktion einmal persönlich verfolgt. Es gibt sechs Auktionen pro Jahr, und pro Auktion vielleicht 5000 Sammlungslose, die etliche Regalmeter umfassen. Warum soll Rauhut ausgerechnet meinen Posten vereinzeln, und die anderen 4999 als Sammlungslose verramschen?

zu Kontrollratjunkie

Und hier liegt m.M. nach der Hase im Pfeffer. Ich erwarte von einem Auktionshaus eine faire Beratung und Hinweise zum höchstmöglichen Erlös. Leider reicht dieser Service offenbar bei vielen Firmen nur für die Sammlerelite, für deren Sammlungen dann auch gerne Sonderkataloge geschaffen werden. Wäre hier adäquat beraten worden, hätte man sich vielleicht einige Enttäuschungen ersparen können. Aber nun ist es zu spät, verkauft ist verkauft, Glückwunsch an den Erwerber. Er wird viel Arbeit haben und einen guten Gewinn erlösen.

Briefmarkenhändler leben von ihrem Geschäft und sind keine kostenlosen Verbraucherberater. Das ist kein Freibrief für Übervorteilung von Kunden und ein Händler sollte immer fair bleiben. Ich kann aber nicht von Herrn Rauhut erwarten, dass er sagt, "melden Sie ein Gewerbe an und verkaufen Sie Ihren Posten besser in Einzelteilen selbst". Oder anders gerechnet: Rechnen wir einmal für eine "faire Beratung" einen Zeitaufwand von 30 Minuten. Dazu kommt im Durchschnitt noch einmal der gleiche Aufwand für die Vor- und Nachbereitung, für Fahrzeit etc. Dann kann ein gut organisierter Mitarbeiter in der Woche etwa 30 solcher "Beratungen" führen. In vielen Fällen wird der Berater von einer Einlieferung abraten müssen. Die Beraterstunde würde ich mit etwa 50 Euro ansetzen. Wer zahlt Herrn Rauhut diese "Beratungsleistung"? Der Berater braucht ausserdem noch ein Telefon, ein Büroraum und ein Firmenfahrzeug.

Ich weiss nicht einmal, ob ich den Erwerber beglückwünschen kann. Die meisten Briefmarkenhändler leiden unter massivem Umsatzverlust und durch die Konkurrenz von ebay und Co.

Viel Arbeit wird er haben, aber auf welchen Stundenlohn wird er dabei kommen?

Und zum Ablauf dieser Geschichte: Ich gehe doch davon aus, dass der Einlieferer von Rauhut vor der Auktion ein Manuskript des Kataloges zur Kontrolle und Zustimmung bekommen hat. Spätestens hier hätte der Einlieferer noch sein Veto einlegen können.

Noch einmal: Bund-FDC auch aus den Jahren 1949 bis 1954 sind Massenware. Zwar sind hier die Katalogwerte etwas näher an der Realität, und echt gelaufene FDCs gehen nicht für 5% weg. Aber auch hier gilt: einem grossen Angebot steht eine kleinere Nachfrage entgegen. Und wer sammelt DDR-FDCs? Ich kenne jedenfalls keinen solchen Sammler.

Katalogwerte sind Schall und Rauch. Es mag sogar sein, dass in Einzelfällen die Katalogwerte stimmen. Aber was nützt es dem Einlieferer, wenn vor zwei Jahren ein FDC genau zum Katalogwert verkauft wurde, aber jetzt, gerade im Moment seines Verkaufwunsches, kein Käufer bereit steht? Umgekehrt kenne ich Sammler, die seit Jahren auf der Suche nach Marken im Werte von wenigen Michelcent sind, die nicht auf dem Markt zu haben sind.

zu Cantus

Und nicht jeder möchte über Ebay & Co. verkaufen, denn ab dem 21. Verkauf jährlich ist man nach geltendem Recht Gewerbetreibender und damit gewerbesteuerpflichtig. Wer das missachtet, macht sich strafbar. Natürlich haben die Finanzbehörden nicht genug Personal, um alle diese Fälle aufzuspüren, aber wen es trifft, das kann ganz schön unangenehm werden. Also lass bitte diese Werbung für einen Verkauf über Ebay & Co. sein. Wer das unbedingt so machen möchte, sollte sich des Risikos bewusst und bereit sein, die möglichen strafrechtlichen Folgen zu tragen.

Es gibt keine festen Grenzen, ab wann man Gewerbetreibender ist! Und das geringste Risiko ist noch das Finanzamt, da die wenigsten wirklich an ihrem Hobby verdienen. Wer Geld zuschiesst, ist auch für das Finanzamt ein schlechter Kunde. Und Gewerbesteuer fällt erst bei einem Gewinn von knapp 25.000 EUR an. Den sehe ich bei diesem Posten bei weitem nicht. Im übrigen ist eine gewerbliche Tätigkeit unabhängig von den Verkaufskanälen. Auch der Handel über Zeitungsinserate oder auf Tauschtagen kann Gewerbesteuer auslösen. Wer Angst vor dem Finanzamt hat, sollte sich der Hilfe von Experten wie Steuerberater bedienen.

Ich rate jedem Sammler, detaillierte Aufzeichnungen über alle (!) Ausgaben zu führen. Dann ist auch nach Jahren noch nachvollziehbar, wieviel Geld in das Hobby geflossen sind und wo welche verfälschte Gurken gekauft wurden. In dieses Ausgabenbüchlein gehören auch alle nicht-philatelistischen Ausgaben wie Fahrtkosten zu Tauschtagen. Vielleicht ist dann aber nicht mehr das Finanzamt, sondern der Ehegatte das grössere Risiko, wenn er/sie anhand dieser Aufzeichnungen der ständigen Beschwichtigungen "Ach Schatz, mache Dir keine Sorgen, das Hobby trägt sich selbst" keinen Glauben mehr schenkt.

Kritischer ist die wettbewerbsrechtliche Schiene, weil es hier keine Freibeträge gibt. Abmahnungen kosten hunderte von Euros. Zum Glück haben inzwischen die Gerichte ungerechtfertigten Massenabmahnungen einen Riegel vorgeschoben und nicht jede Abmahnung geht durch. Im Briefmarkensektor gehören auch Abmahnungen zur Ausnahme.

Als Händler muss man sich 100% sicher sein, was man anbietet. Im schlimmsten Fall hat man unwissentlich Fälschungen verkauft, und der Käufer besteht auf der Lieferung von echten Marken. Das kostet Geld und Nerven. Nur Geld kosten die versehentlichen Schnäppchen, weil eine Auktion einmal nicht gut gelaufen ist, oder bei der Beschreibung wertentscheidende Merkmale vergessen wurden.

Zusammenfassend ist eine gewerbliche Tätigkeit ein kalkulierbares Risiko. Jeder kleine Handwerker muss mit diesen Herausforderungen zurecht kommen, die mit etwas gesundem Menschenverstand und mit der Hilfe von Experten gemeistert werden können.

Zu diesem Thema passt auch gut der Thread "Illusionskapitalismus vom Feinsten" auf http://www.stampsx.com/forum/topic.php?id=2026. Wer als Sammler Teile seiner Sammlung abstossen will, muss sich immer überlegen, ob er das "en bloc" macht, oder in Einzelteilen. En bloc bedeutet Verkauf an den Grosshandel oder über eine Auktion. Wer alles selbst vereinzelt, kommt auf die gleichen Verkaufspreise wie der Einzelhandel, muss aber auch die entsprechende Zeit und Geduld investieren.

Oder übertragen gesprochen: Wenn ich einen Erdbeeracker habe, kann ich die Früchte per Zentner an den Grosshandel verkaufen. Oder ich stelle mich selbst an die Strasse, und verkaufe die Ernte in kleinen Schälchen. Alles eine Frage des Aufwandes, den man spendieren möchte.
 
Quelle: www.philaseiten.de
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