Thema: Pin Group: Wie geht's dem Post Konkurrenten ?
Richard Am: 19.06.2008 11:25:26 Gelesen: 80190# 63@  
Im Gespräch: der ehemalige Springer-Chef Jürgen Richter

„Eine Riesenkatastrophe für Springer“

Frankfurter Allgemeine Zeitung / FAZ (12.06.08) - Das missglückte Engagement bei dem Postdienstleister Pin, der ein halbes Jahr nach der Mehrheitsübernahme durch den Springer-Verlag zum Insolvenzfall wurde, hat Springer im vergangenen Jahr einen hohen Verlust eingebracht. Der Medienfachmann Jürgen Richter, der von 1994 bis 1997 Springer-Vorstandsvorsitzender war und danach die Bertelsmann-Fachverlage geführt hat, lässt kein gutes Haar an der Arbeit von Vorstand und Aufsichtsrat: "Es sind enorme Fehler gemacht worden."

Herr Richter, wie beurteilen Sie das Debakel mit der Pin-Gruppe?

Ich halte den daraus entstandenen Verlust von über 600 Millionen Euro, der zudem voll liquiditätswirksam ist, für eine Riesenkatastrophe des Hauses Springer. Hierzu im Einzelnen: Grundsätzlich ist das Distributionsgeschäft eine wirtschaftlich sinnvolle Ergänzung zu den Trägerdiensten der Tageszeitungen. Es sind enorme Fehler gemacht worden, weil man die Pin-Anteile von den Regionalzeitungsverlagen viel zu teuer gekauft hat, um die Mehrheit der Pin AG zu erlangen. Die Integration der vielen lokalen Gesellschaften ist nicht kostenwirksam bewerkstelligt worden. Die Diskussion um den Mindestlohn ist doch nur der Vorwand für eine rasche Revision der falschen Entscheidung gewesen.

Warum hat Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner Pin überhaupt gekauft?

Ich sehe die Pin-Transaktion und auch die übrigen überteuerten Akquisitionen von über 1 Milliarde Euro im vergangenen Jahr im engen Zusammenhang mit den damals anstehenden Verkaufsaktionen der Aktionäre Döpfner und Hellmann & Friedmann. Pin war Teil der bewusst betriebenen Börsen-Story. Das hat schließlich funktioniert, denn beide Aktionäre konnten mit Riesengewinn ihre Aktienpakete veräußern. Wie substantiell der damalige Verkaufskurs gewesen ist, können Sie daran sehen, dass der heutige Kurs der Springer-Aktie rund 50 Prozent niedriger liegt.

Sollte Döpfner gehen?

Sie werden verstehen, dass ich mich dazu nicht äußern möchte.

Welche Verantwortung trägt der Aufsichtsrat?

Der Aufsichtsrat ist in erster Linie für die Fehlentscheidung Pin verantwortlich; erst in zweiter Linie der Vorstand. Aus dem Aufsichtsrat der Axel Springer AG habe ich gehört, dass man das Pin-Investment in der Größenordnung von über 600 Millionen Euro durchgewinkt habe, obwohl man die vorgelegte operative Planung des Vorstands nicht eindeutig beurteilen konnte. Das ist doch ein erstaunlicher Beleg dafür, dass die Regeln der Corporate Governance im Springer Verlag nur teilweise funktionieren.

Die WAZ-Gruppe und Madsack haben ihre Pin-Anteile zunächst teuer an Springer verkauft und im Insolvenzverfahren nun billig zurückgeholt. Die lachen sich jetzt ins Fäustchen, oder?

Ich kenne die Zahlen natürlich nicht im Einzelnen, aber wie man hört, soll die WAZ-Gruppe einen dreistelligen Millionenbetrag und die Madsack-Gruppe einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag aus dem Verkauf ihrer Pin-Anteile an die Springer AG nach Abzug sämtlicher Investitionskosten erzielt haben. Wie abenteuerlich der Springer-Kauf gewesen ist, zeigen die Angebotspreise an den Konkursverwalter der Pin-Gruppe zum Herauskauf weiterer Gesellschaften, die bei zirka 5 Prozent des ursprünglichen Springer-Preises liegen.

Wie ist die Stimmung im Hause Springer?

Hier muss man bei der Beurteilung vorsichtig sein. Meistens vernimmt man ja nur die lauten Stimmen, und das sind die der Unzufriedenen. Fest steht, dass die Atmosphäre schon einmal besser war. Davon zeugen auch die Abgänge von Führungskräften. Der Springer-Vorstand hat ein großes Glaubwürdigkeitsproblem - die bisher nach außen aufgesetzte Souveränität ist einer nervösen Gereiztheit gewichen. Das beweisen auch die Reaktionen auf Springer-kritische Artikel. Es ist eben der Fluch der guten Tat: Das Haus Springer muss sich jetzt auch der journalistischen Messlatte stellen, die der Vorstand ansonsten oft im elitär gewollten Sinne in die Öffentlichkeit posaunt. In diese Schublade fällt auch der wie eine Inszenierung wirkende Fußballstreit zwischen den Springer-Blättern "Fakt" (Polen) und "Bild".

Jenseits des Pin-Debakels: Verfolgt Döpfner die richtigen Strategien, um den Springer-Verlag weiterzuentwickeln?

Ob Döpfner die richtige Strategie verfolgt, wird man erst im Zeitablauf sehen. Fest steht, dass seit seinem Amtsantritt für mehr als 1 Milliarde Euro "Tafelsilber" verkauft worden ist, zuletzt die Pro-Sieben-Sat.1-Anteile für mehr als 500 Millionen Euro. Übrigens: Große Teile dieser Beteiligung hat der Vorstand unter meiner Führung 1996 für einen "Schnäppchenpreis" von den Zeitungsverlegern erworben. Der schnelle Schritt ins Internetgeschäft ist viel zu teuer erkauft, und damit sind strategisch Finanzressourcen gebunden, die man für neue Aktivitäten im Stammbereich benötigen würde. Ich blicke gespannt auf die weiteren strategischen Schritte, die in der Zukunft hoffentlich konsequenter ausfallen.

Warum schreitet Hauptaktionärin Friede Springer nicht ein?

Das ist in der Tat auch für mich ein Rätsel, denn Friede Springer hat eigentlich immer genau gewusst, was für das Haus oder für sie richtig oder falsch ist. Aber ich denke, sie ist von zu vielen wohlmeinenden Beratern umgeben und möchte - vielleicht derzeit - keinen Bruch mit dem etablierten Management. Das kann bei der weiteren Entwicklung von Springer bedenklich sein, was ich sehr bedauern würde. In der Zukunft liegt mehr als bisher das unternehmerische Schicksal von Springer in ihren Händen. Das muss sie aber auch erkennen.

Die Fragen stellte Johannes Ritter.

(Quelle: http://www.faz.net/s/RubD16E1F55D21144C4AE3F9DDF52B6E1D9/Doc~E32C677E0A654404EB7D9792F4200C2FC~ATpl~Ecommon~Scontent.html)
 
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