Thema: Die Marken des Russischen Empires (Semtswo / Zemstvo)
Holger Am: 24.06.2008 00:38:42 Gelesen: 27499# 1@  
Angeregt durch eine Frage unseres Mitgliedes „röhliekla“ möchte ich an dieser Stelle ein paar Informationen über die Semstwo-Marken des Russischen Reiches geben.


Das Russische Reich (russisch: Rossijskaja Imperija, Российская Империя) war die 1721 von Peter dem Großen eingeführte Bezeichnung für einen Staat, der weite Teile des nördlichen Eurasien umfasste. Zu seinem Herrschaftsgebiet gehörten neben dem heutigen Russland und den Territorien der späteren Sowjetunion zeitweilig auch Finnland, der größte Teil Polens, der Nordosten der Türkei, Alaska und einige Gebiete in Kalifornien. Etwa die Hälfte seiner Einwohner waren Russen. Das Russische Reich bestand bis zur Russischen Revolution von 1917.

Marke aus Berdijansk (Chuchin 3)

Der neue Landesname „Rossija“/„Россия“ wie auch der davon abgeleitete Staatsname „Rossijskaja Imperija“ stehen programmatisch für den von Peter I. eingeschlagenen Kurs der Verwestlichung. Der Landesname „Rossija“ sollte die älteren Bezüge auf die Herrschaftsgebilde der Rus ablösen, in dessen Nachfolge sich das Moskauer Reich gesehen hatte. Auch die Verwendung des aus dem Lateinischen entlehnten „Imperija“ - der Herrscher selbst nannte sich nun nicht mehr „Zar“, sondern „Imperator“ - stand für die von Peter angestrebte Modernität nach Maßgabe des westeuropäischen Absolutismus.

Marke aus Borisoglebsk (Chuchin 8)

Die "Zemstvos"
Semstwo (russisch auch: Zemstvo) bedeutet Landstand oder Landschaftsvertretung und bezeichnet lokale Selbstverwaltungseinheiten auf Kreis- und Gouvernementsebene, die 1864 im Zuge liberaler Reformen im damaligen Kaiserreich Russland von Alexander II. im Anschluss an die Aufhebung der Leibeigenschaft 1861 eingeführt wurden.

In das jeweilige Semstwo wurden Vertreter des Adels, der Stadtbewohner und der Bauern auf drei Jahre gewählt. Der Aufgabenbereich der lokalen Verwaltungen enthielt unter anderem das Gesundheits-, Bildungs- und Verkehrswesen, die Wohlfahrtspflege und die Armenfürsorge, die Industrie, den Handel und die Landwirtschaft. Die Finanzierung beruhte auf Steuereinnahmen, für die ebenfalls die jeweiligen Semstwoverwaltungen zuständig war.

Marke aus Morhansk (Chuchin 15)

Der 1914 entstandene gesamtrussische Semstwo-Bund beteiligte sich mit dem Städtebund an der Heeresversorgung. Die Semstwo-Bewegung war eine wichtige Grundlage des russischen Liberalismus. Seit 1900 gerieten die Semstwoverwaltungen allerdings zunehmend unter bürokratischen Einfluss.

Die Marken der Zemtsvos
Interessant ist die Beschäftigung mit den Semstwo-Posten (Lokalpost). Bis etwa 1865 hatte die russische Reichspost das alleinige Recht zum Postbetrieb im Kaiserreich Russland, wobei sie die Post höchstens von bzw. bis zu den Kreisstädten beförderte. Mit der Einrichtung der Semstwo-Selbstverwaltung 1864 unter Zar Alexander II. in vielen Landkreisen des europäischen Russlands änderte sich das.

Bereits 1865 wurden erste lokale Posteinrichtungen unter Leitung dieser Kreisverwaltungen errichtet. 1870 - 1872 wurde die Semstwo-Post durch Gesetze und Durchführungsbestimmungen weiter legalisiert. So besorgte die Semstwo-Post schließlich in 345 von 371 Landkreisen bis 1917 das Postgeschäft in den von der Reichspost nicht versorgten ländlichen Gegenden.

Marke aus Ossa (Chuchin 15)

Die vollständigste Sammlung der zumeist lokal hergestellten Semstwo-Marken wurde vom größten Kenner dieser Materie, Carl Schmidt, dem Reichspostmuseum geschenkt und befindet sich heute noch im Berliner Postmuseum. In der Gesamtmenge wurden ungefähr 3.400 (!) unterschiedliche Marken von diesen Postdiensten herausgegeben.


Die Bezirke und ihre angeschlossenen Ortschaften
Bessarabia: Orgheef, Soroki, Yassy
Chernigif: Kozelets, Oster
Don-Gebiet: Cherkassy, Donez, Rostof
Kharkof: Akhtyirka, Kharhof, Lebedian
Kazan: Chistopol, Kazan, Lahishef, Tetyushy
Kherson: Alexandria, Ananief, Kherson, Odessa, Tiraspol, Yelesavetgrad
Kostroma: Kologrif, Vetluga
Kursk: Dmietrief, Lgof, Shchigry, Sudzsha,
Moskau: Bogorodsk, Bronnitzy, Dmitrof, Kolomna, Podolsk
Nizhni-Novgorod: Ardatof, Arzamas , Vasil
Novgorod: Bielozersk, Borovichy, Cherepovets, Demiansk, Kirillof, Novgorod, Staraya Russa, Tikhvin, Ustiuzhna, Valdai

Marke aus Tambov (Chuchin 3)

Olonets: Petrozavodsk, Pudozh
Orel: Livny, Maloarkhangelsk, Yelets
Penza: Chambary, Penza, Saransk,
Perm: Cherdyn, Irbit, Kamyishlof, Krasnoufimsk, Kungur, Ossa, Okhansk, Perm, Shadrinsk, Solikamks, Verkhotur, Yekaterinburg
Poltava: Gadiach, Kobelaky, Konstantinograd, Kremenchug, Lokhvitza, Lubny, Pereyaslaf, Piriatin, Poltava, Priliky, Zienhof, Zolotonosha
Pskof: Kholm, Novorzhef, Opochka, Ostrof, Porkhof, Pskof
Ryazan: Dankof, Kassomof, Ryazhsk, Ryazan, Sapozhok, Skopin, Spassk, Yegoryevsk
Samara: Bugulma, Buguruslan, Buzuluk
St. Petersburg: Gdof, Luga, Novaya Ladoda, Shlisselburg
Saratov: Atkarsk, Balashof, Khvalynsk, Kuznetsk
Simbirsk: Alatyir, Syzran
Smolensk: Dukhovsrschina, Krasny, Smolensk
Tambov: Borisoglyebsk, Lebedian, Morshank, Shatsk, Tambov
Tavrik: Berdyansk, Dnieprovsk, Melitopol
Tver: Byezhetsk, Korcheva, Ostashkof, Rzhef, Tver, Vessiegonsk
Tula: Chern, Kashira, Krapivna, Tula
Ufa: Belebey
Viatka: Glazof, Kotelnich, Malmyzh, Nolinsk, Sarapul, Urzhum, Viatka
Vladimir: Pereslaf
Vologda: Griazovets, Kadnikof, Nicolsk, Totma, Ustsysolsk, Veliki Ustyug, Velsk, Yarensk

Marke aus Shatsk (Chuchin 14)

Allgemeine Sammlerhinweise:
Die meisten Marken sind Lithographien (Steindrucke). Häufig kommt es vor, dass es die Marken mit und ohne Zähne gibt. Auch Halbierungen kommen auf Belegen recht häufig vor. Ebenso Fälschungen als auch Verfälschungen. Zusammenfassen ist zu sagen, dass dieses Sammelgebiet in der Regel einen dicken Geldbeutel und hohen Sachverstand erfordern.

Gerade nach dem Zusammenbruch der politischen und der Öffnung der wirtschaftlichen Grenzen gen Osten hin kommen täglich eine Vielzahl von Marken aus Osteuropa und Asien auf den Markt. Hier fällt es schwer die Streu vom Weizen zu trennen.

So gibt es immer wieder die merkwürdigsten Farbvarianten, die sich dann bei näherer Betrachtung als Testdruck herausstellen:

Testdruck aus Berdjansk, Variante in braun

Literatur-Tipps:
Leider wird man im Michel nach diesen Marken vergeblich suchen.
Wer der russischen Sprache mächtig ist wird sicherlich mit dem „Chuchin-Katalog“ glücklich.
Ebenfalls empfehlenswert ist das Buch „"Zemstvo Postage stamps of Imperial Russia" von Alex Artuchov.

Links:
http://www.fuchs-online.com/zemstvos/

Obige Infos stammen aus verschiedenen Quellen (u.a. Wikipedia). Wie immer sind Ergänzungen willkommen !

Summende Grüsse
Holger
 
Quelle: www.philaseiten.de
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