Thema: Postagenturen: Der verzweifelte Kampf gegen die Post
Richard Am: 08.07.2008 23:04:09 Gelesen: 21991# 1@  
David gegen Goliath: Der verzweifelte Kampf der Briefmarkenverkäufer gegen die Post

Report (07.07.08) - Es gehört wohl bald der Vergangenheit an - das gute alte Postamt. Immer mehr verlagert die Post Dienstleistungen wie Briefmarken verkaufen oder Päckchen annehmen in sogenannte Agenturen. Die gibt es dann im Schreibwarenladen oder auch mal in einem Blumengeschäft.

Nach REPORT MAINZ- Recherchen hatten viele dieser Agenturen in der Vergangenheit Probleme mit dem Postkonzern, wenn es um die Abrechnungen geht. Und diese Probleme werden jetzt für viele kleine Agenturbetreiber zur Existenzfrage. So ist es zum Beispiel bei Amalie Stahlberger, die hat unser Reporter Ulrich Neumann getroffen.

Bericht:

Zum letzten mal öffnet Amalie Stahlberger die Ladentür ihres Blumengeschäftes. Die 59-jährige Floristin gibt nach 35 Jahren auf.

O-Ton, Amalie Stahlberger, ehem. Postagenturunternehmerin:

»Mein Blumenladen war mein Lebensmittelpunkt. Und wenn ich ihn heute schließe, geht es mir natürlich nicht gut. Aber ich bin gezwungen meinen Blumenladen zu verkaufen, um die Schulden bei der Post zu begleichen.«

Von 1996 bis 2002 betrieb sie hier auch eine kleine Postagentur - so wie 7.500 Tante-Emma-Läden damals in ganz Deutschland. Probleme in diesem Zeitraum bei vielen Agenturen: Die Kasse stimmt nicht. Unerklärliche Minusbeträge treten auf.

Auch sie ist davon betroffen. Über 45.000 Euro will die Post von ihr. Ihren Blumenladen hat sie inzwischen schon verkauft. Ihr Haus verliert sie vielleicht auch. Amalie Stahlberger ringt inzwischen mehr als zehn Jahre mit dem Weltkonzern... In erster Instanz hat die Floristin verloren.

O-Ton, Amalie Stahlberger, ehem. Postagenturunternehmerin:

»Und heute da stehe ich vor dem Ende. Ja. Zehn Jahre danach. Zehn Jahre haben mein Mann und ich gekämpft, die Kinder gekämpft. Zahlen gewälzt, Computer, Excel-Tabelle erstellt, um dem Fehler auf die Spur zu kommen. Nichts!«

Woher kommen die Differenzen bei den betroffenen Kleinagenturen zwischen 1996 bis 2004? Die Agenturen haben sich immer wieder beklagt über die fehlerhafte Postsoftware EPOS.

In Gerichtsverfahren ist EPOS begutachtet worden, getestet allerdings nur an einigen wenigen Modellbuchungen. Ergebnis: EPOS arbeite fehlerfrei. Andere Gutachten dagegen, von den Gerichten nicht beachtet, stellen erhebliche Mängel bei EPOS fest.

Und dieses Software-System EPOS war zudem im täglichen Betrieb nachweislich mit Riesenproblemen behaftet. REPORT MAINZ liegen weit über hundert postinterne Dokumente vor. Nur einige wenige Zitate daraus: „Fehlerhafte EPOS-Version“, „bundesweites Programmchaos“, „Systemfehler“, „fehlerhafte Datensätze“, „Fehlbuchungen“.

Wir legen der ehemaligen Bundesjustizministerin diese postinternen Dokumente über EPOS vor. Ihre Einschätzung:

O-Ton, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, ehem. Bundesjustizministerin:

»Es ist in meinen Augen wohl offensichtlich, dass dies System damals eben absolute Funktionsdefizite hatte. Und Chaos da war.«

Die Post war selbst offenbar nicht in der Lage, simple Berechnungen ordentlich zu leisten. Ein Beispiel: Der Bonus der Blumenhändlerin, also die Erfolgsprämie, errechnet aus den erbrachten Dienstleistungen, wurden für ein und dasselbe Jahr vom Postkonzern dreimal korrigiert. Von anfangs fast 24.000 Mark schrumpft der Bonus auf schließlich 9.500 Mark.

Intensiv mit dem Thema Postagenturen befasst hat sich Professor Schwintowski. Der anerkannte Bankenrechtler über die Bonusberechnung:

O-Ton, Prof. Hans-Peter Schwintowski, Bankenrechtler:

»Dann fragt man sich natürlich schon, wie kann ein Zahlungs- und Abrechnungssystem solche unterschiedlichen Beträge auswerfen und ausweisen. Der einzige Grund, der mir dazu einfällt, ist, dass hier in der Software des Systems irgendetwas nicht stimmen kann.«

Trotzdem hat Amalie Stahlberger vor kurzem vor dem Landgericht Baden-Baden verloren - so wie viele andere Agenturnehmer auch. Warum? Die Agenturnehmer müssen beweisen, dass die Forderungen der Post falsch sind. Der Bankenrechtler Schwintowski hält das für unmöglich.

O-Ton, Prof. Hans-Peter Schwintowski, Bankenrechtler:

»Also ein Agenturnehmer, der beweisen muss, dass hier Fehlbuchungen vorgekommen sind, kann das nicht. Das kann er deshalb nicht, weil das System ja gegen ihn arbeitet und er das System nicht entwickelt und erfunden hat. Das heißt: Er ist praktisch chancenlos gegenüber der Post.«

Die Post behauptet seit Jahren stereotyp: Riesige Minusbeträge bei kleinen Agenturen seien nur Einzelfälle. Stimmt das? Wir stoßen auf interne Listen der Post und der damaligen Deutschen Postgewerkschaft. Darauf finden sich Dutzende Agenturen mit Differenzen bis zu 400.000 Euro. Einzelfälle?

Nein, sagt die Deutsche Postgewerkschaft 2001, wie erst jetzt bekannt wird, nach einer repräsentativen Umfrage unter Agenturen. 74 Prozent haben Kassenfehlbeträge, also Schulden. Haben etwa Tausende in die Kasse gegriffen?

Herbert Millmann vertritt die Interessengemeinschaft kleiner Agenturen. Die hat 2004 auch eine Umfrage gemacht, Ergebnis:

O-Ton, Herbert Millmann, Postagenturnehmerverband:

»Das Erschreckende an der Umfrage war, dass also weniger als zehn Prozent die Angabe gemacht haben, sie hätten keine Differenzen.«

Frage: Also die Mehrzahl hat offensichtlich Differenzen?

O-Ton, Herbert Millmann, Postagenturnehmerverband:

»So ist es.«

Hier in der Konzernzentrale wollte niemand mit REPORT MAINZ reden. Schriftlich heißt es erneut: Es handele sich um wenige Fälle. Das ist, wie gezeigt, nachweisbar falsch.

O-Ton, Herbert Millmann, Postagenturnehmerverband:

»Da von Einzelfällen zu sprechen, wenn quasi die Zahl in die Tausende geht, dass finde ich einfach nur dreist.«

Ein Riese gegen viele kleine Agenturnehmer. Rigoros besteht die Post auf ihren Forderungen und klagt diese vor Gericht ein.

O-Ton, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, ehem. Bundesjustizministerin:

»Ich appelliere an die Post und erwarte von ihr, dass sie diese Gerichtsstreitigkeiten nicht weiter treibt und die Postagenturinhaber ja in die Insolvenz und teilweise in den Ruin treibt.

(Quelle: http://www.swr.de/report/-/id=233454/nid=233454/did=3563872/l48wu2/index.html)
 
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