Thema: Philotax / Schwaneberger: Der Streit um die Michel Nummern
Richard Am: 07.01.2014 09:49:17 Gelesen: 39202# 66@  
Der Schwaneberger Verlag hat sich in der Michel-Rundschau Dezember 2013 mit der "Michel-Nummer" geschäftigt und uns auf Anfrage die Beiträge zur Veröffentlichung überlassen. Möglicherweise wird dadurch die Sichtweise des Einen oder Anderen geändert.

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Was steckt in der MICHEL-Nummer?

Bevor wir uns dieser Frage nähern, werfen wir einen Blick darauf, wie groß die Datenmenge an MICHEL-Nummern in der Datenbank des Schwaneberger Verlages eigentlich ist.

Beginnen wir mit der Zahl der Katalog-Seiten. Insgesamt sind das mehr als 55.000. Davon werden mehr als 30.000 jährlich für Katalog-Neuausgaben und Neuerscheinungen in der MICHEL-Redaktion bearbeitet. Diese Seiten enthalten rund 500.000 Abbildungen und 3,7 Millionen Preisnotierungen. Das entspricht weit mehr als 1 Million MICHEL-Nummern, die insgesamt einschließlich der Unternummern zu betreuen sind.

Um diese gewaltige Datenmenge zu verwalten, braucht es einerseits leistungsfähige Computer mit hoher Rechenleistung und andererseits natürlich eine hervorragend qualifizierte Redaktion. Die MICHEL-Redaktion setzt sich aus einer Neuheiten- und einer Katalogredaktion zusammen, wobei die Übergänge fließend sind: Einige Neuheitenredakteure betreuen neben den jährlich erscheinenden 10.000 bis 12.000 Briefmarkenneuheiten auch Kataloge.

Durch eine ausführliche Datenrecherche entsteht die katalogisierte MICHEL-Nummer. Lesen Sie mehr über den MICHEL-Katalogisierungsprozess

Jede neue Briefmarke, die uns angekündigt oder vorgelegt wird, muss zunächst überprüft werden. Handelt es sich überhaupt um eine Briefmarke? So werden beispielsweise Steuermarken oder Spendenmarken bei MICHEL nicht katalogisiert. Oft genug kommt es auch vor, dass bei Agenturländern mehrere Agenten tätig sind. Es ist die Aufgabe unserer Redaktion herauszufinden, ob der jeweilige Agent auch von der Postverwaltung des Landes berechtigt ist, Briefmarken herauszugeben. MICHEL katalogisiert ausschließlich offiziell von Postverwaltungen herausgegebene Briefmarken. Mancher hübsche Schmetterling, der es auf ein briefmarkenähnliches Objekt geschafft hat, wird damit nicht im MICHEL veröffentlicht, wird also auch niemals eine MICHEL-Nummer erhalten.

Die MICHEL-Redaktion katalogisiert grundsätzlich nur Briefmarken, die im Original vorgelegen haben. Die Information allein, dass eine bestimmte Postverwaltung im Jahr 2013 einen bestimmten Briefmarkensatz herausbringt, genügt noch nicht für eine Katalogisierung. Natürlich sind die Informationasblätter der Postverwaltungen für die MICHEL-Redaktion hilfreich, nicht immer kann man sich aber auf die darin veröffentlichten Daten verlassen. So kommt es beispielsweise vor, dass für einen bestimmten Tag angekündigte Marken tatsächlich erst zu einem späteren Termin erscheinen. Zwar gibt es international Empfehlungen für die Ankündigung neuer Briefmarken; alle wichtigen Informationen zu einer Marke sollten demnach von den Postverwaltungen genannt werden – dies ist in der Regel aber nicht der Fall, sodass der MICHEL-Katalogredaktion jede Menge Arbeit bei der Bestimmung und Beschreibung der Briefmarken zukommt.

Von den etwa 230 Staaten, die heute Briefmarken herausgeben, liegen oft entweder überhaupt keine Ankündigungen oder Ankündigungen in Fremdsprachen vor. Es ist auch keineswegs selbstverständlich, dass eine Postverwaltung ihre Informationen in englischer Sprache publiziert. Großes Allgemeinwissen und gute internationale Kontakte sind nötig, um aus den Ankündigungstexten alle wichtigen Informationen herauszufiltern. Steht der Ankündigungstext in offensichtlichem Widerspruch zum Markenbild, muss die MICHEL-Redaktion herausfinden, was auf der Briefmarke tatsächlich zu sehen ist. Für den MICHEL-Redakteur ist der Ankündigungstext der jeweiligen Post also nur die Basis, die erst einmal in Augenschein genommen werden muss.

Je nach Möglichkeit recherchieren wir bei MICHEL den Entwerfer, der nicht in jeder Ankündigung genannt ist. Auch das Druckverfahren wird in der MICHEL-Redaktion recherchiert, ebenso die Druckerei. MICHEL analysiert die Papierart und die Gummierungsart, hinzu kommen die Konfektionierungsangaben. In der MICHEL-Redaktion wird daneben die Zähnung einer Briefmarke nach philatelistischem Standard gemessen und angegeben.

Jede Briefmarke hat einen Nominalwert, der jedoch nicht immer als Nominale auf die Marke gedruckt ist. Die MICHEL-Redaktion analysiert die Porto-Stufen und gibt den jeweiligen Portowert an.

Die Farbe einer Briefmarke spielt in erster Linie bei älteren Markenausgaben eine Rolle. Wenn die MICHEL-Redaktion Farben bestimmt, geschieht dies nach dem MICHEL-Farbenführer. MICHEL vergibt auch für jedes Markenbild ein sogenanntes Klischeezeichen, anhand dessen sich wiederkehrende Motive identifizieren lassen. Die Auflage einer Briefmarke wird, sofern sie recherchierbar ist, ermittelt und angegeben.

Der Redakteur unterscheidet zur Klassifizierung der Briefmarken zwischen Frei-, Flugpost-, Dienst-, Portomarken und vielen anderen. Auch muss zwischen Blocks und Kleinbogen, Markenheftchen und Folienblättern etc. unterschieden werden. Dazu haben wir Kriterien entwickelt, mit denen wir festlegen, welches Objekt in welche Kategorie einzuordnen ist.
Bei der Überarbeitung eines bestehenden Kataloges, beispielsweise des MICHEL-Deutschland-Spezial-Kataloges, sind ganz andere Fragen zu klären als bei der Neuheitenkatalogisierung. Hier muss beispielsweise entschieden werden, welche der vielen Abweichungen und Besonderheiten, die uns jährlich zur Aufnahme vorgeschlagen werden, tatsächlich gelistet werden und damit eine MICHEL-Nummer erhalten.

Damit sind wir beim Vergabeprozess komplexer MICHEL-Nummern im Spezialbereich. Sendet uns ein Sammler eine Briefmarke mit ihm unbekannter Abweichung ein, empfehlen wir ihm in aller Regel zunächst den Weg zum Prüfer, der einen Kurzbefund, einen Befund oder ein Attest ausstellt. Nach Sichtung dieser Prüfdokumente entscheidet die MICHEL-Redaktion über Aufnahme oder Nicht-Aufnahme in den Katalog. Druckzufälligkeiten werden bei MICHEL in aller Regel nicht katalogisiert, Abarten können in den Katalog aufgenommen werden. Bei Plattenfehlern sind Größe und Deutlichkeit maßgebliche Kriterien. Jede Katalogneuaufnahme erhält sodann ihre individuelle MICHEL-Nummer.

Die Vergabe der MICHEL-Nummer erfolgt grundsätzlich durch den zuständigen MICHEL-Redakteur. Wenn ein Prüfer im Vorfeld eine MICHEL-Nummer in sein Attest einträgt, so geschieht dies in Kenntnis der MICHEL-Nummerierungssytematik. In Fällen, in denen der Prüfer nicht weiß, welche MICHEL-Nummer die Redaktion voraussichtlich vergeben wird, erfolgt keine Eintragung einer Nummer in das Attest.

Grundsätzlich verwendet MICHEL für die Kennzeichnung der zu katalogisierenden Unterschiede Groß- und Kleinbuchstaben, die jeweils verschiedene Aussagen beinhalten. Die ersten Großbuchstaben des Alphabetes stehen für die verschiedenen Trennungsarten der Marke, die ersten Kleinbuchstabes für wichtige Farbunterschiede. Die letzten Großbuchstaben des Alphabetes codieren Wasserzeichenvarianten, die letzten Kleinbuchstaben Papier- und Gummierungsunterschiede. Mit römischen Ziffern bezeichnen wir Druckarten und Typenunterschiede, aber auch Plattenfehler.

Jedes Land und jedes Untergebiet beginnt im Normalfall mit der Hauptnummer 1. Jedem ist klar, dass es damit schnell zu Verwechslungen kommen kann. Welches Land ist im Einzelfall gemeint? Der MICHEL-Länderschlüssel bringt die gewünschte Ordnung in diese große Zahl an Gebieten. So besteht jede MICHEL-Nummer aus dem Länderschlüssel, der Hauptnummer und gegebenenfalls weiteren Untergruppen. Insgesamt verwalten wir bei MICHEL mehr als 2200 Länder bzw. Länderschlüssel.

Wie kompliziert sich die MICHEL-Nummernvergabe im Spezialbereich gestalten kann, lesen Sie im Bericht „Die MICHEL-Nummern – Komplexe Persönlichkeiten“.

Während ihrer über 100-jährigen Geschichte hat die MICHEL-Redaktion den Katalog an Präfices (stehen vor der MICHEL-Hauptnummer) und Suffices (stehen nach der MICHEL-Hauptnummer) kontinuierlich und umfangreich ausgebaut. Mit dem schmalen Bändchen von 1910 haben die rund 70 verschiedenen MICHEL-Kataloge von heute nicht mehr viel gemein.

Bei MICHEL dauert der Validierungspozess, der zur Katalogisierung einer Briefmarkenneuausgabe führt, im Durchschnitt 45 Minuten. Die komplette Neubearbeitung eines ganzen Gebietes für einen Spezial-Katalog kann je nach Umfang mehrere Tage aber auch mehere Wochen dauern. Schließlich müssen viele Gespräche mit Experten geführt, Darstellungen entworfen und gegebenenfalls überarbeitet werden. Der Redakteur feilt solange an jedem Briefmarkensatz, bis er sicher ist, dass der Katalognutzer auch alles nachvollziehen und verstehen kann.

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Die MICHEL-Nummern – Komplexe Persönlichkeiten

Im September 1948 erschienen in Deutschland die ersten Werte der „Bautenserie“ – einer Dauerserie, deren Produktion gezeichnet war vom Zeit-, Personal-, Material- und Maschinenmangel der Nachkriegsjahre.

Wer die Bauten-Freimarken der Amerikanischen und Britischen Besatzungszone spezialisiert sammelt, kennt das Ergebnis: komplexe MICHEL-Nummern, die der herstellungsbedingten Vielzahl an Wasserzeichen-, Typen- und Zähnungsvarianten gerecht werden müssen.
Nehmen wir zum Beispiel die MICHEL-Nummer BIZO 75 I W B. Was steckt hinter den einzelnen Bestandteilen dieses Nummernkomplexes?

1. BIZO = Länderschlüssel des Sammelgebietes Amerikanische und Britische Zone („Bizone“)
2. 75 = laufende Hauptnummer, im Satz nach aufsteigender Nominale geordnet, hier 5 Pfennige
3. I = Zeichnung des Markenmotivs in Type I, einer von gesamt fünf verschiedenen Zeichnungsvarianten
4. W = Wasserzeichen 1 W, eine von gesamt vier verschiedenen Wasserzeichenvarianten
5. B = Linienzähnung L 11, eine von 15 verschiedenen Zähnungen

Machen wir einen gedanklichen Transfer: Die MiNr. BIZO 75 V X F ist also demnach ein 5-Pfennig-Wert in der Zeichnungsvariante V mit Wasserzeichenvariante 1 X und der Zähnung F = Kammzähnung K 11 ¼ : 11. Komplex aber systematisch, oder?

Nun, für den MICHEL-Redakteur, der seinerzeit vor der Aufgabe saß, die Bautenserie zu katalogisieren, war das Ganze nicht so klar strukturiert – er sah sich mit einem Wust an Varianten konfrontiert, den er erst einmal umformen musste in ein logisches MICHEL-Nummern-System. Und das war durchaus ein kreativer Akt – schließlich sind weder die Codierungen der verschiedenen Varianten, noch die Reihenfolge der Nummernbestandteile gottgegeben. Wer sagt, dass zuerst die Type, dann die Wasserzeichen codiert werden? Wo steht geschrieben, welcher Buchstabe welche Zähnungsvariante codiert? In der Redaktion ist ein hohes Maß an schöpferischer Leistung gefragt, um von Markenausgabe zu Markenausgabe ein Darstellungssystem zu erarbeiten, das möglichst übersichtlich und umfassend ist – mit einem einfachen Schema X ist da niemandem geholfen.

Nehmen wir zum Vergleich die MiNr. SBZ 92 A X a p1 der Sowjetischen Besatzungszone, Thüringen. Anders als bei der Marke BIZO 75 I W B ist für sie die Fülle an verschiedenen Papiersorten bezeichnend – hier muss der Redakteur das Pferd also anders aufsatteln. Er vergibt die letzten Kleinbuchstaben des Alphabetes für die Papiere: p, q, r, s, t, u, v, w, x, y, z. Weil sich einige der Papiere untereinander ähnlicher sind, spaltet er das Ganze aber nochmals auf: p1 und p2, y und yy, z1 und z2. Gesamt vergibt er Kennungen für 14 verschiedene Papiere. Um die Gummierungsvarianten von den Papieren abzusetzen, verwendet er hier (ausnahmsweise) Großbuchstaben: X und Y. Die Zähnungsunterschiede nennt er A und B. Und dann sind da noch die Farbunterschiede a, aa, b, ba, etc. In diesem Fall beginnt die MICHEL-Unternummerierung also mit der Zähnung, gefolgt von Gummmierung und Farbe und fächert sich schließlich auf in die zahlreichen Papiere.

Wir sehen, jedes Sammelgebiet, jedes Postwertzeichen hat seine individuellen Besonderheiten – um diese in eine sinnvoll strukturierte Darstellung zu übersetzen, braucht es einiges an Recherche, Sachkenntnis und Erfindungsgeist. Am Ende dieses kreativen Prozesses aber steht das, was jede Marke weltweit eindeutig identifizierbar macht: die MICHEL-Nummer.

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Eine kleine Galerie weiterer komplexer MICHEL-Nummern:

MiNr. W2BM PO 5 Pl.-Nr. 1–39:
W2BM = Länderschlüssel Protektorat Böhmen und Mähren im Zweiten Weltkrieg, PO = Portomarke, 5 = laufende Hauptnummer, Pl.-Nr. = Plattennummer (am Unterrand), 1–39 = die jeweilige Plattennummer, hier die 1–39

MiNr. DDR 845 X x I A 1:
DDR = Länderschlüssel Deutsche Demokratische Republik, 845 = laufende Hauptnummer, X = Wasserzeichen 3 X (die richtigstehenden Kreuzblüten), x = Gummierung x (eine glänzende, weißgelbliche Dextringummierung), I = Zeichnungstype I (eine von 2 verschiedenen Zeichnungstypen), A 1 = eine von drei Untertypen der Zeichnungstype I

MiNr. BERL 184 v P OR:
BERL = Länderschlüssel Berlin, 184 = laufende Hauptnummer, v = geriffelte Gummierung (im Gegensatz zur glatten Gummierung w), P = Plattendruck (im Gegensatz zum Walzendruck W), OR = Oberrandstück
 
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