Thema: Vorphilatelie: Schnörkelbriefe und andere Belege aus der Vorphilazeit
roteratte48 Am: 01.08.2008 12:06:06 Gelesen: 306208# 2@  
@ Stempelwolf

Hallo Stempelwolf,

wir sind hier einer Meinung, das ist ein Beleg, der wirklich in die Rubrik "uralt" gehört. Es ist ein sehr interessanter Kanzleibrief aus dem Oktober 1633, inmitten des 30-jährigen Krieges, aus Stuttgart nach Dornstetten bei Freudenstadt; dort angekommen am 15. Oktober gemäß des rs. Präsentationsvermerkes.

Das Absendedatum hast Du im Scan leider abgeschnitten, so dass ich nichts zur Laufzeit sagen kann. Befördert wurde der Brief auf dem 1603 errichteten Kurs der reitenden Post Stuttgart - Dornstetten - Freudenstadt - Kniebis - Straßburg.

Im Inhalt geht es um die unberechtigte Auszahlung von 63 Gulden 22 Kreuzer sogenannter "Durchzugskosten", veranlasst durch den damaligen herzoglichen Vogt Hans-Ulrich Thüll "ohne Gewaldt", d.i. ohne die notwendige Vollmacht.

Stuttgart strebt nun einen Kompromiß an und fordert die Hälfte der ausgezahlten Gelder zurück. "Durchzugskosten" im 30-j. Krieg konnten zweierlei sein: Entweder Unterkunfts- und Verpflegungskosten für die Truppen oder aber, und das häufiger, per-capita-Abgaben für Flüchtlinge resp. Emigranten. Die Jahre 1633/1634 waren die bewegtesten für Dornstetten während des 30j.-Krieges - das Ganze kulminierte 1634 in der Schlacht bei Nördlingen. Einquartierungen und Truppendurchzüge sind an der Tagesordnung. Die berüchtigten "Villinger Söldner", geführt von Rittmeister Seeger, brandschatzen die Stadt und zerstören mehr als 50% der Bausubstanz.

Der Blaustiftvermerk stammt von der Hand eines Archivmitarbeiters, wohl aus der Zeit einer Neuordnung der Archivunterlagen, also nicht aus der Zeit! Das kann Ende des 19. Jhdts. gewesen sein, ebensogut aber auch erst nach dem 1. oder 2. WK (wo aus naheliegenden Gründen die Archive neu strukturiert und inventarisiert werden mussten).

Das Stück ist nicht ideal, aber sehr ordentlich erhalten - die Verschmutzungsspuren außen sind völlig normal. Leider wurde das herzogliche Siegel entfernt oder ist abgefallen. Briefe dieser Art sind gesucht und von Spezialisten geschätzt - ein Wert ist schwer bestimmbar, zu sehr sind Auktionsergebnisse von Heimatsammlern abhängig, die manchmal Liebhaberpreise bewilligen. Ansonsten liegt ein solcher Brief ohne Autograph zwischen 20 und 40 EUR.

Solltest Du weitere Fragen zu Schnörkelbriefen dieser Zeit haben - jederzeit gerne!

Gruß - roteratte48
 
Quelle: www.philaseiten.de
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