Thema: Weissrussland / Belarus ab 1992: Interessante Belege
Francysk Skaryna Am: 13.09.2014 13:53:53 Gelesen: 13343# 8@  
Moin,

seit 1994 wird am ersten Sonntag im September in Belarus der Tag der belarussischen Schriftsprache - День белорусской письменности genannt - an einem historisch / kulturell bedeutenden Ort im Lande begangen. Dieses Jahr wurde dieser Tag in Заславль / Zaslavl - belarussisch Заслаўе ausgetragen. Die kleine Stadt nördlich von Minsk gehört zu den ältesten Orten im Lande. Ihre Ursprünge reichen in das Jahr 983 zurück. Der Ort bildete im Frühmittelalter den Sitz eines Fürstentums, das im 14. Jahrhundert in das litauische Fürstentum aufging. Konzeptionnell sieht der Tag die Verbindung der belarussischen Schriftsprache mit der Geschichte und der Kultur von Land und Volk vor.

Zu diesem Anlaß verausgabte die Белпочта / Belpotschta bereits am 25. August eine Ganzsache, die in analogie zu bereits vorangegangenen Ausgaben zu diesem Anlaß steht. Der selbstklebende DIN C6 - Umschlag zeigt die beiden für die Stadt prägnanten Kirchen sowie eine Schreibfeder. Abgebildet ist unten rechts im Umschlag die katholische Костел Рождества Пресвятой Девы Марии / Mariae - Geburts - Kirche und im Markenfeld die Verklärungskirche. Die Nominale"A" decky das Porto für einen Standartbrief bis 20 Gramm / national ab. Gestaltet wurden Ganzsache und Sonderstempel von Евгения Бедоник / Ewgenia Bedonik. Die Auftragsnummer des in einer Auflage von 30.000 Stück vom der Папяровая фабрыка Дзяржзнака in Barysaŭ gedruckten Umschlages lautet № 11294-2014. Der Sonderstempel wurde allerdings nicht im Postamt Заслаўе-1 sondern in einem Zelt der belarussischen Post auf dem Festgelände abgeschlagen. Die Post nutzte die Gelegenheit und bot zudem auch weitere Produkte aus ihrem Sortiment an.



Ganzsache zum Tag der belarussischen Schriftsprache



Sonderstempel zum Tag der belarussischen Schriftsprache



Mariae - Geburts - Kirche



Verklärungskirche



Stand der Belpotschta



Schreibfeder - Deko im Post - Zelt

Eine kurze Geschichte der Sprache:

Die belarussische Sprache - беларуская мова - gehört zur Gruppe der ostslawischen Sprachen. Sie ist eng mit dem Ukainischen verwandt, etwas entfernter mit der Gruppe der westslawischen Sprachen wie dem polnischen. Russisch und belarussisch stehen einander sehr nahe. Die wesentlichen Unterschiede bestehen in der Aussprache sowie dem Wortschatz, während die tiefere grammatische Struktur ähnlich ist. Wie auch im russischen ist die Aussprache im belarussischen phonetisch. Belarussisch wird in Kyrillischer Schrift geschrieben, sein Inventar unterscheidet sich jedoch vom russischen Alphabet dahingehend, daß es die Buchstaben "Ў" (wird wie ein englisches "w" gelesen, wie in wood) und "І" (wird wie das russische И gelesen,) sowie die Digraphe "ДЖ" und "ДЗ" gibt, aber nicht die Buchstaben "Щ", "И" und "Ъ".
Ein Großteil des mittelalterlichen belarussischen Schifttums bestand - wie auch anderorts üblich - aus religiösen Texten. Dise Texte waren in Kirchenslawisch verfaßt, einer Kunstsprache auf südslawischer Basis. Francysk Skaryna, der als der erste Drucker Belarus` gilt, ließ als erster Bücher in dieser Sprachform drucken. Bekannt ist hier vor allem seine Библия руска / Biblija Ruska aus dem Jahr 1517. Durch seine Bibelübersetzungen leistete er einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung sowohl des ostslawischen volkssprachlichen Schrifttums im Allgemeinen wie auch der weißrussischen Sprache im speziellen.

Im Großfürstentum Litauen diente - wie auch im Litauischen Statut von 1566 festgehalten - belarussisch ab dem 14. Jahrhundert als Verwaltungssprache. In dieser Zeit entstanden auch Chroniken und Fachprosa. Diese Tradition endete jedoch 1696 mit dem Verbot der belarussischen Sprache im öffendlichen Bereich durch den Warschauer Reichstag. Die Rolle der polnischen Sprache im Staat war bereits durch die Union von Lublin 1589 stetig gewachsen. Diese Dominanz des polnischen wirkte sich auch auf die belarussische Sprache aus. Die Vielzahl polnischer Lehnwörter prägen den Wortschatz bis heute und unterscheiden ihn vom russischen. Die Teilung Polens im 18. Jahrhundert hinterließ ebenfalls ihre Spuren in der Sprache. Russisch löste die polnische Amtssprache ab und nach dem antirussischen Aufstand unter Kastus Kalinouski 1863 wurden die belarussische Sprache an den Schulen sowie der der Druck belarussischer Bücher wurde verboten. Dieses Publikationsverbot wurde erst 1905 aufgehoben, was zu einer Wiederbelebung der Sprache führte.

Während der deutschen Besatzung 1915 bis 1918 gewann das belarussische wieder den Status einer Staatssprache im westlichen Belarus, im weiteren dann auch in der Belarussischen Volksrepublik. In den 1920er Jahren erhielt belarussisch in öffentlichen Bereichen immer mehr Einzug und Verwendung.

In der Rechtschreibreform von 1933 wurde die belarussisch Orthographie dem russischen angeglichen. Dies führte zu zwei konkurrierenden Normen in der Schriftsprache - der sowjetischen einerseits und der traditionellen andererseits. Weitere Bestrebungen insbesondere in den 1960er bis in die 1980er Jahre hinein standen der Entwicklung der belarussischen Sprache entgegen. Nikita Sergejewitsch Chruschtschow forderte in einer Rede in Minsk die Belarussen dazu auf, zur russischen Sprache zu wechseln. In den 1970er Jahren besuchte nur noch ein fünftel der Schüler belarussischsprachige Schulen und ein drittel war vom Unterrichtsfach Belarussisch befreit. Erst im Zuge der Perestrojka setze eine Bewegung nach kultureller und sprachlicher Autonomie ein, die 1990 in das "Gesetz über die Sprachen in der Belarussischen SSR" mündeten, gefolgt von einem 1989 vom Ministerrat aufgelegten Programm zur Förderung der belarussischen Sprache. Im weiteren zeigte sich jedoch, daß der breite Rückhalt für eine rasche und durchgreifende Belarussifizierung in der Bevölkerung fehlte. Dieser Umstand spiegelte sich in einem 1995 durchgeführten Referendum wieder. Damit kam der Prozess einer gelenkten Belarussifizierung erst einmal zum Stillstand.

Heute ist die Zweisprachigkeit im Lande stark verbreitet. In einer 1999 durchgeführten Befragung gaben 37 % der befragten an, belarussisch von Haus aus zu sprechen. Dagegen gaben 59 % der befragten an, für die tägliche Kommunikation russisch zu verwenden. In der Praxis wird der belarussischen Sprache heute eher eine emotionale als praktische Bedeutung beigemessen. Auch wenn sie als Muttersprache nicht verwendet wird, so ist sie doch Bestandteil der Identität. Die Sprache existiert einerseits als Schriftsprache, aber auch in Form von Dialekten. Auf dem Lande ist belarussisch durchaus verbreitet. Es zeigt sich aber auch ein russischer Einfluß im Wortschatz. Als Schriftsprache wird belarussisch meist nicht von Kind an in natürlicher Kommunikation erworben sondern erst in der Schule. Verbreitet ist eine Tрасянка / Trasjanka genannte Mischform der belarussischen und russischen Sprache. Der belarussische Begriff bezeichnet ein aus Heu und Stroh gemischtes Viehfutter und seine Bedeutung für eine minderwertige Mischung würde auf den sprachlichen Bereich übertragen. Diese Sprachform entstand nach dem Zweiten Weltkrieg, als viele Menschen vom Lande in die Stadt umsiedelten und sich ihre Dialekte mit dem in der Stadt vorherrschenden russisch vermengten.

Gruß
 
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