Thema: Cinderellas: Wer kennt dieses "Land" / diese Region ?
Richard Am: 27.09.2008 08:53:36 Gelesen: 50326# 26@  
Gab es nicht mal Seeland Briefmarken ?

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Rostiger Empfang auf Sealand

Von Daniel Kastner

Dem selbst ernannten Staat Sealand droht der Untergang: Die Plattform im Meer korrodiert ihren Bewohnern unter den Füßen weg. So dringend braucht Sealand Geld, dass jetzt sogar Red Bull auf die Insel darf.

Als Chris Harrington den Dieselmotor anwirft, gibt es kein Zurück mehr. Es gab noch eins, als die Red-Bull-Leute im Jachthafen von Harwich auf das Schlauchboot warteten und nervös Witze machten. Und es gab auch noch eines, als Chris aus seinem Boot stieg, über den Anleger auf uns zuhumpelte und sich den Rücken hielt. "Zwischendurch ist die Fahrt ein bisschen heftig", sagt er. Da hätten wir noch Nein sagen können. Doch jetzt krallen wir uns an die Haltegriffe, und Chris' Boot prescht mit uns hinaus auf die Nordsee, zehn Kilometer weit bis nach Sealand.

Sealand, selbst ernannter Mikrostaat auf einer rostenden Plattform, hat 100 Staatsbürger (davon selten mehr als drei gleichzeitig im Mutterland) und braucht zum Überleben vor allem Geld. Red Bull, österreichischer Brausekonzern aus Fuschl am See, hat 4000 Angestellte weltweit, steckt dick im Skateboard-Sponsoring und braucht für seine Glaubwürdigkeit in der Szene spektakuläre Aktionen und funky Bilder.

Deshalb gehört das Fürstentum Sealand jetzt einen Tag lang Red Bull. Gegen Geld.

Ursprünglich war Sealand mal eine militärische Einrichtung: Die Briten hatten den Turm im Zweiten Weltkrieg als Hochseeflak in den Ärmelkanal gerammt, bald danach aber aufgegeben. 1967 besetzte der Ex-Major und Piratensenderbetreiber Paddy Roy Bates die windumtoste Konstruktion, taufte sie "Sealand" und erklärte sich kurzerhand zum Fürsten. Seine Ländereien: eine 200 Quadratmeter große Plattform mit Wohnbaracke und Hubschrauberlandeplatz, die in 16 Metern Höhe auf zwei hohlen Betonpfeilern thront; dazu Hoheitsgewässer, die sich allerdings mit den britischen überschneiden.

Erfolglose Versuche der Briten, Sealand zu räumen

Versuche der Royal Navy, Sealand zu räumen, schlugen Bates' Leute mit Benzinbomben und Gewehren zurück. Danach verloren die Briten die Lust, wegen einer Militärruine das Leben von Soldaten zu gefährden. Ein Gericht in Essex erklärte sich für nicht zuständig - die De-facto-Anerkennung, findet Sealand.

Skateboarden auf hoher See

Nach zehn Minuten Schlauchbootrodeo kommt die Plattform in Sicht. Chris steuert neben einen der beiden Pfeiler, auf denen Algen und Muscheln wuchern, die aber weder Sprossen noch eine Leiter haben. Oben dröhnt der Dieselmotor los, ein Haken schwebt herunter, dann hievt eine Winde das komplette Boot in die Höhe. Bitte aussteigen!

Sealand präsentiert sich in Rostbraun: verrottete Ölfässer, abblätternde Farbe. Rund um die Wohnbaracke klaffen fußgroße Löcher im Boden. Vermutlich passt auch ein ganzer Mensch durch - dank der darüberliegenden Metallplatten lässt sich das nicht genau sagen.

Zweifelhafte Autonomie

Heute kaschieren zwei Skateboardrampen den Lochfraß. Fünf Skater rollen darüber, absolvieren haarscharf am Abgrund Luftsprünge, hüpfen samt Brett vom Dach der Baracke. Ein Kamerateam filmt sie dabei vom Boot aus, ein anderes aus dem kreisenden Hubschrauber. Nur um die Bilder geht es, Publikum gibt es keines: Schon mit dem 20-köpfigen Red-Bull-Tross ist Sealand überbevölkert.

Gut, dass es eine Einwanderungsbehörde gibt. Die Behörde heißt Tina und ist mit Chris verheiratet. Sie hat die Statur einer Kugel und trägt eine Machete am Hosenbund, mit der sie einem die Hand abhacken könnte. Und vermutlich auch würde. "Ich bin für eure Sicherheit verantwortlich", sagt sie und stapft in die Küche, wo ein Topf mit Wasser auf dem Gasherd blubbert. Sie erteilt Visa für zwei Tage und stempelt die Pässe. Dann schenkt sie Kaffee und Tee aus.

Vom Kaffeepulver bis zur Gaskartusche muss Sealand alles aus Großbritannien importieren. Die Handys funktionieren mit britischem Netz. Das Fürstentum im Ärmelkanal mag sich unabhängig fühlen - autark ist es nicht, trotz Windrad auf dem Dach und Auffangbecken für Regenwasser.

Gescheiterte Vermarktung

Paddy Roy Bates und sein Sohn Michael, der Prinzregent, haben immer versucht, mit Sealand Geld zu verdienen oder es wenigstens rentabel zu machen. Es gab Pläne für ein Hotel und ein Kasino; im Südturm, den wir nicht besichtigen dürfen, soll ein Serverpark stehen. Und jetzt haben sie die Plattform Red Bull überlassen, dessen Mitarbeiter auf Wände und Fässer ihr Logo sprühen für die "branded shots" - Bilder, auf denen wie zufällig das Bullenlogo auftaucht.

Das Geld, das Red Bull zu viel hat, kann Sealand gut gebrauchen. Nicht nur, weil das Staatsgebiet rasant rostet und früher oder später in die Nordsee zu bröseln droht: 2006 zerstörte ein Feuer die Wohnräume und Teile des Nordturms. Chris' Baufirma Church and East Ltd. richtete die Plattform wieder her. Im Gegenzug sind Chris und seine Frau jetzt Miteigentümer von Sealand und zugleich das staatliche Reisebüro. Ein Visum kostet 100 Sealand-Dollar, eine Übernachtung 200, kommerzielle Filmaufnahmen 4000. Der Sealand-Dollar ist der Einfachheit halber an den US-Dollar gekoppelt, gezahlt wird dennoch mit britischen Pfund.

Church and East haben die Decken der Wohnräume mit Holz verkleidet und die Wände vergipst, nur an der Inneneinrichtung wurde gespart: zerschlissene Sofas, eine Hausbar mit leeren Whiskyflaschen, ein kleiner Weihnachtsbaum aus Plastik. Der Palast eines exzentrischen Fürsten sieht anders aus.

(Quelle aus ausführlich weiter mit Informationen, Bildern und einem Interview des Price of Sealand: -> http://www.ftd.de/lifestyle/outofoffice/:Mikrostaat-Rostiger-Empfang-auf-Sealand/418594.html?p=3)
 
Quelle: www.philaseiten.de
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