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Thema: Vorphilatelie: Schnörkelbriefe und andere Belege aus der Vorphilazeit
Das Thema hat 259 Beiträge:
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Stempelwolf Am: 22.07.2008 23:46:50 Gelesen: 304948# 1 @  
Ein Schnörkelbrief aus dem Jahr 1633 - das ist für mich "Uralt". Leider kann ich diese alte Handschrift nicht lesen bis auf: daß der Brief in Stuttgart im Oktober 1633 von Herzog Eberhardt von Württemberg (geschrieben wurde) - hat Schreiben lassen. Irgendjemand hat mit Blaustift "1633" in die linke obere Ecke geschrieben.

Vielleicht weiß ja jemand was es damit auf sich hat?






 
roteratte48 Am: 01.08.2008 12:06:06 Gelesen: 304841# 2 @  
@ Stempelwolf

Hallo Stempelwolf,

wir sind hier einer Meinung, das ist ein Beleg, der wirklich in die Rubrik "uralt" gehört. Es ist ein sehr interessanter Kanzleibrief aus dem Oktober 1633, inmitten des 30-jährigen Krieges, aus Stuttgart nach Dornstetten bei Freudenstadt; dort angekommen am 15. Oktober gemäß des rs. Präsentationsvermerkes.

Das Absendedatum hast Du im Scan leider abgeschnitten, so dass ich nichts zur Laufzeit sagen kann. Befördert wurde der Brief auf dem 1603 errichteten Kurs der reitenden Post Stuttgart - Dornstetten - Freudenstadt - Kniebis - Straßburg.

Im Inhalt geht es um die unberechtigte Auszahlung von 63 Gulden 22 Kreuzer sogenannter "Durchzugskosten", veranlasst durch den damaligen herzoglichen Vogt Hans-Ulrich Thüll "ohne Gewaldt", d.i. ohne die notwendige Vollmacht.

Stuttgart strebt nun einen Kompromiß an und fordert die Hälfte der ausgezahlten Gelder zurück. "Durchzugskosten" im 30-j. Krieg konnten zweierlei sein: Entweder Unterkunfts- und Verpflegungskosten für die Truppen oder aber, und das häufiger, per-capita-Abgaben für Flüchtlinge resp. Emigranten. Die Jahre 1633/1634 waren die bewegtesten für Dornstetten während des 30j.-Krieges - das Ganze kulminierte 1634 in der Schlacht bei Nördlingen. Einquartierungen und Truppendurchzüge sind an der Tagesordnung. Die berüchtigten "Villinger Söldner", geführt von Rittmeister Seeger, brandschatzen die Stadt und zerstören mehr als 50% der Bausubstanz.

Der Blaustiftvermerk stammt von der Hand eines Archivmitarbeiters, wohl aus der Zeit einer Neuordnung der Archivunterlagen, also nicht aus der Zeit! Das kann Ende des 19. Jhdts. gewesen sein, ebensogut aber auch erst nach dem 1. oder 2. WK (wo aus naheliegenden Gründen die Archive neu strukturiert und inventarisiert werden mussten).

Das Stück ist nicht ideal, aber sehr ordentlich erhalten - die Verschmutzungsspuren außen sind völlig normal. Leider wurde das herzogliche Siegel entfernt oder ist abgefallen. Briefe dieser Art sind gesucht und von Spezialisten geschätzt - ein Wert ist schwer bestimmbar, zu sehr sind Auktionsergebnisse von Heimatsammlern abhängig, die manchmal Liebhaberpreise bewilligen. Ansonsten liegt ein solcher Brief ohne Autograph zwischen 20 und 40 EUR.

Solltest Du weitere Fragen zu Schnörkelbriefen dieser Zeit haben - jederzeit gerne!

Gruß - roteratte48
 
duphil Am: 01.08.2008 19:34:49 Gelesen: 304823# 3 @  
@ roteratte48

Hallo!

Wie sagt man hier im Ruhrgebiet zu so einer Leistung wie diese "Übersetzung"?

"Boah, ey!"

Soll heißen, ich bin begeistert. Es ist für mich fazinierend, welch fähige und belesene Sammler hier im Forum mitschreiben. Ich persönlich hätte den Brief nie entziffern können. Selbstverständlich freut es mich auch, auf dies Art noch mit jeder Menge Hintergrundwissen versorgt zu werden.

Und damit komme ich zu einer Bitte, die vermutlich unverschämt ist: Ist es möglich, solche alten Briefe komplett, d.h. Wort für Wort zu "Übersetzen"? Ich würde auf diesem Wege gerne selber lernen, solche Uraltbeleg zu lesen.

Allerdings weiß ich nicht, was andere Forumsmitglieder darüber denken.

Mit freundlichen Gruß
Peter
 
roteratte48 Am: 01.08.2008 21:37:25 Gelesen: 304813# 4 @  
@ duphil

Hallo Peter,

nein, unverschämt ist eine solche Bitte ganz sicher nicht - und ich will ihr auch gerne nachkommen, sofern denn Interesse an der Materie besteht. Ich selbst bin über viele Jahre den Weg vom Generalsammler Klassik über die Briefmarken der altdeutschen Staaten zur Vorphilatelie und Postgeschichte gegangen.

Gelandet bin ich schließlich bei den Briefen des 16. bis zum 18. Jahrhundert, weil sie schön sind, weil sie eine Brücke schlagen zwischen Post- und Weltgeschichte, weil sie außen Posttaxen und Laufwege aufzeigen und innen häufig menschliche Schicksale und/oder politische Entwicklungen dokumentieren, wie sie plastischer und bewegender kein Buch übermitteln kann. Sie lesen zu können erfordert Übung und Geduld - aber das gilt für jedes Gebiet unseres gemeinsamen Hobbies, ob nun moderne oder klassische Phialtelie, ob bei Rohrpost oder altbayerischen Eisenbahnbelegen.

Sollten Mitglieder hier über Belege dieser Zeit verfügen - für sie alle gilt das Angebot wie für Stempelwolf - auch für vollständige Transkriptionen. Und sollte es gewünscht werden, dann kann ich in Abständen auch gerne Beispiele aus meinen Beständen zeigen - inklusive Gegenüberstellung von Original und Transkription zur Weiterbildung. ;o)

Herzliche Grüsse - Rolf
 
Jürgen Witkowski Am: 01.08.2008 22:15:54 Gelesen: 304803# 5 @  
@ roteratte48 [#146]

Deine Beiträge zum Thema Vorphilatelie sind sehr erwünscht, da kann ich duphil nur beipflichten. Bisher habe ich solche Briefe immer andächtig wieder weg gelegt, weil ich sie einfach zum allergrößten Teil nicht lesen und verstehen konnte. Als Heimatsammler entgehen einem dabei bestimmt viele wertvolle Informationen.

Mit besten Sammlergrüßen
Jürgen
 
duphil Am: 01.08.2008 22:28:07 Gelesen: 304796# 6 @  
@ Concordia CA

Hallo Jürgen!

Vielen Dank für Deine Unterstützung. Ich hoffe, viele, viele Forummitglieder melden sich mit ihren Belegen.

Selber habe ich zur Zeit keine Beleg zum Thema, aber das kann sich kurzfristig ändern. :)

Mit freundlichen Gruß
Peter

@ roteratte48 (#4)

Hallo Rolf!

Dir vielen Dank für das Angebot. Ich werde sicher bei Zeiten darauf zurückkommen. Deinen ersten Brief sehe ich mit Spannung entgegen.

Mit freundlichen Gruß
Peter
 
Stempelwolf Am: 01.08.2008 22:41:12 Gelesen: 304792# 7 @  
@ roteratte48

Hallo Rolf,

dein Angebot nehme ich gerne an - so nach und nach werde ich dir noch mehr Belege einscannen, damit wir alle klüger werden postalisch sowie philatelistisch als auch geschichtlich.

Danke für dein Engagement.

Beste Grüße, Wolfgang

Dies ist leider nur eine Briefhülle:


 
roteratte48 Am: 02.08.2008 08:53:58 Gelesen: 304775# 8 @  
@ Stempelwolf [#158]

Guten Morgen, Wolfgang,

dann lass die Dinge mal kommen - ich (und hoffentlich noch der ein oder andere) freue mich über alles Neue auf diesem Gebiet.

Rasch noch zu Deiner Briefhülle, die bereits eines der Probleme aufzeigt, mit dem wir bei Briefen dieser Art konfrontiert werden, es wurden sehr häufig Abkürzungen verwendet, ähnlich stenographischen Kürzeln. Ich schreibe die Anschrift jetzt bewusst einmal in heutiger Schreibweise aus - der Wort-für-Wort Vergleich mit Deinem Scan zeigt, was ich meine:

Dem ehrenfesten, hochgeachteten Herrn
Jacob Israel Metzger, Fürstlich württembergischer
Vogt zu Stuttgart. Meinem
insbesonders (gestrengen?), geehrten Herrn Nachbarn
und Freund - Stuttgart

Das verwendete Kürzel, das ich in Klammer gesetzt habe, könnte auch "großzügig[lich]" heißen - oft hilft dann nur der Abgleich mit anderen Schriftstücken von gleicher Hand.

Und nun ab zum Flohmarkt im Nachbardorf - ich werde vielleicht heute Abend einen ersten, möglichst klaren Brief vorstellen, der in seiner Lesbarkeit Mut macht. *gg*

Euch allen ein schönes Wochenende

Rolf
 
Stempelwolf Am: 02.08.2008 18:39:41 Gelesen: 304748# 9 @  
Alsdann der nächste Beleg - diesmal ein vollständiges Schreiben von Esslingen nach Stuttgart:


 

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