Einigen Sammlern ist sicherlich bekannt, dass die Auflösung des Abstimmungsgebietes Oberschlesien Mitte 1922 nicht von einem Tag auf den anderen sondern etappenweise erfolgte. Der Michel Deutschland-Spezial (Ausgabe 2017) äußert sich auf der Seite 784 relativ pauschal dahingehend, dass die jeweilige Gebietsübergabe zwischen dem 18.06. und 10.07.1922 erfolgte und oberschlesische Briefmarken mit der Übernahme der Verwaltung durch polnische bzw. deutsche Behörden umgehend ihre Gültigkeit verloren (und Mischfrankaturen unzulässig waren). Verwendungen in diesem Zeitraum seien als Nachverwendungen zu betrachten (siehe Vorwort auf S. 771), was m.E. inhaltlicher Unsinn darstellt, da in dem Zeitraum keine anderen Marken gültig waren.
Dank der Recherche über Google mittels gezielter Suchbegriffe war es mittlerweile überraschend einfach, das letzte Amtsblatt der interalliierten Kommission Oberschlesiens, das sog.
« Journal officiel de Haute-Silésie » ausfindig zu machen (nachdem in den vergangenen Jahren gelegentliche Recherchen im Internet erfolglos verliefen). Diese letzte Veröffentlichung – Nr. 38 – enthält als Anlage auf der Seite 15 (von 16) eine Art Fahrplan, wann die Truppen der Kommission welche Stadt- und Landkreise zu verlassen und diese in deutsche bzw. polnische Verwaltung übergehen [1]. Dieser Fahrplan wird auch als inhaltliche Wiedergabe im
« Handbuch vom Abstimmungsgebiet Oberschlesien » (Abteilung A, Seite 42/43) beschrieben, löste in meinen Augen beim erstmaligen Lesen vor 15 Jahren allerdings etwas Unverständnis bei der tagesgenauen Zuordnung der Stadt- bzw. Landkreise zu den einzelnen Etappen bzw. Terminen (Tagesdatum) aus, da in der textlichen Wiedergabe im Handbuch schlichtweg die geschweiften Klammern fehlen, welche im Original abgebildet sind.
Im Punkt VII.
"Post-, Telegraphen- und Fernsprechdienst“ des Kapitels III (Seite 12) im Journal Nr. 38 heißt es:
„Postwertzeichen – Die oberschlesischen Postwertzeichen verlieren ihre Gültigkeit für die Freimachung von Briefen und Paketen in jedem Kreise mit dem Tage, an dem die allgemeine Verwaltung dieses Kreises an die Deutsche oder Polnische Regierung übergeben wird.
Zu diesem Zeitpunkt werden die oberschlesischen Postwertzeichen, die noch im Besitze der Postanstalten des Kreises vorhanden sind, in dem sich diese Anstalten befinden, an die Oberpostdirektion in Oppeln unter Aufsicht des Vertreters der Regierungskommission übersandt. ...“Nachfolgend sei dieser Fahrplan als bessere Übersicht wiedergegeben. Als Tag 1 wird in dem Fahrplan der 17.06.1922 definiert, in eckigen Klammern wurde zum besseren Verständnis das entsprechende Tagesdatum gesetzt.
Da bereits Entwertungen auf polnischen Briefmarken aus dem Monat Juni 1922 bekannt sind, ist davon auszugehen, dass oberschlesische Briefmarken ebenfalls etappenweise ihre Gültigkeit verloren. Ich gehe davon aus, dass als letzter Verwendungstag jeweils der Tag gilt, an dem die alliierten Truppen den jeweiligen Kreis verließen und die offizielle Gebietsübergabe erfolgte. Die Briefmarken für das polnisch gewordene Ostoberschlesien kamen laut der Katalogisierung im Michel Deutschland-Spezial ab dem 19.06.1922 in den Verkehr.
In Klammern wurde neben den Stadt- bzw. Landkreisen zur erleichternden Orientierung die seinerzeit zukünftige Staatszugehörigkeit gesetzt: (D) = Deutsches Reich und (P) Polnische Republik. Zu jeder Etappe werden, soweit möglich, Beispiele aus dem Zeitraum vom 18.06. - 31.07.1922 gezeigt.
Etappe I - Stadt- und Landkreis Kattowitz (P), Kreuzburg (D), Oberglogau (D):Tag 2 [18.06.1922]: Ankunft der deutschen und polnischen Polizei in den Kreisen
Tag 3 [19.06.1922]: Abfahrt der alliierten Truppen aus den Kreisen
Tag 4 [20.06.1922]: Ankunft der polnischen und deutschen Truppen in den Kreisen
-> Gebietsübergabe am Tag 3 [19.06.1922]
weiterverwendeter Tagesstempel aus Kattowitz vom 25.06.1922 auf einer ostoberschlesien Briefmarke nach dem Übergang an Polen Etappe II - Königshütte (P) und Leobschütz (D):Tag 5 [21.06.1922]: Ankunft der deutschen und polnischen Polizei in den Kreisen
Tag 6 [22.06.1922]: Abfahrt der alliierten Truppen aus den Kreisen
Tag 7 [23.06.1922]: Ankunft der polnischen und deutschen Truppen in den Kreisen
-> Gebietsübergabe am Tag 6 [22.06.1922]
unzulässige Mischfrankatur von 2x 2 Mark in gültigen und ungültigen Briefmarken in Katscher (Kreis Leobschütz) vom 30.06.1922; an dem Tag waren bereits die Marken des Deutschen Reiches gültig; es galt noch bis zum diesem Tag das Porto von 2 Mark für einen Fernbrief bis 20g (am Tag darauf bereits ein Porto von 3 Mark) Etappe III - Rosenberg (D) und Lublinitz (D/P);
östlich der neuen Grenze Tarnowitz (P), Beuthen Stadt (P), Beuthen Land (P), Gleiwitz Land (P), Groß-Strehlitz (P):Tag 8 [24.06.1922]: Ankunft der deutschen und polnischen Polizei in den Kreisen
Tag 9 [25.06.1922]: Abfahrt der alliierten Truppen aus den Kreisen
Tag 10 [26.06.1922]: Ankunft der polnischen und deutschen Truppen in den Kreisen
-> Gebietsübergabe am Tag 9 [25.06.1922]
Leider liegen bisher keine Belegexemplare in der eigenen Sammlung vor.
Etappe IV - Cosel (D), Pleß (P);
Zabrze (P) [=Hindenburg] (südöstlich der neuen Grenze):Tag 11 [27.06.1922]: Ankunft der deutschen und polnischen Polizei in den Kreisen
Tag 12 [28.06.1922]: Abfahrt der alliierten Truppen aus den Kreisen
Tag 13 [29.06.1922]: Ankunft der polnischen und deutschen Truppen in den Kreisen
-> Gebietsübergabe am Tag 12 [28.06.1922]
Handstempelabschlag aus Nikolai (Kreis Pless) vom 26.06.1922 Etappe V - Ratibor Stadt und Land (D), Rybnik (P), Gleiwitz Stadt und Land (D), Beuthen Stadt (D) sowie
westlich der neuen Grenze Tarnowitz (D), Zabrze (D) [= Hindenburg] und Beuthen Land (D):Tag 14 [30.06.1922]: Abfahrt der alliierten Truppen aus den Kreisen
Tag 15 [01.07.1922]: Abfahrt der alliierten Truppen aus den Kreisen
Tag 16 [02.07.1922]: Ankunft der polnischen und deutschen Polizei in den Kreisen
Tag 16 [02.07.1922]: Abfahrt der alliierten Truppen aus den Kreisen
Tag 17 [03.07.1922]: Abfahrt der alliierten Truppen aus den Kreisen
Tag 18 [04.07.1922]: Ankunft der polnischen und deutschen Truppen in den Kreisen
-> Gebietsübergabe am Tag 17 [03.07.1922]
Mit einer Dienstmarke frankierte Sendung aus Ratibor vom 23.06.1922 am 03.07.1922 galten in Gleiwitz noch oberschlesische Briefmarken (mutmaßlich Letzttag), einige Tage später (18.07.1922) bereits wieder deutsche Briefmarken am 03.07.1922 galten in Beuthen noch oberschlesische Briefmarken (mutmaßlich Letzttag), fünf Tage später bereits wieder deutsche Briefmarken am 03.07.1922 galten in Hindenburg (Zabrze) noch oberschlesische Briefmarken (mutmaßlich Letzttag) Etappe VI - Groß-Strehlitz (D), Oppeln Stadt (D) und Oppeln Land (D):Tag 19 [05.07.1922]: Abfahrt der alliierten Truppen aus den Kreisen
Tag 20 [06.07.1922]: Abfahrt der alliierten Truppen aus den Kreisen
Tag 21 [07.07.1922]: Ankunft der Polizei in Groß-Strehlitz
Tag 21 [07.07.1922]: Abfahrt der alliierten Truppen aus den Kreisen
Tag 22 [08.07.1922]: Ankunft der Polizei in Oppeln
Tag 22 [08.07.1922]: Abfahrt der alliierten Truppen aus dem Kreise Groß-Strehlitz
Tag 23 [09.07.1922]: Ankunft der deutschen Truppen in dem Kreise Groß-Strehlitz
Tag 23 [09.07.1922]: Abfahrt der alliierten Truppen aus den Kreisen Oppeln Stadt und Oppeln Land
Tag 24 [10.07.1922]: Ankunft der deutschen Truppen in den Kreisen Oppeln Stadt und Oppeln Land
-> Gebietsübergabe am Tag 22 [08.07.1922] und 23 [09.07.1922]
am 09.07.1922 galten in Oppeln noch oberschlesische Briefmarken (mutmaßlich Letzttag), dito am 30.06. bzw. 09.07.1922 (mutmaßlich Letzttag) im Landkreis Oppeln (Orte Carlsruhe und Przywor) am 28.06.1922 galten in Groß-Strehlitz noch oberschlesische BriefmarkenNachfolgend Screenshots der Originalveröffentlichung [1] zur Dokumentation:
Gruß
Pete
[1]
https://www.sbc.org.pl/dlibra/publication/25354/edition/22429/content?ref=desc @ cihs
[#3] und @ alle:
Dies ist eine Letzttagspostkarte aus Gleiwitz. Die Deutschen hatten ab dem 3.7.1922 Gleiwitz - Stadt wieder übernommen. Die Bevölkerung durfte ihre Abstimmungsmarken höchstwahrscheinlich bis zum 14.7.22 weiter verkleben.Eine interessante Karte aus dem Bedarf! Die Anerkennung (Duldung) der Frankatur scheint allerdings der Anordnung der Interalliierten Kommission zu widersprechen (siehe auch Beitrag
[#1]). Im Punkt VII. "Post-, Telegraphen- und Fernsprechdienst“ des Kapitels III (Seite 12) im Journal Nr. 38 heißt es:
„Postwertzeichen – Die oberschlesischen Postwertzeichen verlieren ihre Gültigkeit für die Freimachung von Briefen und Paketen in jedem Kreise mit dem Tage, an dem die allgemeine Verwaltung dieses Kreises an die Deutsche oder Polnische Regierung übergeben wird."Aber bekanntlich gibt es im Sammelgebiet Oberschlesien (so gut wie) nichts, was es nicht gibt. Die Dienstmarken Oberschlesiens wurden nach der Auflösung des Abstimmungsgebietes in den an das Deutsche Reich angegliederten Stadt- und Landkreisen über Monate hinweg (bis in das Jahr 1923 hinein) aufgebraucht, dies - soweit bekannt - stillschweigend [1]. Daher schließe ich nicht aus, dass auch die gängigen Freimarken Oberschlesiens für eine begrenzte Zeit weiterhin zur Frankatur zulässig waren. Für andere Abstimmungsgebiete ist der Aufbrauch von Briefmarken nach Abzug der jeweiligen Kommission belegt:
- Allenstein: Abzug der Kommission am 12.08.1920; Gültigkeitsende der Briefmarken am 20.08.1920
- Marienwerder: Abzug der Kommission am 16.08.1920; Gültigkeitsender der Briefmarken am 13.09.1920
- Schleswig: Abzug der Kommission am 16.06.1920 und Gültigkeitsende in der Zone 2 am 27.06.1920
Nachfolgend einige Ergänzungen zu den einzelnen Etappen aus Beitrag
[#1]:
Etappe I - Stadt- und Landkreis Kattowitz (P), Kreuzburg (D), Oberglogau (D): Tagesstempel aus Janow (Kreis Kattowitz) auf einer oberschlesischen Briefmarke vom 19.06.1922 - dem Tag der Gebietsübergabe an die Polnische Regierung weiterverwendeter Tagesstempel aus Chorzow (Kreis Kattowitz) vom 28.06.1922 auf einer ostoberschlesischen Briefmarke nach dem Übergang an Polen Etappe III - Rosenberg (D) und Lublinitz (D/P);
östlich der neuen Grenze Tarnowitz (P), Beuthen Stadt (P), Beuthen Land (P), Gleiwitz Land (P), Groß-Strehlitz (P): weiterverwendeter Tagesstempel aus Lipine (Kreis Beuthen) vom 28.06.1922 auf einer ostoberschlesischen Briefmarke nach dem Übergang an Polen neuer polnischer Tagesstempel aus Lubliniec (dt. Lublinitz) vom 15.07.1922 auf einer ostoberschlesischen Briefmarke nach dem Übergang an PolenGruß
Pete
[1]
https://www.philaseiten.de/cgi-bin/index.pl?ME=8934#M9 Beiträge 9 bis 12
Nachfolgend einige weitere Ergänzungen zum Ursprungsbeitrag
[#1]:
Etappe I - Stadt- und Landkreis Kattowitz (P), Kreuzburg (D), Oberglogau (D):Mit der Übernahme der Orte in die jeweilige Staatshoheit (deutsch bzw. polnisch) sollten die oberschlesischen Freimarken die Gültigkeit verlieren. Im nachfolgenden Fall war die Gebietsübergabe bereits vollzogen (19.06.1922). Es wurde dennoch eine Freimarke Oberschlesiens mittels seinerzeit neuem polnischem Tagesstempel entwertet.
Stempelabschlag aus Szopienice (dt. Schoppinitz) vom 10.07.2[2] Etappe III - Rosenberg (D) und Lublinitz (D/P);
östlich der neuen Grenze Tarnowitz (P), Beuthen Stadt (P), Beuthen Land (P), Gleiwitz Land (P), Groß-Strehlitz (P):Mit der Übernahme der Orte in die jeweilige Staatshoheit (deutsch bzw. polnisch) sollten die oberschlesischen Freimarken die Gültigkeit verlieren. Im nachfolgenden Fall war die Gebietsübergabe noch nicht vollzogen (25.06.1922), allerdings bereits der neue polnische Tagesstempel in Gebrauch:
Stempelabschlag aus Świerklaniec (dt. Neudeck) vom 22.06.1922Der Michel Deutschland-Spezial (Band 1) weist für polnische Tagesstempelabschläge auf Briefmarken Oberschlesiens pauschale separate Bewertungen für lose Marken und auf Belegen aus (siehe nach Mi-Nr. 29 im Katalog). Derartige Stücke sind zweifelsohne alles Andere als häufig.
Etappe VI - Groß-Strehlitz (D), Oppeln Stadt (D) und Oppeln Land (D):Das nachfolgende Exemplar weist ein Stempeldatum vom 26.02.1923 auf. Zu diesem Zeitpunkt waren die Briefmarken des Abstimmungsgebietes Oberschlesien nicht mehr gültig (Ausnahme: Dienstmarken, welche stillschweigend aufgebraucht wurden). M.W. musste die Jahreszahl in dieser Stempeltype gesteckt werden, daher scheint ein Datumsfehler eher unwahrscheinlich.
Ob die Nominale zu 80 Pfennig seinerzeit im Porto der Sendung berücksichtigt wurde, lässt sich bei diesem lose vorliegenden Exemplar leider nicht mehr klären.
Gruß
Pete