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Thema: Fälschungen erkennen: Ein attraktiver Rayon Faltbrief von 1850 - schön und wertlos
Richard Am: 29.07.2019 09:29:29 Gelesen: 2359# 1 @  
Schön, aber völlig missraten

Auf den ersten Blick wirkte der Faltbrief von 1850 attraktiv. Sobald aber die erste Begeisterung verflogen war, häuften sich die Fragen. Zurecht, wie sich später herausstellte.

von Fredy Brauchli
Kommission zum Schutze der Philatelie

Wieder einmal sprach mich als Rayon-Sammler ein Auktionslos spontan an. Es handelte sich um einen frühen Rayon-Faltbrief. Optisch recht ansprechend mit einer kontrastreich abgestempelten dunkelblauen Rayon I frankiert und erst noch ein Brief mit Nachtaxierung. Auch der rote Datumstempel war gut lesbar abgeschlagen. Alles in allem also ein schöner Beleg (Abb. 1). Und er war gemäss Los beschrieb erst noch mit einem Attest eines Prüfers unterlegt.



In die Vorfreude auf eine vielleicht attraktive Ergänzung meiner Sammlung mischten sich jedoch bald erste Zweifel. Und es waren mehrere Punkte, die irgendwie nicht stimmten:



Da war einmal die Nachtaxierung mit dem Rötelvermerk «10». Fehlten hier tatsächlich 10 Rappen bei der Frankatur? Handelte es sich tatsächlich um einen Brief in den dritten Briefkreis? Und was für eine Entwertung lag hier vor? Das war doch kein PP von St. Gallen, oder? Doch der Datumstempel belegte die Aufgabe des Briefes in St. Gallen. Klar und deutlich war das Datum des 16. November 1850 zu lesen. Dann kam noch dazu, dass die Marke mit roter Farbe entwertet war, was in St. Gallen niemals üblich war. Vielmehr wurde der Datumstempel immer rot abgeschlagen, die Marken aber konsequent schwarz entwertet. Anfänglich mit dem unverkennbaren PP (Abb. 2), das im Stempelwerk unter der Nummer 12A-49 aufgeführt ist. Später nach Einführung der Rautenpflicht mit einer schwarzen eidg. Raute. Aber hier handelte es sich doch um ein rotes PP von Bischofszell, AW Nr. 12A-55 (Abb. 3). Warum trug also der Beleg eine Entwertung von einem anderen Ort als der Datumstempel? Wurde der Brief wirklich in St. Gallen geschrieben oder vielleicht doch in Bischofszell?



Durch die Fragen verunsichert, erbat ich vom Auktionator eine Kopie des Brieftextes, weil ich davon Auskunft darüber erhoffte, woher der Brief wirklich stammte, denn da war ja noch die mir unerklärliche Nachtaxierung. Von St. Gallen bis Wohlen beträgt die Luftlinie ca. 83 km, was gemäss Tabelle, gültig vom 1.10.1849 bis 31.12.1851 eine Frankatur für den 2. Briefkreis (20 – 25 Wegstunden) erforderte, also 10 Rappen. Es bestätigte sich, dass der Brief in der Tat in St. Gallen geschrieben worden war (Abb. 4). Warum also eine Nachtaxierung von 10 Rappen?



Zu dem Zeitpunkt war ich ja nur Interessent und hatte den Brief nicht in Händen. Also verständigte ich den Auktionator von meiner inzwischen gewonnenen Erkenntnis, dass es sich klar um eine Frankaturverfälschung handeln müsse. Ich schlug ihm deshalb vor, den Brief baldmöglichst prüfen zu lassen und mir dann Bescheid zu geben.

Sie ahnen es: Urs Hermann, der den Brief geprüft hat, fällte eine vernichtendes Urteil. Verdankenswerterweise bekam ich folgende Informationen zum Prüfungsergebnis:

Als Urs Hermann die Marke ablöste, stellte er fest, dass diese

- eine dünne Stelle aufwies,
- einen verklebten Riss hatte,
- rückseitig mit Bleistift die Mängel an der Marke angezeigt waren (!),
- die Marke nicht original auf dem Brief haftete, sondern ursprünglich eine Rayon II Marke auf dem Brief gewesen sein musste.

Überdies bestätigte Urs Hermann, dass die Rötel-Nachtaxierung ebenfalls eine Fälschung war. Denn ursprünglich war der Brief korrekt frankiert, mit einer wahrscheinlich defekten Rayon II. Also hat ein Fälscher diese durch eine dunkelblaue Rayon I mit einer roten Vorausentwertung von Bischofszell ersetzt. Weil diese aber das Porto nur teilweise gedeckt hätte, wurde nachträglich eine Taxierung aufgemalt. Dumm nur, dass diese gegebenenfalls nicht 10, sondern nur 5 Rappen ausgemacht hätte. Nämlich entsprechend dem Differenzbetrag zwischen tatsächlicher und erforderlicher Frankatur. Und dann wies Urs Hermann noch auf etwas hin, dass mir selbst entgangen war: Zu jener Zeit, als der Brief gelaufen war, taxierte man noch nicht in Rappen-Einheiten, sondern in Kreuzer. Die zur 5 Rappen-Frankatur passende Taxierung wäre also eine «2» gewesen (2 Kreuzer = 5 Rappen).

Wieder einmal war also versucht worden, eine schadhafte, aber optisch attraktiv wirkende Marke durch eine Frankaturverfälschung aufzuwerten. Zum Glück mit offensichtlichen Fehlern.

Selbstverständlich wurde das Los vor der Auktion noch rechtzeitig zurückgezogen. Jener Prüfer, der dem Brief ursprünglich Echtheit bescheinigte, wurde mit einer Schadenersatzforderung konfrontiert.


Mit freundlicher Genehmigung des Autors Fredy Brauchli von der Kommission zum Schutz der Philatelie und Hans Schwarz, Chefredakteur der SBZ Schweizer Briefmarken Zeitung. Erstveröffentlichung im Dezember 2018.
 
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