Thema: Deutsche Abstimmungsgebiete Allenstein: Belege
olli0816 Am: 10.12.2019 15:43:26 Gelesen: 5117# 1 @  
Hallo zusammen,

heute wieder ein seltenes Thema, aber ich habe zu dem Gebiet einen Brief, der so manche Fragen aufwirft. Vielleicht gibt es hier einen Spezialisten, der etwas Licht ins Dunkel bringen kann. Falls ja, vielen Dank dafür.

Der Brief wurde mit 2*20 Pfennig (Michel 19), 1*40 Pfennig (Michel 21) je von Allenstein und eine Deutsche Reich Michel 141 von Allenstein am 13.7.1920 nach Arkona/Rügen abgesandt.

Hier schon meine erste Frage: War es üblich, Marken vom Deutschen Reich kombiniert mit den Allensteinmarken zu verwenden? Einfach nur Aufbrauch der Restbestände?

Dann der Ankunftstempel von Altenkirchen/Rügen am 18.9.1920: Die Zeitdifferenz erscheint mir sehr hoch. Beide Orte sind nicht soweit auseinander, dass man dafür - trotz der damaligen Zeit - über 2 Monate brauchen sollte. Evtl. einfach ein Einstellungsfehler? Oder kann man sagen, dass der Brief eine Fälschung ist? Wobei das bei dem Wert und dem nicht sehr hohen Interesse für dieses Gebiet nicht sonderlich logisch wäre - aber was ist schon logisch?

Alles bei dem Brief ist auf der Vorderseite, deshalb zeige ich nur diese.



Grüße Oliver
 
Stefan Am: 13.12.2019 21:13:01 Gelesen: 5073# 2 @  
@ olli0816 [#1]

Hier schon meine erste Frage: War es üblich, Marken vom Deutschen Reich kombiniert mit den Allensteinmarken zu verwenden? Einfach nur Aufbrauch der Restbestände?

Im Vorwort des Michel-Kataloges zum Abstimmungsgebiet Allenstein (1920) wird aufgeführt, dass Marken des Deutschen Reiches für den Zeitraum vom 03.04.-12.08.1920 als Mitläufer gelten, welche wegen Markenmangels (Marken des Deutschen Reiches mit Aufdruck für Allenstein) verwendet wurden. Während der Abstimmungszeit waren Briefmarken der Abstimmungsgebiete bzw. aufgrund der Umsetzung des Versailler Friedensvertrages neu erstandenen deutschsprachigen Gebiete ab 1920 bei Sammlern im Deutschen Reich recht beliebt und Spekulationen ausgesetzt.

Dann der Ankunftstempel von Altenkirchen/Rügen am 18.9.1920: Die Zeitdifferenz erscheint mir sehr hoch. Beide Orte sind nicht soweit auseinander, dass man dafür - trotz der damaligen Zeit - über 2 Monate brauchen sollte. Evtl. einfach ein Einstellungsfehler? Oder kann man sagen, dass der Brief eine Fälschung ist? Wobei das bei dem Wert und dem nicht sehr hohen Interesse für dieses Gebiet nicht sonderlich logisch wäre - aber was ist schon logisch?

Ich gehe eher davon aus, dass der Abgangsstempel von Allenstein (13.07.1920) falsch eingestellt war. Spekulativ könnte man meinen, dass anstelle des Tagesdatums auf dem Rädchen um zwei Felder vor (von Samstag auf Montag), versehentlich die Monatsangabe um zwei Felder zurückgedreht wurde. Die hinzugeklebte Marke Deutsches Reich Mi-Nr. 141 (Germania 10 Pf. orange) ist laut dem Michel Deutschland-Spezial mit einem Frühdatum vom 05.08.1920 belegt. Wenn man als Stempeldatum den Montag, 13.09.1920 annimmt, passt der Ankunftsstempel vom Donnerstag, 16.09.1920 eher. Die Orte Allenstein und Altenkirchen auf Rügen liegen ca. 600 km auseinander.

Die Briefmarken des Abstimmungsgebietes Allenstein waren laut dem Michel-Katalog bis zum 12.08.1920 (Datum des Abzugs der Interalliierten Kommission und damit Rückgabe des Gebietes an das Deutsche Reich) gültig. Ich gehe allerdings davon aus, dass (analog dem Abstimmungsgebiet Marienwerder) vor Ort Nachverwendungen zwecks Aufbrauch von Marken des Abstimmungsgebietes geduldet waren.

Das verklebte Porto scheint sich wie folgt darzustellen: 40 Pf. für eine Sendung bis 20 g im Fernverkehr + 50 Pf. Vorzeigegebühr bei Nachnahme = gesamt 90 Pfennig.

Ich finde den Beleg ganz reizvoll. :)

Gruß
Pete
 
olli0816 Am: 17.12.2019 18:49:13 Gelesen: 5036# 3 @  
Hallo Pete,

erst einmal Danke für die sehr ausführliche Antwort. Eine Verstellung der Stempel ist natürlich eine gute Erklärung für das 2-Monate-Loch. OK, ich habe im Vorwort nicht so genau nachgelesen, dass ein Mix aus Marken vom Deutschen Reich und welche mit den Allenstein-Aufdrucken möglich waren.

Gibt es eigentlich solche Kombinationen öfter? Mit diesem Gebiet kenne ich mich überhaupt nicht aus und es ist mein einziger Brief von Allenstein. Mir gefällt er auch ganz gut und ich habe ihn von einem kleinen Auktionator für recht wenig Geld bekommen.

Danke für deine Mühe.

Grüße Oliver
 
Stefan Am: 17.12.2019 21:56:19 Gelesen: 5019# 4 @  
@ olli0816 [#3]

Gibt es eigentlich solche Kombinationen öfter? Mit diesem Gebiet kenne ich mich überhaupt nicht aus und es ist mein einziger Brief von Allenstein. Mir gefällt er auch ganz gut und ich habe ihn von einem kleinen Auktionator für recht wenig Geld bekommen.

Allenstein läuft bei mir auch eher nebenher; der Sammelschwerpunkt meinerseits liegt auf einem anderen Abstimmungsgebiet. Zur Häufigkeit von Belegen mit Mischfrankaturen Allenstein - Deutsches Reich kann ich nichts sagen. Dafür gäbe es sicherlich den ein oder anderen Spezialisten hier im Forum.

In einem anderen (älteren) Michel Deutschland-Spezial lese ich den Hinweis, dass die Allensteinmarken bis zum 20.08.1920 (und nicht 12.08.1920) gültig gewesen wären. Dein Beleg läge vom Stempeldatum her auch außerhalb der Gültigkeitsdauer. Da ich annehme, dass dein Beleg tatsächlich bedarfsmäßig gelaufen ist, scheint dies dem stempelnden Postbeamten egal gewesen zu sein.

Gruß
Pete
 
volkimal Am: 10.02.2023 13:05:07 Gelesen: 897# 5 @  
Hallo zusammen,

wie man an diesem Brief sieht, hatten auch die Abstimmungsgebiete ihre Briefmarkenversandstellen. Hier ein Nachnahme-Einschreibe Brief der Briefmarkenvertriebstelle in Allenstein vom 30.8.1920 nach Münster (Westf.).



Brief der Gewichtsstufe von 20 – 250 g: 60 Pfennig
Einschreibegebühr: 50 Pfg.
Nachnahmegebühr: 50 Pfg.
Der Brief ist also mit 160 Pfg. portogerecht frankiert.

Ich vermute, dass die handschriftliche Zahl 1012 die Nummer der Nachnahme ist. Rechts daneben dürfte das Gewicht des Briefes „30 g“ stehen. Wenn meine Vermutung falsch ist, bitte korrigieren.

Viele Grüße
Volkmar
 
Stefan Am: 10.02.2023 14:06:00 Gelesen: 889# 6 @  
@ volkimal [#5]

wie man an diesem Brief sieht, hatten auch die Abstimmungsgebiete ihre Briefmarkenversandstellen. Hier ein Nachnahme-Einschreibe Brief der Briefmarkenvertriebstelle in Allenstein vom 30.8.1920 nach Münster (Westf.).

tzz, tzz, tzz ... die Post hat sich selbst "beschissen". Die Briefmarken von Allenstein waren bis einschließlich dem 20.08.1920 gültig. ;-)

Ich sehe es nicht zum ersten Mal, dass Allenstein-Briefmarken mit einer Entwertung nach dem 20.08.1920 vorkommen.

Wären die Briefmarken noch gültig gewesen, ließe sich hier von Nachläufern sprechen. So sehe ich hier eine postinterne Aufbrauchmaßnahme verbliebener Aufdruckbestände.

Gruß
Stefan
 
volkimal Am: 10.02.2023 19:13:35 Gelesen: 868# 7 @  
@ Stefan [#6]

Hallo Stefan,

danke für die Ergänzung. Allenstein ist absolut nicht mein Gebiet und ich hatte deshalb vorher in meinen alten Michel Deutschland Spezial (2012) geschaut. Dort war die Gültigkeit der Marken nicht erwähnt.

Nach Deiner Meldung habe ich aber doch etwas dazu in meinem uralten Michel Deutschland Spezial (1979/80) gefunden. Dort steht:

Die Abstimmungsmarken sind am 20.8.1920 außer Kurs gesetzt worden. Beide Serien … wurden für Innendienstzwecke (Paketkarten, Zahlkarten und Postanweisungen) noch bis zum 13. September 1920 in Ermangelung genügender Bestände deutscher Reichspostwertzeichen weiter verwandt, wobei vielfach Mischfrankaturen vorkommen.

Ob ein Brief der Briefmarkenvertriebstelle auch zum Innendienst zählt weiß ich nicht. Der Grund, weshalb man die Allenstein-Marken noch verwendet hat, ist aber damit klar.

Viele Grüße
Volkmar