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Thema: Klassische Privatpost Local-Verkehr Lübeck: Irrläufer bei Reichspost in Lübeck 1886
privatpost_klassisch Am: 11.07.2022 14:17:39 Gelesen: 729# 1 @  
Heute möchte ich zwei Belege vorstellen, die etwas über das Verhältnis der Privatpost zu ihren privaten Wettbewerbern erzählen.

Solange es zwei oder mehr Postdienstleister gibt, die das Postaufkommen über Briefkästen einsammeln, besteht immer die Möglichkeit, dass für das eine Unternehmen bestimmte Sendungen in einen Briefkasten der Konkurrenz geworfen werden. Die daraus entstehenden Irrläufer waren im Falle der Reichspost ihr von Anfang an ein Dorn im Auge und gleichzeitig eine Möglichkeit, die Konkurrenz zu behindern. So versuchte das Reichspostamt bis zur Mitte der 1890er Jahre immer wieder, die Aufstellung von öffentlich zugänglichen Briefkästen der Privaten zu verhindern, da aus ihrer Sicht das öffentliche Wohl durch die Verwechslungsgefahr beeinträchtigt wurde.

Der pragmatische Weg, die Irrläufer als unfrankierte Sendungen zu behandeln und mit Nachporto zu belegen, wäre zwar kundenfreundlich gewesen, war aber nicht im Sinne der Reichspost. Allerdings konnte sie sich dieser Vorgehensweise nicht ganz entziehen, da sie verpflichtet war, alle Briefe (also auch die Irrläufer der Privatpost) zu befördern. Dieser Beförderungszwang galt aus ihrer Sicht jedoch nicht für Drucksachen, wozu sie auch Postkarten zählte. Und das gab ihr die Gelegenheit, die Verursacher der Irrläufer zu „bestrafen“: Diese Sendungen wurden nach einer kurzen Lagerfrist vernichtet. Während der Lagerfrist konnten die Postkarten und Drucksachen beim jeweiligen Postamt abgeholt werden, eine Informationspflicht der Absender bzw. Empfänger bestand nicht. Nach zuverlässigen Schätzungen sind so mehr als eine Million Sendungen von der Reichspost vernichtet worden.

Mit diesem Wissen lässt sich die Geschichte der beiden im Folgenden abgebildeten Postkarten entschlüsseln. Es handelt sich um zwei Exemplare der ersten Lübecker Privatpostfirma, dem von Alfred Niels Julius Ingword Salvador Anfang 1888 gegründeten „Local-Verkehr“. Die Karten wurden vom jeweiligen Absender in einen Briefkasten der Reichspost geworfen und von der Reichspost als Irrläufer behandelt.

Wie laut Reglement vorgesehen wurde bei der roten Karte Müller Lübeck A P3II der ungültige Wertstempel mit blauem Strich eingefasst und der Tagesstempel vom 30. September 1888 danebengesetzt. Der zuständige Postbeamte ergänzte den blauen Strich um die Bemerkung „frankzwang“. Ein Nachportovermerk fehlt, die Karte wurde zur Aussonderung vorgesehen, was durch den zweiten Stempel mit der Legende „AUSG. | 30 9 | No 4“ dokumentiert wurde. Die Abkürzung „AUSG“ steht m. E. für „ausgesondert“. Vielleicht kann mir hier ein Kenner der Stempel des Deutschen Reiches weiterhelfen, ich habe nirgends einen Hinweis auf einen derartigen Stempel gefunden.

Auch die zweite Karte, Müller Lübeck A P1I, hatte ein ähnliches Schicksal. Allerdings schlug der Postbeamte in diesem Fall regelwidrig den Reichspoststempel auf dem Wertstempel ab. Zum besseren Verständnis seiner Vorgehensweise vermerkte er in blau „unzulässig“. Und dann wurde auch dieses gute Stück noch am selben Tag ausgesondert.

Wenn der jeweilige Absender/Empfänger sich nicht die Mühe gemacht hätte, die Sendung bei der Reichspost einzufordern und abzuholen, wären die beiden Karten vernichtet worden wie viele andere Karten auch. So sind sie zwei Glanzstücke einer Lübecker Privatpostsammlung.


 
ligneN Am: 11.07.2022 22:59:25 Gelesen: 695# 2 @  
Der Stempel "AUSG" hat mit einer Aussonderung nichts zu tun.

"AUSG" waren allgemeine Ausgabe- bzw. Zustellstempel. Die nachfolgende Nr. bezeichnet einen Ausgabe- oder Zustellzeitraum. Später wurde das durch vormittags/nachmittags oder Uhrzeiten/Uhrzeitgruppen ersetzt. Stempel mit Text "AUSG" kamen vor allem im Zeitraum ca. 1860er/1890er Jahre vor.

Um 1890/1945 war ein üblicher Begriff für Zustellung: "Bestellung". Der findet sich dann auch im Stempeltext.

Verschiedene Typen zeigt: http://www.ausgabestempel.de/

Berliner Typen (mit den großformatigen "BESTELLT VOM .... "): https://www.philaseiten.de/cgi-bin/index.pl?ST=1050&CP=0&F=1
 
privatpost_klassisch Am: 12.07.2022 07:14:53 Gelesen: 677# 3 @  
Vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich hatte gehofft, dass sich ein sachkundiger Sammler zu dem "AUSG"-Stempel meldet. Ich muss also meine "Geschichte" dahingehend umschreiben, dass der Absender/Empfänger die Karten abgeholt hat und bei der Abholung dies mit dem "AUSG"-Stempel dokumentiert wurde. Eine Zustellung an die Adresse des Empfängers ist sicherlich nicht erfolgt, da keine Nachporto-Vermerk vorhanden ist.
 
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