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Thema: Schweiz: Gedanken zur Marktlage 2022
Richard Am: 13.01.2023 09:42:51 Gelesen: 402# 1 @  
Gedanken zur Marktlage 2023

Wie in jedem Jahr machte sich Gottfried Honegger Gedanken zur Marktlage [1], die wir mit seiner Erlaubnis hier veröffentlichten:

Wieder einmal komme ich mir vor wie ein Kommentator eines Eishockeyspiels, der nach dem zweiten Drittel vorausschauend sagen soll, wie der Match zu Ende gehen wird! Genau so geht es mir, wenn ich den Geschäftsverlauf unserer Firma in diesem Jahre kommentieren soll. Der bisherige Verlauf des Jahres war in etwa gleich gut, wie jener der letzten beiden Jahre. Im Bankjargon könnte dies wohl mit «sehr befriedigend» bezeichnet werden. Ich jedoch ziehe die ehrlichere und klarere Aussage vor, dass wir mit dem Geschäftsverlauf sehr zufrieden sind. Die Umsätze und auch der Gewinn hielten sich mehr oder weniger im Bereich der beiden (sehr guten) letzten Jahre. Kommt noch dazu, dass bis zum Jahresende noch sechs Wochen verbleiben und es macht den Anschein, als könnten sich da noch einige grössere Abschlüsse ergeben. Dieses Resultat entspricht nicht ganz meinen eigenen Erwartungen. Dass wir die Pandemie ordentlich bis sogar gut überstehen werden, habe ich erwartet und letztes Jahr auch vorausgesagt. Aber damals hat kaum jemand angenommen, dass ein europäischer Diktator das Heil in einem heissen Krieg suchen wird. Nach dem 24. Februar 2022 hätten die meisten Leute einen konjunkturellen Einbruch mit den üblichen finanziellen Folgen und negativen langfristigen Auswirkungen erwartet. Dass es weit weniger schlimm gekommen ist, hat seine Gründe. Lassen Sie mich einige davon erwähnen:

Ende Februar beteiligten wir uns mit einem Stand an der Weltausstellung in London. Die gut besuchte Ausstellung bot die Gelegenheit zu einigen neuen Bekanntschaften mit neuen und zum Wiedersehen mit langjährigen Kunden. Im Mai schlug die Stunde der Schweizer Philatelie. Lugano ist immer eine Reise wert und diese Nationale bleibt uns in sehr guter und angenehmer Erinnerung. Wir waren vorgängig vor allem in den USA persönlich aktiv und das überaus erfreuliche Resultat zeigte sich in Form einer grösseren Delegation aus dem amerikanischen «Schweiz-Verein». Angesichts des Ukraine-Krieges war dies keinesfalls selbstverständlich, dass man solche Überseereisen schon wieder wagte. Wir waren mit dem Geschäftsverlauf sehr zufrieden und haben den Beweis erbracht, dass man im Tessin nicht nur die herrliche Umgebung geniessen und wandern (das haben wir auch getan!) kann, sondern dass man dort auch als Nicht-Ansässiger arbeiten und Geschäfte tätigen kann. Nach den wie üblich ruhigeren Sommermonaten folgten die Ausstellungen in London, in Ulm und in Basel. Teilweise mit überraschendem Besucherzulauf. Vor allem in Ulm durften wir viele altbekannte, aber auch neue Kundinnen und Kunden begrüssen. Das ist sehr erfreulich. Und nächste Woche nun freuen wir uns auf den traditionellen Jahresausklang mit der Messe in Monaco. Lassen Sie mich nun noch ein paar Punkte zu meiner Einschätzung der absehbaren Zukunft für unser Geschäft erwähnen. Wobei «absehbare Zukunft» schon etwas vollmundig tönt! Haben wir doch nicht zuletzt in diesem bald vergangenen Jahr gelernt, dass «morgen» schon nicht mehr gilt, was heute noch richtig ist. Die Zeit ist schnelllebig geworden und nicht alle mögen damit noch Schritt halten!

Ohne eigene Anstrengungen hat man schlechte Karten. Schon Goethe hat dies erkannt und formuliert: «Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.»

Die Pandemie hat viele Geschäfte «eliminiert», entweder dass sie altershalber aufgegeben worden sind oder dass ganz einfach keine Nachfolger gefunden werden konnten. Das hat natürlich automatisch auch zu einer Reduktion der Konkurrenten geführt. Man sieht dies nicht nur bei den Ladengeschäften, sondern auch an der heute viel kleineren Zahl an Auktionsfirmen. Für ideenreiche, aktive Händler sind dies durchaus Pluspunkte.

Der Herrgott hat uns Schweizer in eine privilegierte Kategorie eingeteilt! Wir haben aktuell eine Arbeitslosenquote von 1,9% und die Inflationsrate ist vom August 2022 bis im September 2022 von 3,5% auf 3,3% gefallen. Dem gegenüber liegt die Inflation im Euro-Raum um die 10% (in gewissen EU-Ländern noch sehr viel höher!). Der Grund liegt mehrheitlich bei den extrem gestiegenen Energiepreisen (Oel, Gas). Uns Schweizern bringt dies grosse Erleichterungen, vor allem im Import. Für unsere Nationalbank mag dies etwas anders aussehen (der Franken dürfte weiterhin gesucht werden als Fluchtwährung).

Dieses Jahr hat man gesehen, dass Flug- und Schiffsreisen wieder gut gebucht worden sind, nachdem in den beiden Pandemiejahren diese Sparten riesige Verluste erlitten hatten. Gut verdienende Leute, die wirtschaftlich für uns von Bedeutung sind, gibt es in fast allen Ländern. Diese konnten sich mit solchen Ferienreisen wieder etwas leisten. Man hat schon in den letzten beiden Jahren gesehen, dass vermögende Leute sich in alternativen Anlagen umgesehen hatten. Nicht nur im Bilder- und Schmuckmarkt, sondern durchaus auch in klassischen Briefmarken. Erneut sind wir Schweizer hier privilegiert, indem wir in unseren Alt-Schweiz-Marken ein Kulturgut besitzen, das in der Tat auf der ganzen Welt handelbar ist! Dies im Gegensatz zu den ältesten Ausgaben vieler anderer Länder. Hier haben wir neue Käufer finden können, die man vorderhand einmal als Anleger bezeichnen kann. Aber die Erfahrung lehrt mich, dass aus nicht wenigen aus dieser neuen, kaum bisher bekannten Käuferschicht erstaunlich informierte und interessierte Sammler werden, die man durchaus als die Philatelisten der Zukunft bezeichnen kann. In deren Händen liegt möglicherweise die Zukunft der klassischen Schweizer Philatelie!

Je nach wirtschaftlichen Gegebenheiten werden sich die Staaten unterschiedlich entwickeln. Wenn in Ländern in der aktuellen Gegenwart in grösseren Bevölkerungskreisen die pure Angst vor der Zukunft umgeht, ob man die höheren Energiepreise und die unweigerlich künftig auch höheren Krankenkassenprämien und Mietzinsen überhaupt noch bezahlen kann, so ist es ohne weiteres verständlich, dass man «unnötige» Ausgaben wie teure Ferienreisen oder Auslagen für ein Hobby erst einmal zurückschraubt. Man ist vorsichtig mit den Ausgaben und dreht den Euro zweimal um, bevor man ihn (unnötigerweise) ausgibt. Aber... jene Kreise, die sich mit alternativen Anlagen befassen, sind von diesen verständlichen Befürchtungen des gemeinen Volkes viel weniger betroffen. Denn die Saläre (und Gratifikationen) dieser Leute beinhalten Polster, die solche Dellen ohne weiteres vernachlässigbar erscheinen lassen. Ja, hier schlägt oft sogar die Erkenntnis durch, dass man in einer schwierigen Situation viel billiger einkaufen kann, als in einer Boomphase. Kluge Anleger verstehen dies zu nützen. Auch gehe ich persönlich von der Annahme aus, dass wir in der Schweiz von den angedachten Einschränkungen letztlich nicht betroffen sein werden. Mit den schon publizierten Sparappellen und dem speditiveren Ausbau der erneuerbaren Energiequellen allein, kommen wir wahrscheinlich «über die Runden».

Kaufen Sie nur Sachen, die Sie sich leisten können und die Ihnen Freude bereiten! Ihnen persönlich, nicht unbedingt andern! Ein Hobby soll in erster Linie Freude bereiten und darf auch etwas kosten! Warum denn muss ein Hobby auch noch finanziell rentieren? Jedes Mal, wenn Sie eine lang gesuchte oder erträumte Marke erwerben können, in der Hand halten oder beim häufigen Blättern im Album wieder sehen, sollen Sie eine echte Freude empfinden! Die Rendite beim Markenkauf soll also in der Sammlerfreude liegen. Meinetwegen auch in einem berechtigten Sammlerstolz. Natürlich können Sie Ihre Mittel auch in Wertpapieren anlegen. Nur wenige haben solche aber jemals in den Händen gehalten. Und können Sie eine den Briefmarken vergleichbare Freude empfinden, wenn neu gekaufte Aktien zu den alten Beständen einfach addiert und durch Fremdpersonen verwaltet werden?

Wir handeln ausschliesslich mit den alten, sogenannt klassischen Schweizer Marken von 1843 bis etwa 1870. Dazu kommen noch die vorphilatelistischen Briefe (als es noch keine Marken gab). Diese Ausgaben bilden eine alternative Kapitalanlage; möglicherweise eine der besten, jedenfalls eines der schönsten und interessantesten weltweiten Briefmarkengebiete überhaupt. Wenn jemand diese alten Schweizer Marken als Anlageobjekt auswählt, so investiert er automatisch in eine der härtesten Währungen der Welt. Selbst die wichtigste Währung der Welt, der US-Dollar, erlebt grosse Schwankungen. Beispiel: am 3.11.2022 lag der Umrechnungskurs des Dollars zum Schweizer Franken bei knapp 1:1. Am 11.11.2022 aber war der Dollar noch rund 94 Rappen wert! Ein Verlust von gut 5% in einer Woche! Dies als Beispiel für die Stärke des CHF. Bei einer Investition eines Ausländers (mit einer in der Regel schwächeren Währung) in klassische Schweizer Marken, deren Markt sich ja wie gesagt im starken Schweizer Franken abspielt, kann dieser Investor bei einem späteren Verkauf durchaus profitieren, indem er viel mehr der eigenen Währung zurück erhält, weil der Kurs viel tiefer liegt als beim Ankauf. Natürlich kann sich dieser Trend auch einmal umgekehrt entwickeln, aber das ist auf absehbare Zeit nicht anzunehmen.

Es ist mir ein echtes Anliegen, all jenen von Herzen Dank zu sagen, die uns auch in diesem Jahr die Treue gehalten haben. Aber nicht nur den Käufern, sondern auch den zahlreichen Sammlern (und Händlern), die uns ihre Sammlungen verkauft haben und die nach und nach den Weg zurück in den Markt als ganze Sammlung oder als Einzelstücke finden werden. Mein Sohn hat noch nie so viele Objekte erwerben können, wie dieses Jahr. Dieses Vertrauen ist für uns nicht selbstverständlich. Man kann es nicht kaufen und muss es sich verdienen. Danken möchte ich aber auch meiner ganzen Familie und Teilen unserer Verwandtschaft, die in der einen oder andern Form, vor allem beim Katalogversand mithelfen. Und in erster Linie meinem Sohn Markus. In seiner Person habe ich einen grosszügigen und vor allem sachkundigen Chef, der von der Schweizer Philatelie inzwischen viel mehr versteht als ich selber, weshalb ich ihm auch den grössten Teil unserer Aktien übergeben habe. In diesem Sinne sehen Sie, dass ich in meinem langjährigen Bemühen, mich in meinem Geschäft überflüssig zu machen, recht erfolgreich war!

Schmerikon, 17. November 2022

Gottfried Honegger

[1] https://honegger-philatelie.ch/de/wissenswertes/artikelsammlung/2023
 
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