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Thema: Tschechoslowakei: Sudetendeutsche Familiengeschichte fiskalisch betrachtet
Marcel Am: 18.09.2012 01:24:25 Gelesen: 16133# 1 @  
Erster Teil : Habsburger Monarchie

Heute möchte ich euch Gebührenmarken auf Dokumenten einer Sudetendeutschen Familie (ursprünglich Gastwirte aus Aussig) vorstellen, die was ihren Nachnamen betrafen mal Schmied und mal Schmidt sich nannten.

Ústí nad Labem (deutsch Aussig) ist eine Stadt im Norden von Böhmen, Tschechien.

Zuerst beginnen wir mit einem Taufschein aus Habstein vom 12.07.1907 mit einer Stempelmarke aus dem k.k. Österreich zu 1 Krone. Die Stempelmarke hatte 1898 ihre erste Verwendung.

Jestrebí (deutsch Habstein) ist eine Gemeinde des Okres Ceská Lípa in der Region Liberec im Norden der Tschechischen Republik.



Marcel
 
Marcel Am: 18.09.2012 01:49:46 Gelesen: 16131# 2 @  
Zweiter Teil : 1. Epoche der Tschechoslowakei

Als Zweites folgt ein Ausschnitt eines Lehrbriefes zum Uhrmacher vom 18.Sept. 1926 mit einer 2 Kronen Gebührenmarke (Erstverwendung 1919). In dem steht das er aus Neudröfel kommen soll - ein Schreibfehler - richtig heißt der Ort Neudörfel (Podhorí), Ortsteil von Ústí nad Labem.



Als Drittes folgt ein am 13.01.1928 abgeschlossener Kaufvertrag zum Erwerb einer Gastronomie in Warnsdorf.

Varnsdorf (deutsch Warnsdorf) ist eine Stadt mit 15.800 Einwohnern im Norden Tschechiens im Bezirk Decín, Ústecký kraj.

Varnsdorf grenzt im Norden, Süden und Osten an Sachsen und liegt an der Eisenbahnstrecke Zittau–Großschönau–Seifhennersdorf–Eibau und besitzt zwei Grenzübergänge in die sächsische Landstadt Seifhennersdorf (Zollstraße) und Gemeinde Großschönau (Hauptstraße) sowie einen weiteren touristischen Übergang nach Seifhennersdorf (Warnsdorfer Str.).


Der Kaufvertrag hat mehrerer Seiten - fiskalisch gesehen das Wichtigste hier:
1. Seite - eine 5 Kronen Gebührenmarke (1919) + Stempel des Steueramtes in Warnsdorf.



4. Seite - eine Beglaubigung der eigenhändigen Unterschriften vom Bezirksgericht Warnsdorf mit einer 3 Kronen Gebührenmarke (1919).



5. Seite - zeigt einmal den Identitätsnachweis aus Ústí nad Labem (deutsch Aussig) vom 26.01.1928 und dem Beschlusseintrag vom Bezirksgericht Warnsdorf am 16.04.1928 mit 3x 1 Krone Gebührenmarke (1919).



Als Viertes zeige ich euch einen Trauschein vom Pfarramt Hummel ausgestellt am 01.08.1928 über die Heirat am 27.07.1907 und einen Taufschein für das 1915 geborene Kind jeweils mit einer 1 Krone und einer 4 Kronen Gebührenmarke (1919).

Homole u Panny, bis 1991 Homole (deutsch Hummel) ist eine Gemeinde in Tschechien. Sie liegt zwölf Kilometer südöstlich von Ústí nad Labem und gehört zum Okres Ústí nad Labem.



Als Fünftes ist ein am 15.08.1928 durch die Gemeinde Neugarten ausgestelltes Sittenzeugnis mit einer 5 Kronen Gebührenmarke (1919) zu sehen.

Zahrádky (deutsch Neugarten) ist eine Gemeinde des Okres Ceská Lípa in der Region Liberec im Norden der Tschechischen Republik. Sie liegt im Tal des Robecský potok (Robitzer Bach), etwa fünf Kilometer südlich von Ceská Lípa (Böhmisch Leipa).



Als Sechstes kommt ein Geburts- und Taufschein des Seelsorgeamtes Hummel bei Großpriesen ausgestellt am 05.09.1928 ebenfalls mit einer 5 Kronen Gebührenmarke (1919).

Velké Brezno (deutsch Großpriesen) ist eine Gemeinde in Tschechien und liegt am rechten Elbufer zwischen Ústí nad Labem (Aussig) und Decín (Tetschen).
Haßlitz Gemeinde im dt. Landkreis Leitmeritz (heute: Haslice).




Als Siebentes seht ihr eine am 10.11.1928 durch die Bezirksbehörde ausgestellte Konzession zum Betriebe des Gast- und Schankgewerbes mit Auflagen die zu erfüllen sind. Das Ganze ist zweisprachig in tschechisch und deutsch mit einer 8 Kronen Gebührenmarke (1919).



Zum Achten ein Heimatschein ausgestellt am 04.09.1931 in Neugarten durch die Katastralgemeinde Neugarten in Böhmisch Leipa mit einer 5 Kronen Gebührenmarke (1919).

Der Okres Ceská Lípa (dt.: Bezirk Böhmisch Leipa) befindet sich in Nordböhmen und liegt zwischen dem Böhmischen Mittelgebirge, Jeschkengebirge und Böhmischen Paradies. Er gehört zum Liberecký kraj (Region Reichenberg).



Als Neuntes 3 Rechnungen des Kaffeehausbesitzers aus Warnsdorf vom 10.01.1936 jeweils mit 50 Heller Gebührenmarken (1919) versehen.



Zu den tschechischen Gebührenmarken ist noch hinzu zu fügen, das alle aus Pergament sind und die Aufschrift KOLEK übersetzt Wertmarke bedeutet.

Marcel
 
Marcel Am: 18.09.2012 01:56:12 Gelesen: 16128# 3 @  
Dritter Teil : Nationalsozialismus

Als Zehntes kommen wir in die Epoche der Nationalsozialisten - hier eine Sterbeurkunde ausgestellt durch den Standesbeamten in Warnsdorf am 03.11.1941 mit 3er Streifen 10 Rpf Gebührenmarke der Stadt Warnsdorf (mit Datum vom 04.11.1941).



Marcel
 
Marcel Am: 18.09.2012 02:14:16 Gelesen: 16127# 4 @  
Vierter Teil : Tschechoslowakei ab 1945

Als Elftes seht Ihr 4 Dokumente vom 06.11.1945 alle versehen mit einer 5 Kronen Gebührenmarke von 1938.
2x Rodný a krestní list (Geburts- & Taufschein) einmal von der röm.-kath. Kirche in Hummel und einmal aus der Kirche in Jestrebí (Habstein)
1x Oddaci list (Heiratsurkunde/Eheschein) aus Hummel
1x Domovsky list (Heimatschein) aus Zahrádky (Neugarten) ausgestellt durch národní výbor (Nationalausschuss)







Als Zwölftes zeige ich euch hier 2 Dokumente über Zjistení o zachování státního obcanství (Erkenntnisse über die Aufrechterhaltung Bürgerschaft) durch die Okresni spravni komise [(Bezirks-)Gebietsverwaltungskommission] mit jeweils einer 5 Kronen Gebührenmarke und ein Dokument Osvedcení o politické zachovalosti (Zertifikat über politische Erhaltung) durch die ANTIFA Warnsdorf ausgestellt am 11.11.1945 mit einer 1 Krone Gebührenmarke.





Auch hier sind alle Marken aus Pergament.

Marcel
 
Marcel Am: 18.09.2012 02:22:38 Gelesen: 16126# 5 @  
Letzter Teil : Vertreibung - Neustart in Thüringen

Dem »Massenmord von Aussig« am 31. Juli 1945 oder den wilden Austreibungen in Nordböhmen entgangen setzte ab Januar 1946 die organisierte Vertreibung ein was diese Familie erst nach Stanau, dann nach Neustadt/Orla brachte.

Stanau ist eine Gemeinde im thüringischen Saale-Orla-Kreis. Erfüllende Gemeinde für Stanau ist die Stadt Neustadt an der Orla.

Siehe dazu eine Anmeldung bei der polizeilichen Meldebehörde (Wohnungsamt) vom 09.09.1947 mit einer 50 Rpf erhobenen Gebührenmarke der Stadt Neustadt/Orla.



Abschließen möchte ich meinen umfangreichen fiskalisch-dokumentarischen Beitrag mit einer Sterbeurkunde - ausgestellt am 17.03.1953 mit 2 Gebührenmarken auf der Rückseite. Die erste ist eine 50 Rpf Verwaltungsgebührenmarke, die nicht nur in Neustadt/Orla angewandt wurde und die zweite ist eine 10 Rpf Gebührenmarke der Stadt Neustadt/Orla.



Wie lange diese Gebührenmarken in der DDR noch Verwendung hatten, entzieht sich meinen Kenntnissen.

mfG Marcel
 
10Parale Am: 16.04.2020 21:16:58 Gelesen: 5371# 6 @  
@ Marcel [#5]

Dem »Massenmord von Aussig« am 31. Juli 1945 oder den wilden Austreibungen in Nordböhmen entgangen setzte ab Januar 1946 die organisierte Vertreibung ein was diese Familie erst nach Stanau, dann nach Neustadt/Orla brachte.

Ich habe diese Familiengeschichte erst heute entdeckt und sie mit großem Interesse studiert. Ich finde sie eine wunderbare philatelistische Aufbereitung, die hoffnungsvoll beginnt und dann irgendwie tragisch endet mit Dokumenten über die Vertreibung, sozusagen "von der Wiege bis zur Bahre". Dabei scheint die Welt 1907 ja noch recht in Ordnung gewesen zu sein da drüben in den böhmischen Ländern.

Bin gerade selbst dabei dieses Thema aufzuarbeiten. 1907 war übrigens auch für die jüdische Bevölkerung noch eine starke Zeit. Ich lese gerade ein Buch von Joseph Wechsberg, der genauso wie der "Sudetendeutsche" (eine erst nach 1918 gebrauchte Bezeichnung) Joseph Schmied im Jahr 1907 zu Zeiten der Habsburger Monarchie in Moravska Ostrava geboren wurde. Dort verbrachte er unbeschwerte Tage mit seinem Vater beim Pilze sammeln im Wald. Die Nachricht von der Ermordung des österreichischen Thronfolgers und die Kriegserklärung am 28. Juli 1914 unterbrachen diese Idylle. Der Vater, - ein gut situierter jüdischer Bürger -, meldete sich freiwillig zur Armee und wurde kurz darauf in Galizien von einem russischen Maschinengewehrposten erschossen.

Sein Sohn Joseph emigrierte im Herbst 1938 nach Amerika und kehrte im Mai 1945 als amerikanischer Soldat zurück in seine Heimat. Er suchte dort nicht nur Erinnerungen, sondern auch konkret die Eltern seiner Frau. Der erste amerikanische Soldat nach Kriegsende in Mährisch Ostrau. Darüber schrieb er das Buch "Heimkehr", erschienen im ARCO Verlag Wuppertal. Auf Seite 8 schreibt er: "Vom Masary-Bahnhof, wo ich den ersten Zug nach Mähren Ostrau bestieg, markierten frische Blumen, Kränze, kleine Fähnchen und brennende Kerzen die Stelle, wo die Deutschen vor ein paar Tagen dreiundsiebzig tschechische Patrioten mit Maschinengewehren niedergemäht hatten."

Am 31. Juli 2005 wurde an Stelle des Attentats von Aussig eine Gedenktafel für die deutschen Opfer vom Bürgermeister Petr Gandalovic enthüllt.

Ich hoffe den einen oder anderen Aspekt bald mal philatelistisch belegen zu können Für mich ein weiterer Anreiz, nach dieser schlimmen Corona-Zeit, - zumal es die Gesundheit zulässt -, wieder mal eine Reise nach Böhmen/Mähren/Schlesien zu unternehmen.

Liebe Grüße

10Parale
 
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