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Thema: Württemberger Nachbarorts- und Oberamtsverkehr bis 1919
bekaerr Am: 05.11.2013 08:45:57 Gelesen: 16913# 1 @  
Hallo zusammen,

auf Anregung von wuerttemberger, hier also das neue Thema zur Abgrenzung vom "Nachbarortsverkehr der Deutschen Reichspost vom 1.4.1900 - 5.5.1920"

Hintergrund: Die Postrechte des Königreichs Württembergs gingen erst 1920 auf die Reichspost über. Dennoch verzichtete die Königl. Württembergische Post ab 1902 - anders als die Königlich Bayerische Post - ab 1902 auf die Herausgabe eigener Briefmarken und benutzte Reichspostmarken. (Ob diese eigentlich als württembergische Marken betrachtet werden müssten, da sie ja von der württembergischen Post verkauft wurden, ist eine andere Frage)

Ich möchte zum Einstieg hier einen Beleg zur Diskussion stellen, bei dem ich mir hinsichtlich der Porto- und Gebührenberechnung nicht sicher bin:



Hin-Brief mit Zustellungsurkunde von Öhringen nach Neuenstein, 10.7.1919, frankiert mit 35 Pf

Geht man davon aus, dass die Gebühren für die förmliche Zustellung in Württemberg gleich hoch waren wie im Reichspostgebiet (20 Pf), verbleiben 15 Pf für den Hin-Brief und die Rücksendung. Beide Orte gehören zum Oberamt Öhringen, es gilt also der ermäßigte Tarif von 7 1/2 Pf für den Hin-Brief. Bleiben 7 1/2 Pf für die Rücksendung. Das würde bedeuten, dass in Württemberg, anders als im Reichspostgebiet, schon vor dem 1.10.1917 das Porto für die Rücksendung von 5 Pf auf 7 1/2 Pf angehoben wurde. Ist diese Deutung richtig?

Beste Grüße,
Bernd
 
wuerttemberger Am: 05.11.2013 13:08:10 Gelesen: 16874# 2 @  
@ bekaerr [#1]

Der Beleg ist von 1917! Eine 35 Pf. Frankatur von 1919 hätte mich auch arg in Erklärungsnot gebracht - *schwitz*, denn ab 1.7.1919 wurde der Nachbarorts- (10 km)- und Oberamtsverkehr abgeschafft. Stattdessen waren nur noch Nachbarortsverkehre, die von der Postverwaltung genehmigt wurden, zugelassen.

Gruß

wuerttemberger
 
bekaerr Am: 05.11.2013 16:41:26 Gelesen: 16851# 3 @  
@ wuerttemberger [#2]

Der Beleg ist von 1917!


Stimmt, Pardon.

Kannst Du auch etwas zur Gebührenberechnung sagen? Stimmt meine Theorie? Das Postgebühren Handbuch von Michel hilft da leider nicht weiter.

Und weil Du es schon angesprochen hast: Hast Du Informationen darüber, welche Nachbarortspaarungen ab 1919 von der Postverwaltung zugelassen wurden? Ich bin bisher bei der Quellensuche leider nicht fündig geworden. Ich hatte vor längerer Zeit auch einmal bei der ARGE Württemberg angefragt, aber dort konnte mir auch niemand nähere Auskunft geben.

Besten Gruß,
Bernd
 
wuerttemberger Am: 05.11.2013 18:52:33 Gelesen: 16826# 4 @  
@ bekaerr [#3]

Kannst Du auch etwas zur Gebührenberechnung sagen?

Die stimmt, denn sonst hätte ich sie gleich korrigiert. 7½ für die Hinsendung, 20 Pfennig Zustellungsgebühr und 7½ für die Rücksendung. So war es auch im Reich, nur daß man die 35 Pfennig Portostufe viel seltener antrifft.

Die nächste Portoerhöhung war allerdings nicht am 1.10.1917, sondern erst am 1.10.1918.

Als Nachbarortspaarung kenne ich nur Ulm (mit Söflingen) und Neuulm, aber das ist Württemberg/Bayern. Sonst kann ich mir noch Altkrautheim (Württemberg) und Krautheim(Baden) vorstellen, aber das ist nicht amtlich! Wie gesagt: es interessiert sich praktisch kaum jemand dafür und deswegen wurde das auch noch nicht bearbeitet.

Gruß

wuerttemberger
 
bekaerr Am: 05.11.2013 19:44:38 Gelesen: 16808# 5 @  
@ wuerttemberger [#4]

Die nächste Portoerhöhung war allerdings nicht am 1.10.1917, sondern erst am 1.10.1918.

Das stimmt für die meisten Porto- und Gebührensätze, für die Rücksendung der PZU änderten sich die Sätze allerdings schon zum 1.10.1917.

Auszug aus der Postordnung von 1917:



Inkrafttreten am 1.10.1917:



Vor dem 1.10.1917 galt im Reichspostgebiet eine Gebühr von 5 Pf für die Rücksendung. Der gezeigte Brief datiert eindeutig vom Juli 1917. Ergo müssten die Württemberger schon vor der Reichspost von 5 auf 7 1/2 Pf erhöht haben. Übersehe ich da irgend etwas?

Besten Gruß,
Bernd
 
wuerttemberger Am: 05.11.2013 19:59:19 Gelesen: 16802# 6 @  
@ bekaerr [#5]

Ja, Du übersiehst, dass die Erhöhung schon 1916 stattgefunden hat. Für die Rücksendung der Urkunde im Nachbarortsverkehr war die einfache Briefgebühr zu erheben und diese betrug 7½ Pfennig.

Gruß

wuerttemberger
 
wuerttemberger Am: 05.11.2013 20:00:30 Gelesen: 16801# 7 @  
@ bekaerr [#1]

Hintergrund: Die Postrechte des Königreichs Württembergs gingen erst 1920 auf die Reichspost über. Dennoch verzichtete die Königl. Württembergische Post ab 1902 - anders als die Königl. Bayerische Post - ab 1902 auf die Herausgabe eigener Briefmarken und benutzte Reichspostmarken. (Ob diese eigentlich als württembergische Marken betrachtet werden müssten, da sie ja von der württembergischen Post verkauft wurden, ist eine andere Frage)

Die Formulierung ist zu ungenau und deswegen kommt es immer wieder zu Mißverständnissen. Genau heißt es: Übereinkommen zwischen der Kaiserlich Deutschen Reichs-Postverwaltung und der Königlich Württembergischen Postverwaltung betreffend Einführung gemeinsamer Postwertzeichen. Die Betonung liegt auf "gemeinsamer Postwertzeichen". Das mag zwar spitzfindig sein hat aber schon so manche Verwirrung erzeugt. Immer wieder kann man in der Literatur lesen, dass Württemberg damit sein Postregal aufgeben hätte. Nein, hat es nicht! Damit ist die Frage, ob die Germaniamarken auch württembergische Marken sind klar zu beantworten. Ja, das sind auch württembergische Freimarken! Die Einführung war vor allem auch auf Initiative der württembergischen Geschäftswelt betrieben worden, weil früher kleinere Beträge oft mit Briefmarken beglichen wurden. Auch der Verkehr mit dem Ausland sollte damit erleichtert werden.

Leider trägt die chaotische Katalogisierung des Schwaneberger Verlages zu diesen Mißverständnissen bei. Bei den Dienstmarken kann man bis 1920 mit der Katalogisierung noch leben, doch dann fängt das Chaos an: Die Überdruckausgaben "Deutsches Reich" sind unter den Dienstmarken des Deutschen Reiches katalogisiert. Auch die Ganzsachen zu je 10 Pfennig (DP 11 und DP 14) mit dem Überdruck sind unter Dienstganzsachen Deutsches Reich katalogisiert. Die darauffolgenden Dienstganzsachen zu 30 und 125 Pfennig DP 12 und 13 ohne den Überdruck "Deutsches Reich" sind logischerweise auch dort katalogisiert. Nur bei den Dienstmarken ohne Überdruck hat man diese wieder unter Württemberg katalogisiert, was postgeschichtlich einer Geisterfahrt gleichkommt. Diesen Mangel hat schon ein bekannter Händler - Dr. Hederer aus Lorch - in einer Preisliste von ca. 1930! moniert und den Senfkatalog und einige Albenhersteller ob ihrer richtigen Zuordnung gelobt, aber der Schwanebergerverlag behilft sich schon seit Jahrzehnten diesen Unfug als eine Art "Tradition" darzustellen. Man merkt eben hier, dass dies ursprünglich eine einfache Preisliste war.

Bei den Freimarken merkt man das Chaos erst bei den Ganzsachen, denn eine Katalogisierung der Germaniamarken bei Württemberg gibt es nicht. Es gibt einige Ganzsachen, die wurden nur von Württemberg herausgegeben und auch nur dort verwendet. Ein "schönes" Beipsiel ist die P 76 2 Pfennig Postkarte von 1908 für den Orts- und Nachbarortsverkehr. 1908 existierte diese Portostufe bei der Reichspost schon längst nicht mehr und eine Ausgabe hätte dort keinen Sinn gemacht. Die Karte wurde also von Württemberg ausgegeben und auch dort verwendet. Genau gleich verhält es sich mit den folgenden Karten zu 3 und 5½ Pfennig Ortsverkehr.

Ein anderes Beispiel sind die Postanweisungsumschläge. Diese waren nur innerhalb Württembergs gültig und können somit auch nur von Württemberg herausgegeben worden sein. Groteskerweise steht das auch noch auf den Umschlägen drauf "Postanweisung für den Verkehr innerhalb Württembergs", aber das hält die Redaktion nicht davon ab sie unter "Deutsches Reich" zu katalogisieren. Immerhin wurden die Nummern (AU47 bis AU51) beibehalten, denn sie waren ja schon einmal unter Württemberg geführt. :-(

Gruß

wuerttemberger
 
bekaerr Am: 06.11.2013 12:50:53 Gelesen: 16769# 8 @  
@ wuerttemberger [#6]

Kann es sein, dass die amtlichen Quellen hier nicht besonders deutlich, bzw. verwirrend sind? Eine redaktionelle Änderung des § 37 hinsichtlich der Rücksendungskosten findet erst mit der oben gezeigten Postordnung von 1917 statt. Im "Ursprungstext" vom 20.3.1900 heißt es:

" für die Rücksendung der Zustellungsurkunde wird im Ortsverkehr keine Gebühr, im Nachbarortsverkehr ein solche von 5 Pf erhoben."

Da hier der absolute Betrag "5 Pf" genannt wird und nicht ganz allgemein von der Ortsbriefgebühr die Rede ist, war ich bisher immer der Meinung, dass diese 5 Pf solange galten, bis sie durch eine neue Formulierung (eben der von 1917) ersetzt wurden. Alle anderen absoluten Zahlen wurden ja im immer wieder angepasst. Wenn ich also falsch liege, bedeutet dies, dass auch für die Rücksendung der PZU ab 1916 die Reichsabgabe fällig war, ohne dass der § 37 entsprechend angepasst wurde. Stimmt das?

Besten Gruß,
Bernd
 
wuerttemberger Am: 06.11.2013 13:52:22 Gelesen: 16762# 9 @  
@ bekaerr [#8]

Die Postordnung war Teil der Allgemeinen Dienstanweisung für Post und Telegraphie und wurde als Abschnitt V,1 herausgegeben. Diese wurde immer wieder geändert. Diese Änderungen wurden regelmäßig verschickt und mußten in die Dienstanweisung durch überkleben eingearbeitet werden. Du hast wohl die beiden Postordnungen aus dem Reichsgesetzblatt kopiert und da sind diese Änderungen natürlich nicht nachvollziehbar, weil sie nur die Postordnung zu einem bestimmten Zeitpunkt zeigen. Bei Einführung der Reichsabgabe wurde sicherlich so eine Ergänzung verschickt und damit auch die Gebühr für die Rücksendung der Postzustellungsurkunde angepasst. Ich kann das anhand der vielen Briefe mit Postzustellungsurkunde, die ich in meiner Sammlung habe, gut belegen.

Gruß

wuerttemberger
 
bekaerr Am: 06.11.2013 15:11:31 Gelesen: 16739# 10 @  
@ wuerttemberger [#9]

Das klingt logisch. :-) Vielen Dank für Deine Erläuterungen, ich bin mir sicher, dass auch andere stille Mitleser jetzt ein bischen schlauer sind. :-)

Könntest Du Dich bitte einmal per E-Mail bei mir melden: E-Mail-Adresse ist unter meinem Namen hinterlegt.

Vielen Dank im Voraus!

Beste Grüße,
Bernd
 
westfale1953 Am: 28.11.2013 10:43:25 Gelesen: 16609# 11 @  
Hallo zusammen,

nachdem für den Württemberger Nachbarorts- und Oberamtsverkehr bis 1919 ein eigener Thread eröffnet wurde, habe ich meinen letzten Beitrag vom ursprünglichen Platz hierher verschoben.



Ganzsachen-Postkarte 2 Pfg. Amtl. Verkehr (Königreich Württemberg) vom Forstamt HIRSAU an die Straßenbauinspektion in CALW vom 23.11.03

Schönen Gruß

Bernhard
 
westfale1953 Am: 21.02.2014 09:28:06 Gelesen: 16222# 12 @  
Hallo und guten Morgen!

Mal wieder etwas Neues von mir:

GA-PK UHINGEN - GÖPPINGEN 19 FEB 08



OHRNBERG - MÖGLINGEN 30 MAI 13



KLEIN-ENGSTINGEN - REUTLINGEN 2 JUL 01



Bernhard
 
volkimal Am: 14.06.2015 21:49:49 Gelesen: 15481# 13 @  
Hallo zusammen,

eine Postkarte zum Thema Oberamtsverkehr vom 24.03.1912:



Postkarte vom Schultheissenamt Eschach (bei Ravensburg). Befördert innerhalb des Oberamtes Ravensburg von Oberhofen nach Fronhofen (heute Fronreute).

Viele Grüße
Volkmar
 
Max78 Am: 05.04.2017 17:25:00 Gelesen: 12869# 14 @  
Hallo zusammen,

um nach 1,5 Jahren dieses Thema mal wieder anzusprechen, hier ein Brief von Unlingen aus dem Jahre 1910, der auf den 1. Blick unterfrankiert ist. Glaubt man der Anschrift des Empfängers wohnhaft in Dietershausen, einem Ortsteil der Gemeinde Künzell im Landkreis Fulda, passt die Frankatur natürlich überhaupt nicht:



Doch das Postamt kennt sich aus! Rückseitig vermerkt "Darlehenskasse Dieterskirch":



Schön, wenn es auch ohne Fehlleitung funktioniert. Damals kannte man (zumindest die Post) seine Nachbarn halt noch besser ;-). Dieterskirch liegt unter 10 km östlich von Undlingen, sozusagen von Haus zu Haus, die 5 Pf. somit portogerecht,

mit Grüßen Max
 
Max78 Am: 05.04.2017 17:41:50 Gelesen: 12862# 15 @  
Ich muss mich verbessern. ;-) Fehler gibt es immer wieder.

Es gibt tatsächlich ein Dietershausen, bloß findet man es heute nicht mehr per Google Maps (ich dachte, die wissen alles, selbst welche Unterhose man trägt. :-) Somit wusste natürlich auch der Absender genau Bescheid, wohin die Post gehen sollte. Dietershausen gehört heute zur Gemeinde Uttenweiler und ist nicht wesentlich weiter entfernt von Unlingen wie Dieterskirch.

Um die Sache abzurunden, hier noch ein Beleg an den gleichen Empfänger, zwar schon ordentlich in Mitleidenschaft gezogen, aber mit 7,5 Pf. im Jahre 1917 ebenfalls portogerecht. Als Beispiel soll es ausreichen:



Ich hoffe, dass jetzt alles stimmt, mit Grüßen Max
 
wuerttemberger Am: 06.04.2017 12:50:26 Gelesen: 12787# 16 @  
@ Max78 [#14]

Man kann schon an der Anschrift sehen, dass dieser Brief in die nähere Umgebung gehen mußte. Wäre der Brief an einen wenig bekannten Ort in der Ferne gerichtet gewesen, dann hätte da sicherlich ein Vermerk wie "Post Fulda" oder ähnliches gestanden. Bei Anschriften auf Briefen an unbekannte Orte ohne diese zusätzlichen Leitvermerke kannst Du getrost in der unmittelbaren Umgebung des Aufgabeortes suchen.

Der Postbeamte hätte die korrigierte Adresse auch sicherlich auf die Vorderseite geschrieben. Das auf der Rückseite anzubringen war sinnlos.

Gruß

wuerttemberger
 
BK715 Am: 30.11.2019 15:35:10 Gelesen: 7265# 17 @  
Hallo,

im Nachbarortsverkehr gibt es manchmal Briefe die scheinbar einen unsinnigen Umweg liefen, bis sie ihr ziel erreichten.



Dieser Beleg ist gelaufen von Kleinaspach (Oberamt Marbach) nach Rietenau (Oberamt Backnang). Kleinaspach lag an der Postroute Grossbottwar-Backnang.

Zum Bestellbezirk Kleinaspach gehörte u.a. auch Allmersbach – von dort kann man quasi nach Rietnau spucken! Aber eben nicht Rietenau selbst, das zum Bestellbezirk Backnang gehörte.

Also lief dieser Beleg den Umweg nach Backnang und wurde dort dem Landpostboten für seinen Bestellgang nach Rietenau mitgegeben.




 
BK715 Am: 30.11.2019 15:37:28 Gelesen: 7263# 18 @  
Einen noch größeren Umweg legte dieser Beleg zurück.



Aufgegeben in Cottenweiler, Bestellbezirk Unterweissach (Oberamt Backnang). Adressat in Rudersberg (Oberamt Welzheim). Korrekt frankiert mit 5 Pfg. im Nachbarortsverkehr. Direkte Entfernung auf der Straße: 7 km! Allerdings gehörte Rudersberg zu einem anderen Bestellbezirk und die Postagentur Unterweissach war Backnang unterstellt.

Also lief der Brief von Cottenweiler mit dem Landpostboten nach Unterweissach, von dort mit der Post nach Backnang. Weiter mit dem Zug nach Waiblingen. Dort wurde umspediert und ein weiterer Zug brachte den Brief nach Schorndorf. Von dort ging es vermutlich direkt weiter nach Rudersberg – oder erst über Welzheim?

Ein Brief von Backnang nach Waiblingen kostete 10 Pfg – und sein Weg war wesentlich unspektakulärer!


 
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