Neues Thema schreiben   Antworten     zurück Suche   Druckansicht  
Thema: Im Namen der Vorphilatelie - Bewertung von Exponaten
Richard Am: 01.03.2014 09:10:32 Gelesen: 6119# 1 @  
Im Namen der Vorphilatelie

Von Hubert Jungwirth

Die Briefmarke, Februar 2014 - Immer wieder lösen gegensätzliche Bewertungen von Vorphilaobjekten Ärger und Unverständnis aus. Beim letzten mir bekannten Beispiel handelt es sich um ein Vorphilaobjekt, das bei „Alpe Adria 2008“ Gold und Grand Prix sowie bei „Marke und Münze“ mit 94 Punkten Großgold erobert hatte, und vor einigen Wochen in Sindelfingen durchgefallen ist.

Solche offensichtliche Fehlurteile schädigen nicht nur das Image der Jurorengilde sondern sind auch Anlass, über Bewerter und Bewertungen von Vorphilaobjekten grundsätzlich und objektiv nachzudenken um Fehlentwicklungen zurücknehmen zu können.

Grundlage für unsere Wettbewerbe für Vorphilatelie ist der Bewertungsbogen für Postgeschichte mit 4 unterteilten Bewertungskriterien und dem Maximum von 100 erreichbaren Punkten. Der Bewertungsbogen ist positiv ausgerichtet und auf die Addition von Gutpunkten ausgelegt, nicht auf die Addition von Schlechtpunkten!! Und die 4 Bewertungskriterien sorgen zusätzlich dafür, dass jedes Exponat Pluspunkte erreicht.

Sensible Juroren nutzen diesen Umstand, wenn sie auf ein Exponat zugehen und vorerst nach dessen Stärken Ausschau halten. Es tut auch wohl, solchen Juroren zuzuhören, wenn sie das Jurygespräch mit Sätzen einleiten wie: „Zuallererst ist mir die hohe Stempelqualität aufgefallen. Ich kann mir vorstellen, wie mühsam es ist….“ oder „Woher haben Sie nur den interessanten Irrläufer von Olmütz über Siebenbürgen in die Steiermark? So etwas suche ich auch schon lange, aber vergeblich.“ oder „Die Skizze mit den Leitwegen von Schlesien nach Wien finde ich sehr eindrucksvoll.“………….

So viel Wohlwollen und grundsätzliche Anerkennung hat jeder Aussteller verdient, nachdem er viel Zeit, Mühen und Geld in sein Objekt gesteckt hat, um damit in der Öffentlichkeit mehr oder weniger zu glänzen. Auch wenn bei weiterer und näherer Betrachtung die Summe aller Gutpunkte beim ehrlichen besten Willen und bei fairer Handhabung der Bewertungskriterien nur für Vermeil reicht.

Dass es auch Juroren gibt, die ihre Existenzberechtigung lediglich im Bemängeln erblicken und dass es unter ihnen ebenso viele chronische Nörgler und Kritiker, Alles- und Besserwisser sowie eitle Selbstdarsteller gibt, wie unter den Sammlern aller Wettbewerbsklassen, ist ein allgemeines Problem.

Der Wettbewerbsnachteil der Vorphilatelie hingegen ist ein internes Problem der Wettbewerbsklasse Postgeschichte, welche die Vorphilatelie (= die ersten 350 Jahre unseres Postwesens) und die ersten 25 Jahre der Markenzeit umfasst. Damit wurden zwei unvergleichbare philatelistische Bereiche, nämlich sammeln und forschen, unter ein Joch gezwungen. Das musste zu Problemen führen, zumal der Postgeschichte häufig die meisten Exponate zugeordnet werden, und auch wenn das Reglement allen Exponaten blauäugig eine fachgerechte Bewertung verspricht.

Die Wurzel des Übels ist die Konkurrenz gegen die übermächtige Tradition des Briefmarkensammelns und des Stempelsammelns, das ja auch in die Vorphilatelie hineinreicht.

Über Generationen hinweg wurde damit Sammeltrieb befriedigt und Geld angelegt. Und Katalog- und Zubehörverlage sorgen bis heute für Verbreitung und luxuriöse Aufbewahrung der Sammlungen. Und Hand aufs Herz! Wem gefällt eine saubere Vierfarbenfrankatur der 67er Ausgabe nicht besser als ein alter Faltbrief? Wiewohl die Schöne, abgesehen von ihrem Aussehen und ihrem Marktpreis postgeschichtlich vielleicht weniger zu bieten hat als der unauffällige Faltbrief.

Die Folgen ergeben sich von selbst: Nach wie vor besteht die erdrückende Mehrheit der Postgeschichtler aus Marken-, Markenbrief- und Stempelsammlern, ebenso die Mehrheit der Aussteller und Exponate und leider auch die Mehrheit der Juroren für Postgeschichte, sodass manchen die wünschenswerte Wertschätzung und die Identifikation mit der Vorphilatelie fehlen, sie die wenigen Vorphilaexponate als lästige Zuwaage zu ihrer Jurorentätigkeit empfinden und deren fachgerechter Bewertung nicht gewachsen sind.

Die vernünftigste Lösung des Problems beginnt mit eigenen Vorphilajuroren, die sich mit der Materie identifizieren und die Leistung, die in Vorphilaexponaten steckt, wirklich beurteilen können. Wünschenswert wären auch zwei Bewertungsbogen: einer mit Zuschnitt für sammelnde Postgeschichtler und einer mit gezieltem Zuschnitt für die forschende und entdeckende Sektion. Oder die Vorphilajuroren müssten die vorgegebenen Bewertungskriterien im Sinne der Exponate interpretieren und nicht blindlings Ausgewogenheit und Vollständigkeit suchen, wo sie nicht möglich ist oder fallweise Forschung und persönliches Studium höher gewichten als vorgesehen.

Solche Vorphilajuroren müssten so viel Zeit und so wenige Exponate zu bewerten haben, dass sie sich mit allen postgeschichtlichen Besonderheiten und Hintergründen einzelner Belege ausreichend befassen könnten. Die Lösung für die Organisation bestünde in der längst überfälligen radikalen Reduzierung der Rahmenheere.

Eine andere Lösung bestünde darin, mit der Ausschreibung einer Veranstaltung bereits die vorgesehenen Juroren bekannt zu geben. Dann könnten sich Vorphilatelisten wenigstens noch dort anmelden, wo sie eine fundierte, fachgerechte Bewertung erwarten.

Zum Abschluss die dümmste Lösung: Sie bestünde darin, die Vorphilatelie auf Ausstellungen willkürlich verhungern zu lassen, weil wenig attraktiv und im Hinblick auf Jurierung lästig und wenig erfolgreich. Die Dummheit bestünde in der Beseitigung eines besonders anspruchsvollen und spannenden Teiles der Philatelie, was ich am einfachen Beispiel des folgenden Briefes zeigen will, den ich zufällig zuletzt bekommen habe:



Aus der Sicht eines Vorphilalaien:

Faltbrief aus 1847 von Triest nach Nürnberg mit sattem Doppelkreisstempel von Triest, Teilabschlag eines schwarzen OBC-Stempels, kaum leserlicher roter Auslagenstempel und schwarzer Ankunftstempel von Nürnberg, Porto 20x, zwei schwache horizontale Büge, durchschnittliche Erhaltung, Müller 9 + 40 Punkte

Aus der fachgerechten Sicht eines Vorphilatelisten:

Paketschluss + Taxe = Postweg.

Einfacher Portobrief aus 1847 der Paketschlüsse von Triest über Salzburg nach Augsburg und von Augsburg nach Nürnberg, in Triest bereits für die Postroute über Salzburg nach Nürnberg mit 15/5 x RW taxiert
(5x bayrischer Rayonszuschlag, weil über Salzburg geschickt, über Braunau oder Schärding= Oberösterreich-Nürnberg wäre der Rayonszuschlag entfallen)
Durchgangs- und Auslagestempel von Augsburg mit Gesamttaxierung: 20x RW Porto
durchschnittliche Erhaltung und durchschnittlicher Seltenheitsgrad.

Quelle: Die Briefmarke Februar 2014 / Autor: Hubert Jungwirth / Kontakt: hu.jung at tirol.com
 
bayern klassisch Am: 01.03.2014 09:52:02 Gelesen: 6102# 2 @  
@ Richard [#1]

Hallo in die Runde,

auch ich besitze 2 Vormarkenzeit (VMZ) - Sammlungen, beide mit Gold und Ehrenpreis im Rang 2 juriert. Da ich keine höheren Ansprüche habe, gehe ich mit ihnen nicht in Rang 1, obwohl ich das könnte.

Die Problematik des Jurierens ist ja bekannt - bei den Markensammlungen, egal welcher Couleur, nimmt der geneigte Juror seinen Katalog zur Hand und schätzt ab, was man hat und vergibt danach die Punkte.

Was soll er bei einer PO - Sammlung der Vormarkenzeit tun? Einige "Experten" haben dann den Feuser im Regal stehen und suchen sich dort die 5 oder 10 höchst bewerteten Stempel des jeweiligen Gebietes aus und suchen diese dann in den Rahmen wieder zu finden. Ich nenne dies geistige Armut und Unverständnis über das, was man tut.

Vorab: Eine Vormarkenzeit Sammlung ist immer schwer zu jurieren, weil verlangt werden muss, dass der Juror auf philatelistisch hohem Niveau steht und darüber hinaus (= weit hinaus) auch ein Postgeschichtler von hohen Graden sein sollte. Das sind aber nicht viele in freier Wildbahn und nur ganz, ganz wenige Juroren.

Es läuft daher so, wie es nicht laufen sollte: Die schlechten Sammlungen werden zu gut benotet und die guten zu schlecht, weil das systemimmantent ist bei schlechten Juroren.

Eine Abspaltung in Marken - und Nichtmarkensammlungen würde ich nicht gerne sehen - das nennt man philatelistisches Abstellgleis und wird keinem etwas bringen.

Ich unterscheide auch nicht zwischen Marken- und Markenlossammlungen, sondern ich sammle Belege zur Postgeschichte und Postverträge. Die meisten Postverträge, die ich kenne, orientierten sich überhaupt nicht an Briefmarken, die an sich ja auch unwichtig waren für die Postgeschichte, sondern an ganz anderen Parametern, denen es egal war, ob man seinen Obolus in bar, oder durch Marke erlegte.

Dein ausgewähltes Beispiel mit dem österreichischen Brief nach Bayern sollte vielleicht noch den PV Bayerns mit Österreich vom 1.10.1842 mit der ersten Gemeinschaftsgebühr aufzeigen, die halbscheidig zu teilen war, während der von Bayern verlangte Zuschlag (eine Frechheit übrigens) allein in das bayerische Staatssäckel floss.

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
Lars Boettger Am: 05.10.2016 16:39:17 Gelesen: 4922# 3 @  
Beim letzten mir bekannten Beispiel handelt es sich um ein Vorphilaobjekt, das bei „Alpe Adria 2008“ Gold und Grand Prix sowie bei „Marke und Münze“ mit 94 Punkten Großgold erobert hatte, und vor einigen Wochen in Sindelfingen durchgefallen ist.

Wenn es um die Posthörner ging, dann wäre es interessant, mit welchen anderen Exponaten das genannte Exponat im Wettbewerb stand. Und so wie ich das sehe, werden für die Posthörner jetzt keine "normalen" Juroren herangezogen, sondern ausgewiesene Postgeschichtsspezialisten.

Beste Grüsse!

Lars

P.S. Auch ich habe ein Altbriefexponat, das in NY 2016 nicht ganz schlecht abgeschnitten hat...
 
  Antworten    zurück Suche    Druckansicht  
 
Wir benutzen Cookies um die Nutzerfreundlichkeit der Webseite zu verbessen. Durch Deinen Besuch stimmst Du dem zu.