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Thema: Bayern: Vorausentwertung / Vorentwertung (Federzug); Tirschenreuth u.a.
plytra7 Am: 08.12.2014 11:35:37 Gelesen: 5147# 1 @  
Wer ist sehr kompetent über die Hintergründe dieser Entwertungsart? Wer hat Vergleichsstücke oder kennt Besonderheiten? Weitere Fragen im direktem Austausch.
 
bayern klassisch Am: 08.12.2014 14:21:03 Gelesen: 5127# 2 @  
@ plytra7 [#7]

Meinst du so etwas?



Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
wuerttemberger Am: 08.12.2014 20:12:22 Gelesen: 5079# 3 @  
@ plytra7 [#7]

Warum nicht öffentlich diskutieren?

Gruß

wuerttemberger

---

[Redaktionelle Anmerkung: Viele Leser freuen sich, wenn sie solche Informationen erhalten und etwas lernen können. Dafür haben wir ja ein öffentliches Forum]
 
plytra7 Am: 09.12.2014 10:46:34 Gelesen: 5041# 4 @  
Hallo,

Dank für die schnelle Reaktion. Vorab, ich bin hier "blutiger" Anfänger, was die Kommunikation betrifft, und zum ersten Mal hier aufgetreten. Ich zähle zu den stillen, zurückgezogenen Sammlern (aber: 60 Sammlerjahre) und ziehe meine Interessen aus Altersgründen nun auf ganz Weniges zurück: Heimatbelege der Familiengeburtsorte.

Als TIRSCHENREUTHER und Bayernsammler liegen mir natürlich Belege von da besonders am Herzen. Ohne Eigenlob (das bekanntlich stinkt) möchte ich auch erwähnen, dass ich vor Jahrzehnten wohl mit der Erste war, der "Federzug"-Vorentwertungen von TIR erkannte und nebst anderen Vorausentwertungen zusammentrug. Leider hat mein beruflich bedingter Umzug in den Rupertiwinkel (WAGING am See) mit Hausbau hier soviel mehr an finanziellen Mitteln verschlungen, dass ich mich vor 20 Jahren von wunderschönen (u. seltenen!) VE über Auktionshäuser trennen musste.

Auch denke ich gerne an Dr. MENZINGER zurück, mit dem ich persönlich Kontakt hatte und dem ich auch bei seiner FINGERHUT-Sammlung (u.a. Schönram) nebst BISCHOFBRIEF-Vordrucken weiterhelfen konnte.

Mir geht es - zumindest bei TIR-VE - nicht um die Belege und deren Erscheinungsform an sich, sondern um das "Warum" und örtlich bedingte "Wie". Nach örtlichen Recherchen (nebst Orts-Heimatpfleger)scheint hier eine logische und recht praktisch orientierte Ausgangslage existiert zu haben, die ich jedoch ohne 100 %-igen Nachweis leider noch unter 'Spekulation' einordnen muss, bis alle Mosaiksteine sich zusammengefügt haben.

Daher meine Bitte um "Hintergründe" auch bei anderen Poststellen - vielleicht besteht ein Zusammenhang oder gar ein "offizielles Dulden" unter dem Blickwinkel der "Amtshilfe".

Mit freundlichem Sammlergruß
 
bayern klassisch Am: 09.12.2014 13:07:57 Gelesen: 5019# 5 @  
@ plytra7 [#4]

Hallo,

um interne Abläufe im Postdienst des 19. Jahrhunderts, hier in Bayern, beurteilen zu können, muss man sie zuerst einmal kennen.

Daran gebricht es 99,99% der Sammler, weil diese an anderem interessiert sind, als an dienstlichen Verhaltensabläufen ihrer Ur-Ur-Urgroßväter, wenn diese im Postdienst standen.

Von den Hauptbriefpostexpeditionen am Sitz der jeweiligen Oberpostämter (OPÄ) abgesehen, war die Post in der Hand von Subunternehmern, Postexpeditoren genannt. Das war in Tirschenreuth (TIR) auch so.

Dieser hatte im Rahmen seiner Aufgaben dafür zu sorgen, dass stets ein angemessener Vorrat an gängigen Marken vorhanden war. Wir unterstellen mal, dass er das ordentlich hin bekommen hat.

Betrat ein Briefeschreiber das Postgebäude, musste er im Wartesaal ausharren, bis er an der Reihe war und betrat nach dem Anklopfen das Postlokal. Dort wurde er nach seinem Begehr gefragt. Wünschte er einen Brief abzusenden, für den er die Gebühr im voraus bezahlen wollte, so bedurfte es in Bayern ab dem 1.11.1849 einer Marke, wenn das Schreiben im Inland verblieb.

Nach der Vorschrift war(en) die Marke(n) zu verkaufen, nicht aufzukleben. Das Aufkleben war dem Absender überlassen und er sollte/konnte den somit frankierten Brief in die "Boite" = den Briefkasten einwerfen. So war eine schnelle Abfertigung gewährleistet, denn das Augenmerk der Post und ihrer Subalternen galt der zügigen Bewältigung eigener Interessen, nicht derjenigen des Publikums.

Allerdings haben wohl viele Expeditoren die Marken nach der Bezahlung selbst auf den Brief geklebt, die Marke dann abgestempelt, den Brief mit dem Tagesstempel versehen und den Brief zur weiteren Spedierung ins "back-office" gegeben, wie wir heute sagen würden.

Statt jede Marke einzeln aus dem Bogen zu schneiden, einzeln abzustempeln und einzeln aufzukleben konnte man natürlich auch die Marken bogenweise abstempeln und bei Bedarf nur noch aufkleben. Das sparte sicher Zeit, war aber so nicht vorgesehen. Vor der Einführung der Mühlradstempel zum 1.8.1850 kamen einige wenige Expeditoren auf die Idee, die Marken mit Tintenstrichen zu linieren und erst nach dem Aufkleben auf dem Brief mit dem Tagesstempel zu versehen.

Ein Problem bekam ein Expeditor nur dann, wenn ein Revisor vom Oberpostamt unterwegs war und er die Kasse bzw. die Markenbestände zu prüfen hatte. Wie hätte ihm der Postexpeditor erklären sollen, dass er Dutzende von gestempelten bzw. mit Federzügen ungültig gemachte Marken bei sich hatte, die aber alle ungebraucht sein mussten, weil sie durch die Abstempelung ihren Wert für die Postverwaltung verloren hatten? In den zu führenden Registern musste täglich abgerechnet werden, welche Marken welcher Nominale a) verkauft und b) somit noch vorhanden waren.

Sicher war das nicht so einfach, aus der Nummer heraus zu kommen. Auf der anderen Seiten kamen die Revisoren zuerst zu denjenigen Postexpeditionen, bei denen es Probleme gab und wenn in TIR sonst alles gut lief, war der unangemeldete Besuch sicher nur alle paar Jahre zu gewärtigen.

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
plytra7 Am: 09.12.2014 17:13:17 Gelesen: 4993# 6 @  
Lieber "bayern klassisch",

vielen Dank für die umfassende Darstellung, welche aber auch den meisten dieses Sammelgebietes bekannt sein dürften. Obwohl ich annehme, dass diese spezielle "Orts"-problematik weniger im allgemeinen Forum diskutabel sein dürfte, muss ich wenigstens der Konsequenz halber ins Detail gehen:

Ausgangspunkt ist - wie Sie richtig erwähnen - der "arbeitserleichternde Verkauf" und das auch nach meiner Überzeugung in Tirschenreuth > nur bogenweise (Doppelbogen wohl eher nicht)<

Doch jetzt der Kern der Angelegenheit: Nach meinen früheren Belegen (vgl.meine frühere Anmerkung) in Verbindung mit Diskussionen (ebenfalls oben erwähnt) festigt sich die mit schon an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass in Tirschenreuth vor- und vorausentwertete Bögen (Federzug: bekannt bislang nur 3 Kr / 6 Kr - 2I u. 4I) nur an Behörden, speziell das örtliche Notariat (kam im ländlichen Bayern in der Bedeutung gleich nach dem Lieben HERRGOTT) "verkauft" wurden.

Dieses Notariat betrieb gleichzeitig (Nebenerwerb ?) eine öffentliche Schreiberei, welche für die des geschäftlichen Schriftverkehrs unkundigen Mitbürger gegen Entgelt zur Verfügung stand.

Beweis: Hier von vielen exemplarisch 2 von gleicher 'Hand' geschriebener Briefe betreffs auswandernder Bürger nach Nordamerika via Bremen.

Es scheint sich also hier um eine "wechselseitige" Arbeitserleichterung zwischen "Amts"personen gehandelt zu haben. Die Vermutung, dass dies bekannt war, geduldet oder ausdrücklich erlaubt, konnte ich bislang "postseits" nicht erhärten !

Auch ob andere Amtsstellen, wie Stadtverwaltung / Pfarrämter, ebenso bedient wurden, bedürfte der Belegung zumindest mit zuordnungsfähigen Briefen aufgrund ihres Inhalts. Dass eine gesicherte Vorausentwertung von Tirschenreuth durch MR 347/522 ebenfalls durch Bogenverkauf erfolgte, scheint indes Zweifelhaft. So hielt z.B. Dr. Menzinger die beiden 9 kr-Briefe (siehe Abbildung - die ich dankeswerterweise durch ihn erwerben konnte) ebenfalls wie so viele andere für zweifeldfreie Vorausentwertungen. Jedoch gab er mit Recht zu bedenken, dass kein Prüfer (ohne kriminaltechnische Hilfsmittel) ohne die charakteristischen Schaufelfragmente eine Echtheit bescheinigen würde. Erschwerend (nur in diesem Zusammenhang!) kommt hinzu, dass in Tirschenreuth ja 'Schönstemler' am Werke waren.

Dennoch auch hier erhärtet durch Notariats-/Schreibereibelege eine Fortführung nach dem 1.7.1850 durch MR-V-Entwertung. Eine Besonderheit, die den Bogenverkauf bestätigen würde, ist der hier abgebildete Nachweis für den 19.5.1850 > einmal mit Federzug (Notariat - verkauft über KIRSTEIN 1991s. mein Anrechnungsbeleg, nur Halbkreiser auf 4I; aber auch 2 Tage später das Pärchen auf Briefstück.

Kurz, es wären noch viele Belege-Details zu nennen, welche jedoch meine Grundsatzfrage nur streifen: Kann es sein, dass nur "Amtsstellen" geduldete Vorausentwertungen erhielten, dieses Verfahren aber unerlaubterweise von "arbeitsüberlasteten ..." Posthaltern übernommen wurde, was letztendlich zu einem Gesamtverbot führte ? ... u. ä. mehr. Diese Frage stelle ich mir weniger als Markensammler denn als Heimatsammler (Chronik) von Tirschenreuth.

Ich hoffe nicht zu ermüdend dargestellt zu haben und verbleibe mit freundlichem Sammlergruß - s. Scans aus meiner dezimierten Restsammlung.
 
plytra7 Am: 09.12.2014 17:28:29 Gelesen: 5013# 7 @  


Hallo,

ich habe soeben 4 Scan "hochgeladen", diese erscheinen aber nicht zum Text - Gründe ?



[Scans redaktionell an den dazu gehörenden Beitrag angehängt]
 
Heinz 1 Am: 10.12.2014 09:23:40 Gelesen: 4935# 8 @  
Hallo,

kann mit 2 Bildern zu Tir dienen. Der Brief mit der 6 Kreuzer Marke wurde bei Gärtner für 600 € angeboten oder verkauft.

Gruß Heinz 1


 
Erdinger Am: 10.12.2014 10:15:38 Gelesen: 4926# 9 @  
@ plytra7 [#6]

Bei den Vorausentwertungen kann ich nicht weiterhelfen, zumindest aber ein paar Hintergrundinformationen zum Notariat liefern.

Amtsnotariate gibt es in Bayern erst seit dem 1. Juli 1862, als die alten Landgerichte in drei Zweige aufgespalten wurden.

Vorher war die nichtstreitige freiwillige Gerichtsbarkeit nicht immer klar definiert, vgl. diese Quelle:

http://bavarica.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/goToPage/bsb10378979.html?pageNo=1&prox=true&phone=true&zoom=0.6000000000000001&ngram=true&context=Notariat&hl=scan&mode=simple&fulltext=Notariat .

Eheverträge und Hypotheken konnten auch von Schreibern beurkundet werden, obwohl die Rechtskraft solcher von nichtsiegelfähigen Personen erstellten Urkunden auch bezweifelt wurde.

Angesichts der in der Broschüre geschilderten Zustände könnte ich mir irreguläre "Arbeitserleichterungen" beim Markenverkauf schon vorstellen.

Viele Grüße aus Erding!
(Von einem langjährigen Heimatforscher)
 
plytra7 Am: 10.12.2014 11:24:27 Gelesen: 4912# 10 @  
Hallo Erdinger,

recht herzlichen Dank für die "Notariatsinformation". Sie hilft tatsächlich ein wenig weiter, zumal ich auch eine Bestätigung durch einen Altbeleg von einem Amtsschreiber zum anderen im Landkreis Tirschenreuth erlangen konnte > mittels Vorentwertung!

mit freundlichem Sammlergruß
plytra7
 
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