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Thema: Keimfrei gebügelt - Pockenquarantäne
skribent Am: 18.04.2015 06:48:09 Gelesen: 5124# 1 @  
Guten Morgen Zusammen,

seit mehr als 40 Jahren wohne ich in der Gemeinde Wennigsen, zu der die zwei Orte Bredenbeck und Wennigser Mark seit 1970 gehören. Bislang habe ich geglaubt, die Wennigser Postgeschichte wäre aufgearbeitet, bis mir die beiden Karten zur Kenntnis gelangten.



Alle bisher Befragten haben "keine Ahnung", selbst alteingesessene Ärzte können sich nicht erinnern.

Es soll der "letzte" Pockenauftritt in Deutschland gewesen sein und die Quarantäne wurde am 15. April 1972 aufgehoben.

Aber meine hauptsächliche Frage gilt den Stempeln. Hat das die Post initiiert oder vielleicht ein Gesundheitsamt? Obwohl verschiedene Ort sind die Stempel bestimmt vom gleichen Hersteller (Größe, Form, Aufteilung). Gibt es ähnliches in Deutschland? Wer weiß Bescheid?

In einer zurückliegenden Auktion wurden Geldscheine mit dem gleichen Stempel von Bredenbeck versehen angeboten.

Jeder kleinste Hinweis wäre für mich äußerst hilfreich.

Ein schönes Wochenende wünscht
Franz Blazek
 
buzones Am: 18.04.2015 10:05:39 Gelesen: 5088# 2 @  
Interessante Frage! Auf die Schnelle:

Ein Artikel in der ZEIT vom April 1972 zum Thema: http://www.zeit.de/1972/14/keine-pockenpanik

Ein Briefangebot bei Delcampe mit „Gebügelt - Keimfrei“-Stempel der Hautklinik Hannover.



M.E. sind diese Qurantäne-Stempel nicht postalischen, sondern privaten bzw. (gesundheits)amtlichen Ursprungs.

Ich bin gespannt, ob jemand genaueres weiß.
 
laurentius Am: 18.04.2015 20:29:05 Gelesen: 5029# 3 @  
@ skribent [#1]

Hallo zusammen,

vielleicht kann ich etwas beitragen:

Die Pocken können auch als Schmierinfektion, also über Gegenstände wie z.B. Türklinken oder auch Briefe übertragen werden. Während bestimmter Epidemien (z.B. Pocken) wurden in Krankenhäusern eingehende und auch ausgehende Post mit dem Bügeleisen gebügelt, damit sie dann keimfrei waren. Der Stempel wurde dann vom Krankenhaus angebracht, damit der Empfänger wußte, dass die Post keimfrei gebügelt wurde. Es sollten ja z.B. keine Pockenkeime nach außen gelangen. Das würde auch den von buzones gezeigten Brief erklären, da dieser vor dem Versand "gebügelt" wurde.

Kleine Ergänzung: https://mgsvblog.wordpress.com/2014/07/09/keimfrei/

Auch bei der Cholera wurden schon Briefe desinfiziert. Damals nicht mittels Bügeleisen, sondern in sogenannten Räucherkästen:

http://www.philaworld.ch/index.php/Cholerabrief
http://www.altpostgeschichte.com/index.php?page=Thread&threadID=1539

Diese Briefe trugen dann teilweise ebenfalls einen Stempel mit der Aufschrift "Desinfected".

Viele Sammlergrüße
Lars
 
skribent Am: 21.04.2015 06:33:55 Gelesen: 4940# 4 @  
@ laurentius [#3]
@ buzones [#2]

Guten Morgen zusammen

und Euch beiden meinen herzlichsten Dank, denn Ihr habt mit Euren Beiträgen mir sehr geholfen. Nun kann ich einen weiteren bisher dunklen Punkt unserer jüngsten Heimatgeschichte erhellen. Und philatelistisch habe ich wieder einiges dazugelernt.

Einen schönen Tag wünscht
Franz
 
laurentius Am: 26.04.2015 17:28:12 Gelesen: 4869# 5 @  
@ skribent [#4]

Hallo Franz und alle anderen Interessierten,

ich habe noch etwas weiter recherchiert.

In dem Mitteilungsblatt des BDPh "Philatelie" gab es zu diesem Thema einen Artikel in der Ausgabe 174 von 1987:

Es war so, dass ein aus dem Kosovo eingereister Jugoslawe nach 14 Tage an Pocken erkrankte. Daraufhin wurde alle Stationen, die er bis dahin in und um Hannover durchlaufen hatte (18 Einrichtungen) in Quarantäne gesteckt. Dazu gehörten auch das Schullandheim Wennigser Markt und das Schullandheim Bredenbeck (siehe Deine beiden Belege). Und auch die Hautklinik Hannover (Beleg von buzones).

Es waren insgesamt ca. 600 Personen, die in Quarantäne kamen. Diese durften lediglich telefonieren oder Briefe/Postkarten zur Kommunikation mit dem "Draußen" verwenden.

Hier die Anleitung für das "Personal":

Erst wird ein Bügelbrett heißgebügelt, dann werden zwei Papierservietten gebügelt und aufeinandergelegt, darauf kommen nun die von beiden Seiten gebügelten und mit dem „Keimfrei"-Stempel versehenen Postkarten.

Dann wird die innere Serviette über den Karten zusammengerafft, nochmals gebügelt und gleichfalls „keimfrei" gestempelt. Das ganze Bündel wird dann mit Hilfe der äußeren Serviette an den Zaun getragen. Dort entnimmt der wachhabende Polizist die innere Serviette mit den Karten vorsichtig der äußeren Serviette, verstaut das Bündel in einem Plastikbeutel und übergibt es der Post zur Beförderung.

Der Artikel stammt von Dr. Klaus Meyer, der auch im Internet erreichbar ist:

http://drklausmeyermuenster.de/index.html

Falls noch Fragen sind, kannst Du ihn ja kontaktieren.

Viele Grüße
Lars
 
skribent Am: 27.04.2015 07:04:11 Gelesen: 4843# 6 @  
@ laurentius [#5]

Guten Morgen,

vielen Dank für die letzten erschöpfenden Hinweise.

Jetzt bin ich auf dem Laufenden, denn ich habe die Witwe des Arztes kennen gelernt, der den Gastarbeiter als erster hat untersucht. Dafür hat man ihn mit dem Erkrankten gleich mit in Quarantäne gesteckt. Die alte Dame hat mir sämtlich Briefumschläge ihres Mannes mit den Stempeln geschenkt.

Was ich allerdings noch nicht wusste, ist, wie die Bügelei vonstatten gegangen ist. Die Philatelie habe ich 1987 zwar schon bekommen, aber der mangelnden Zeit wegen, nie richtig komplett gelesen. Obendrein hat mich dieses Thema Pocken/Blattern erst interessiert, als mein Wohnort ins Spiel kam.

Lars, noch einmal vielen Dank.

Dir und dem Rest einen schönen Wochenbeginn, trotz des Wetters!

Viele Grüße
Franz
 
laurentius Am: 27.04.2015 08:54:59 Gelesen: 4829# 7 @  
@ skribent [#6]

Guten Morgen Franz,

das ist doch schön, dass Du nun sogar noch mehr Belege/Briefe bekommen hast und auch den Teil der Wennigser Postgeschichte lösen konntest.

Ich freue mich, dass ich etwas dazu beitragen konnte.

Falls Du die Philatelie von 1987 nicht mehr hast, kann ich Dir anbieten den Artikel als Fotokopie zuzusenden. Melde Dich einfach mit der Angabe Deiner Adresse unter der in meinem Profil hinterlegten Mailadresse, wenn Du dies möchtest.

Ebenfalls eine schöne Woche und von dem Wetter lass ich mir doch nicht die Laune verderben!

Herzliche Grüße
Lars
 
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