Thema: Sütterlin und andere Schriften - wer kann das lesen ?
volkimal Am: 27.03.2020 18:06:56 Gelesen: 530574# 1450@  
Hallo zusammen,

ich werde mir jetzt den Brief vornehmen. Hier ist das Ergebnis:

Seite 6

Die Merkuria* von 28. Feb mit P. Gnaedig´ unver-
gleichlicher Grabrede ist schon in meinem Besitz; ich
ahnte natürlich nicht, dass du der Urheber warst.
Ich wollte auch schon eher dem Herrn Peter dafür
danken, wusste aber die Adresse nicht. Umso-
mehr freut es mich, dass du den Herrn in so
schöner Weise danken willst.
Und nun noch Einiges über unseren
grossen sonntäglichen Streifzug an die Weichsel.
Zu 10 Mann bestiegen wir in aller Frühe un-
sere Gäule und in flotten Trabe gings dem
Walde zu. Wir waren mit guten Gläsern
u. einen photogr. Apparat ausgerüstet und
machten in einer schönen Waldpartie die erste
Gruppenaufnahmen. Dann gings weiter durch
öde, zerschossene russische Dörfer bis Slubice,
wo die gewaltigen Weichselbefestigungen
beginnen. Ein 2 mtr. hohe Stacheldraht-
hecke zieht sich 65 Kil. lang die ganze Weich-
sel entlang etwa 6-8 Kilom. vor den Strom.

* Merkuria. Blätter für katholische Kaufleute u. Angestellte in Handel u. Industrie. (Zeitschrift für katholische Kaufleute)
Beim Wort "unvergleichlicher" (Ende erste Zeile) fehlt das "v". Ich denke, dass es ein Rechtschreibfehler ist.

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Die Drähte sind teilweise fingerdick und wieder-
stehen jeder Schere: die Pfähle der Hecke sind
durch oben angebrachte Äste und Zweige in
Bäumen verwendelt, sodaß von weitem der
Eindruck einer künstlichen Hecke vollständig
vermischt wird. Etwa 100-200 Meter diesseits
zieht sich ein lange Hügelkette, auf welcher
ein Schützengraben hinter den anderen tadellos
ausgebaut ist. Die Wände des Grabens sind
ganz massiv aus Weidengeflecht, können so-
mit trotz des Sandbodens nicht einstürzen.
Für Maschinengewehre und Minenwerfer sind
besondere Unterstände eingebaut, und zwar
so, dass man von dort die ganze Gegend be-
streichen kann. Hinter den Hügeln sind
die Artillerie-Stellungen fertig ausgebaut,
alles ist auf´s beste vorbereitet. Wehe den
armen Russen, die in diese Falle hineingeraten,
viel wird nicht davon übrig bleiben. Was der
große Hindenburg mit der ganzen, gewaltigen

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Sache bezweckt, ist uns vorerst ein Rätsel
ob man ein zufrieren der Weichsel befürchtet hat
und die nötigen Vorsichtsmaßregeln traf oder
ob sonst einen große Sache vorgesehen ist, wer
weiß es. Wahrscheinlich hat Hindenburg wie-
der irgend etwas Grpßes ausgeheckt, denn man
arbeitet dort jetzt noch ununterbrochen weiter,
obgleich kaum noch an sehr starken Frost zu
denken ist. Doch jetzt weiter zu unseren
Weichselritt. Durch ein unendliches Gewirr
von geflochtenen Weidenhacken, die die Besitzungen
der deutschen Ansiedler dort einzäunen, ge-
langten wir zum eigentlichen Weichsel-
damm, der auf ein ganz genievolle Art
und Weise verbarrikadiert ist. Diesseits des
Dammes stehen lauter Weidenbäume, die bis
auf 1/2 Meter Höhe abgesägt und über den Damme
geworfen sind, sodass einem von der Weichsel-
seite her Millionen von kahlen Weidenzweigen
entgegenstarren, durch die einfach nicht durchzukommen
ist.

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Damit der Feind die Baumkronen nicht zu
sich herunterreißen kann, sind sie mit
dem stehengebliebenen Stumpf durch starke
Drähte verbunden. Das Ganze ist ein sehr
einfaches, aber klug ausgedachtes, gewaltiges
Hinderniß. An einer schmalen, freien Stelle ritten
wir über den Damm dem Strome zu, der
mächtiges Treibeis führte. Schon wollte ich
zum Ufer reiten, als mich ein Posten an-
rief und warnte, weiter vorzurücken, da
wir sonst bestimmt von der anderen Seite
Feuer bekämen. Wir stiegen also ab, stell-
ten unsere Pferde in einem Baumgarten
unter und schlichen zu den am Ufer aus-
geworfenen Schützengräben. Von hier aus
konnten wir die russischen Posten auf der
anderen Seite lustig auf uns ab patrouillieren
sehen. 1500 Meter ist der Strom dort breit, doch
schiessen unseren Leute nicht, da sie keine Munition
verschwenden und sich den Feinde nicht verraten

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verraten wollen. Ein Treffer auf so eine
Entfernung u. auf einen einzelnen Mann ist
doch immer nur Zufallssache. Die Russen da-
gegen pfeffern oft ganz toll herüber, da sie
gewiß hier viele Truppen vermuten, wo sich
in Wirklichkeit nur einige Kavallerieposten
befinden. Sobald sich am Ufer nur was se-
hen lässt, geht die Knallerei los. Wir
konnten von Glück sagen, dass uns der Posten
rechtzeitig gewarnt hatte, denn sonst wären
wir recht unangenehm empfangen worden.
Nachdem wir noch einige Zeit den interessan-
ten Erzählungen des Wachtpostens, eines
echt Berliner Jungen, gelauscht, traten wir
den Rückritt an. Von den Befestigungen
machten wir mehrere photogr. Aufnahmen,
die demnächst zur Entwicklung kommen.
Wenn du Osten nach Hause kommst, mußt
du sie dort einsehen können. Jetzt muss
ich Schluss machen, denn heut ist

Du hast recht! Der Text ist sehr interessant und gibt wirklich einen guten Einblick in die Verteidigungsanlagen.

Viele Grüße
Volkmar
 
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