Thema: Sütterlin und andere Schriften - wer kann das lesen ?
volkimal Am: 07.04.2020 00:57:18 Gelesen: 529019# 1477@  
@ evwezel [#1476]

Hallo Emiel,

da hast Du ja wieder super vorgearbeitet. Bis auf zwei Stellen ist alles klar:

Lieber Franz, Gunter u. Heinrich!

Ich wende mich heute direkt an euch drei, weil dieser Brief auch
nur für euch bestimmt ist; jedenfalls sollen Elisabeth u. Mutter nichts davon
erfahren, da einige Teile des Inhalt zu größerer Beunruhigung führen wür-
den, was ich auf jeden Fall vermeiden möchte. Als ich euch am 19.X den längeren
Kriegsbericht schickte, glaubte ich nicht, dass wir uns nach 8 Tagen noch im selben
sumpfigen Nordseegelände befinden würden. 4 Gegner hatten wir, 3 zu Lande,
Belgier, Franzosen u. Engländer u. außerdem die von der See feuerenden englischen
Kriegsschiffe. 14 Tage u. Nächte lang dauerte ununterbrochen das blu-
tige Ringen. Was wir in den Tagen an Granaten haben herbeischleppen
müssen, spottete jeder Beschreibung. Der ganze Gegend von Nieuport ist von
uns mit Granaten übersät worden und wie eine brodelnde Suppe
vernahm man ständig das Feuer unserer in den feuchten Gräben liegenden
Infanterie. Und trotz aller für den Feind günstigen Trainschwierigkeiten
drangen wir vor, immer weiter vor. Gewiß hatten wir viele Verluste,
besonders viele, sehr viele Verwundete, aber die des Feinds waren mindestens
doppelt. Züge von Gefangenen zogen an uns vorbei, was uns immer be-
wies dass es weiter vor ging. In den von Feind verlassenen Schützengräben
lagen die Toten haufenweise unbeerdigt und unsere Sanitäter u. Pio-
niere hatten alle Hände voll zu tun, um die tote Feinde zu begraben.
Am 23ten war die Schlacht am heißesten. Ich war nachmittags um 5 Uhr in Ostende
u sah direkt am Strand 1 Stunde lang dem grandiosen blutigen
Ringen zu. An der Stelle, wo wir (mein Freund Jos. Houben u. ich) standen,
waren 1.10 Uhr Mittags einige Dutzend Granaten eingeschlagen. Die
Engländer vermuteten im Hotel Majestic unser Generalkommando und
hatten dieses aufs Korn genommen. Ein dort dienender Oberstabsarzt
wurde auf der Stelle getötet; 4 Hotels haben durch das Bombarde-
ment sehr gelitten u. nur durch das enirgische Einschreiten des Osten-
der Bürgermeisters wurde ein weitere Beschießung der Stadt verhindert.
Während wir am Strand standen feuerten in einen fort 11 englische Kriegs-
schiffe von hoher See in unsere Reihen. Ein Blitz löste den anderen
ab, die See war stark bewegt und als gegen 6 Uhr die Sonne hinter
finstern Wolken verschwand, bot sich uns das schönste Bild, das je ein
Schlachtmaler gesehen haben kann. Nur schwer konnten wir uns von
Strand trennen, besonders als um 6 Uhr unseren schweren Kruppschen
Strandgeschütze ??? Lokomobilen herangewälzt wurden, die schon am anderen
Morgen die englischen Seeräuber verjagten. Wir mußten aber fort, weil wir
in der Nacht noch ??? 600 Granaten an unsern Batterien heranbringen mußten.
Am 28ten rückten unseren Truppen gewaltig vor u. am 29ten erhielt ich

Noch ein paar Bemerkungen:
Nieuport = Nieuwpoort (Während des Ersten Weltkriegs wurde Nieuwpoort schwer beschädigt)
"enirgische" muss natürlich "energische" heißen - es sieht aber nach einem "i" aus.
Ob es im Satz "in der Nacht noch ??? 600 Granaten" wirklich um die Zahl 600 geht und noch etwas davor steht weiß ich nicht. Beides zusammen könnte auch ein bisher unbekanntes Wort sein.

Im Satz "Züge von Gefangenen zogen an uns vorbei, was uns immer bewies dass es weiter vor ging." und beim "aufs Korn genommen" steht über dem "m" ein Strich. Dieser Strich ist ein Verdopplungsstrich - das heißt es soll ein "mm" sein. Das gab es früher häufiger z.B. auch bei diesem und anderen Stempeln:



Viele Grüße
Volkmar
 
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