Thema: Sütterlin und andere Schriften - wer kann das lesen ?
evwezel Am: 07.06.2023 22:44:55 Gelesen: 136298# 2904@  
Liebe Sammelfreunde,

ich brauche noch einmal eure Hilfe. Es handelt sich wieder um ein Feldpostbrief von Walter Ackermann. Er ist verzweifelt, weil er schon wochenlang vergebens auf Antwort auf seinen Brief wartet.

Den Text konnte ich ziemlich gut lesen, aber an einigen Stellen bin ich nicht ganz sicher.

Viele Grüße,

Emiel
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Seite 1

Balkan, Villa Schäfer den 22.10.17.

Sehr geehrter Herr Oberlehrer!
Lieber Kamerad!

Vergebens harre[1] und hoffe ich auf
ein Zeichen des Gedenkens. Sie werden
mich doch ganz vergessen haben?
Oder, ich will einmal naiv schreiben,
hat mich irgend einer bei Ihnen an-
geschwärzt[2]? Ich sehne[3] mich (…)lich nach
einen Brief von Ihnen. Denn an den
langweiligen Tagen der Regenzeit, die
nun begonnen hat, denke ich so oft an
die Zeit, in der Sie noch mit mir


[1] harren = mit bestimmter innerer Erwartung über eine gewisse Zeit hin auf ein Ereignis oder eine Person warten
[2] anschwärzen = jemand schwarz machen
[3] sehnen = innig, schmerzlich, sehnsüchtig nach jemandem, etwas verlangen


Seite 2
zusammen das Kaisers Rock tru-
gen.
Wie ich Ihnen vor etwa 2 Wo-
chen schrieb, bin ich zur Trupp ab-
kommandiert. Die ersten 14 Tage war ich
auf den Gefechtsstand, jetzt bin ich
auf der Villa. Das ist ebenfalls eine
Zentrale. Die liegt auf einem hohen
steilen Felsen[4], dem Kala Tepe[5], noch
vor der Feuerstellung unserer Batterie.
Das ist gerade nicht angewesen, beson-
ders in den letzten Tagen und Nächten,
in denen der Feind Trommelfeuer[6]
unterhält. Da befindet man sich zwi-
schen eigenen und feindlichen Feuer.
Aber: Wir Deutsche fürchten Gott, sonst

[4] Fels = Hügel
[5] Kala Tepe – Siehe https://www.frontorient14-18.org/en-us/Visit-the-Macedonian-Front/WW1-Sites/ArtMID/826/ArticleID/9/Kala-Tepe-Dojran
[6] Trommelfeuer - anhaltendes, starkes Artilleriefeuer [zur Vorbereitung eines Angriffs]

Seite 3
nichts auf der Welt! Die Haupt-
sache ist ja, wenn unsern Leitungen
nicht geschossen werden. Und bis jetzt
haben wir ziemlich Glück gehabt. Es
ist nämlich allerhand Sport, wenn
man nachts losgeht in tiefe (…)
Finsternis hinein. Dabei gießt es vom
Himmel hinab, man läuft durch den
Kabelgraben(?), der halb voll Wasser steht,
rutsche die Schlüchte[7] hinab und turnt
so weiter. Bei diesem ewigen Regen-
wetter sitzt man, wenn nichts zu
tun ist, zumütig im „(Gulden?)keller“ zu-
sammen, erzählt, singt, schreibt und
(…). Meistens aber wird bei solchem

[7] Schlucht - enges, tiefes Tal; enger, tiefer, steilwandiger Einschnitt im Gelände

Seite 4

gepennt. Das ist die beste
Beschäftigung, und dabei geht auch die
Zeit vorüber.
Komme ich von der Villa
am 1. herab, werde ich wohl wieder
für 3 Wochen zu Beobachtung oder in
Feuerstellung wandern.
Hurra, eben kommt ein
Kamerad, der mir Post mitbringt. Recht
herzlichen Dank für Ihre Karte vom 16.
Auf Ihrem Brief freue ich mich.
Mit den herzlichsten Grüßen
bleibe ich Ihr
treuen
Walter Ackermann

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