Thema: Sütterlin und andere Schriften - wer kann das lesen ?
evwezel Am: 06.12.2023 16:05:08 Gelesen: 33468# 3190@  
Liebe Sammelfreunde,

ich zeige Euch mal wieder einen Feldpostbrief, geschrieben am 4. Mai 1917. Meine Hoffnung war natürlich, alles selbst lesen zu können, aber leider bin ich wieder an einigen Stellen gescheitert…. Also, fahren wir los:



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Seite 1

Im Felde, den 4/V 17.

Mein liebes Frl. Leven!

Es is erreicht! Meine Einberufung erfolgte plötzlich
wie ein Blitz aus heiterem Himmel auf (…)prophi(…)(?)
Wege. Am 29 a[1] reiste ich von Cöln über Lille zur Front
ab u. traf dort nach zweitätiger Fahrt mit allerlei Hin-
dernissen Sonntagabend 11 1/ a(?) bei meiner Division
ein, begrüßt vom Brüllen der Kanonen u eskortiert
von feindlichen Fliegern die mit ihren Bomben nicht
gar zu sparsam umgingen. Über meinem Standort darf
ich aus naheliegenden Gründen nichts näheres mitteilen,
werde aber fleißig Tagebuch führen, damit ich später
nach hoffentlich glückliches Heimkehr auch etwas vom
Kriege zu erzählen weiß. Im Übrigen geht es mir bis
jetzt gut. Die erste Schlacht versuchte ich in meinem Mantel
gehüllt zu schlafen, es wollte jedoch nicht klappen, man
muß sich halt zuerst an das rauhe[2] Kriegshandwerk u.
den Schlachtenlärm gewöhnen u. seine Nerven auf die
Höllenmusik einstellen. Mit der Atzung[3] kann man
zufrieden sein, das Wasser nicht trinkbar u darum vermisse
ich sehr Leven hell u. dunkel[4]. Vielleicht hilft dazu Leven
einmal aus u schickt mir unter der Firma Liebesgabe
für meine Rechnung ein Faß Bier. Die Adresse würde
denn lauten: Stab der 47. Landw. Division zu Händen
des kath. Feldgeistlichers Regozini. Hoffentlich geht es
Ihnen u. Ihren lieben Angehörigen noch gut. Jüppchen[5]
kann sich bereithalten, damit ich ihn gelegentlich als
Leibbursch[6] anfordern kann! Er muß aber zuerst gut
reiten lernen u seine Nerven stählen[7]. Bitte nur ge-
legentlich die Adresse von Ihrem Bruder Karl mitzuteilen,
vielleicht liegt er ganz in meiner Nähe u konnte ich ihn
meinen Gaul[8] gelegentlich in die Kur geben. Nun Gott be-
fohle, m.l. Finchen[9]. Ich empfehle mich ganz besonders Ihrem
Gebete u verbleibe mit (?) herzl. Grüße an alle
Ihr P(?) Regozini

[1] Vermutlich April.
[2] frühere Schreibung für rau
[3] Atzung = Fütterung, Nahrung
[4] Der Briefschreiber redet hier von Bier von der Schlossbrauerei Heinrich Leven in Waldniel.
[5] Jüppchen = Josef
[6] aktiver Bursch, der dem neu aufgenommenen Fuchs als Freund und Betreuer zur Seite steht
[7] sehr stark, kräftig, widerstandsfähig machen
[8] Pferd
[9] Josefine (“Finchen”), Karl und Josef Leven waren die Kinder von Heinrich Leven, Gründer der Schloßbrauerei in Waldniel. Siehe http://www.klausehm.de/BuchstabeS/S0372.html ).


Mit herzlichem Sammlergruß,

Emiel
 
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