Thema: Sütterlin und andere Schriften - wer kann das lesen ?
volkimal Am: 27.02.2024 19:43:24 Gelesen: 14025# 3316@  
@ evwezel [#3315]

Hallo Emiel,

ein paar Kleinigkeiten habe ich gefunden:

Freiburg, den 1/XII.15

Meine Lieben,

Mit vielen tausend Dank empfing ich
diese Woche das große Paket, sowie die
beiden Kleinen, mit den lb. Schreiben
von Josefine u. Gertr.[1] Mit gleicher Post
erhielt ich auch ein Schreiben von Karl,
dem es ja noch recht gut geht. Um
nun auf Eure Schreiben zurückzukommen,
will ich nochmals, aber auch das letzte
Mal zu meinem allergrößten Bedauern
u. so schwarz ich mich auch ärgere gerade noch
bei Militär, daß ich das so lange Gesuchte
noch nicht gefunden habe. Sonst habe ich
alles schon vorgefunden u. verflixt das
gerade nicht. Was den Cognac anbelangt,
schickt einstweilen nichts mehr bis ich
schreibe u. vor allem aber keine Woll-
sachen mehr, mag es sein was es will.


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Die Weste habe ich auch inzwischen em-
pfangen, und muß ich doch sagen, daß es
etwas Großartiges ist. Vor allem paßt
sie gut, ist warm und denke auch wasser-
dicht. Dafür noch nachträglich innigen Dank.
Wie mir Gertrud schrieb, ist ja ein Schwein
eingegangen und sage ich Euch paßt mir
nur auf die Saue[2] auf, denn sie bilden
ein kostbares Viertel. Seht, das kennt Ihr
wieder nicht, die müßten Kasernenkost
schmecken, dann könnten sie nie an
Übersättigung den Kürzeren ziehen. Na,
hoffentlich ist es den Anderen vergönnt,
Euch demnächst mit großen Schlachtfesten zu
überhäufen[3] u. wißt Ihr ja, wer dabei gerne
zugegen war. Kurz und gut, auch ohnedem
läuft die Karre weiter. Was den Bier-
aufschlag anbelangt, ist hier das Bier um
M4 teuerer u wird auch wohl bald zu Haus
das Gleiche vorgenommen werden. Da meine
Kameraden erfahren hatten, daß ich auch zu den
Biermenschen gehörte, haben sie so lange gedrängt,


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bis ich ihnen ein Fäßchen gestiftet und
am Dienstag noch gerade vor dem Bierauf-
schlag uns einen gemütlichen Abend machten.
Am Mittwoch habe wir unseren ersten
großen Ausmarsch, vollständig feldmarschmäßig
allerdings nur mit einem Geschütz, das mir
anvertraut wurde ins Gebirge gemacht. Neben-
bei bemerkt, die Anderen kommen heute Abend
von Essen. - Leider hatten wir sehr ungünsti-
ges Wetter im höchsten Grade Glatteis und
feiner Regen. Menschen u Tiere stürzten wie
die Hasen und war es zum totlachen. Ein
unendlich langer Zug bildete der Apparat
im Ganzen. Über 300 Pferde und 450(?) Mann
und dann nur ein einziges kleines aber
gefährliches Geschütz das mir anvertraut wurde.
Unterwegs, keine 20 Schritt von mir liefen
gemütlich ein Paar Rehe herum, die ich mir,
wenn Feindesland gewesen mit meinem Carab.[4]
schnell gekauft hätte. Unser Weg führte
durchs Höllen tal auf den Ottilienberg[5] und am
Waldsee herunter nach Freiburg zu. Heute,


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also Mittwoch hatten wir ein Beichte im
großen Münster[6] und morgen früh H.
Kommunion, wo ich Euer allen am Tisch
des Herrn gedenken werde. Im Übrigen
nichts von Bedeutung. Im Glauben, daß
der Betrieb nicht besonders große Störung durch
den schon früher erwähnten Defekt gefunden
hat, will ich schließen.
Mit dem Wünsch auf baldiges frohes Wieder-
sehen, verbleibe ich vielmals dankend und
grüßend Euer stets tr. u dankbarer Sohn
und Bruder
Heinr.

Viele Grüße
Volkmar
 
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