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Thema: Kampf gegen Fälschungen und Betrug: Signatur, Attest, Befund ?
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Richard Am: 01.09.2016 09:06:16 Gelesen: 20185# 1 @  
In der aktuellen "philatelie" September 2016 finden Sie den Auszug aus einem Schriftwechsel zwischen Dr. Ulrich Estel und Christian Geigle, dem Präsidenten des BPP, unter Bezug auf dessen Tagung vom 30.4.2016, Beitrag in der philatelie Juni 2016.

Dr. Estel widersprach der Forderung Geigles, auch bei teuren, aber fehlerhaften Stücken künftig keine Signatur anzubringen, sondern ein Attest auszustellen. Durch eine Signatur würde das Stück erst handelbar gemacht und es könnten weniger gut informierte Sammler damit aufs Kreuz gelegt werden. Die ausführliche Begründung finden Sie in der aktuellen philatelie.

Wegen der nach unserer Meinung immer weiter zunehmenden Seuche von Fälschungen und Verfälschungen, insbesondere auf Internet Handelsplattformen, haben wir bei Herrn Geigle um eine Veröffentlichung zur Diskussion im Internet angefragt. Herr Geigle war damit gerne einverstanden und schrieb zurück: "Aufklärung ist das wichtigste Hilfsmittel im Kampf gegen Fälscher und Betrüger."

Bilden Sie sich bitte Ihre Meinung.

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Schreiben Christian Geigle:


Sehr geehrter Herr Dr. Estel,

besten Dank für die Zusendung der Kopie Ihres Schreibens an die PHILATELIE wegen des Artikels über die Mitgliederversammlung des BPP in Nürnberg. Hierzu will ich gerne Stellung nehmen:

1. Signaturen auf hochwertigen Briefmarken sind aus verschiedenen Gründen problematisch. Sie können gefälscht werden, was in Zeiten von Ebay, Delcampe usw. zu einer alltäglichen Begebenheit geworden ist. Wir werden der gefälschten Prüfzeichen kaum noch Herr. So bringt ein Hamburger Versandhändler seit vielen Jahren Millionenwerte mit gefälschten BPP-Prüfzeichen in Umlauf. Mit Attesten/Befunden wäre das nicht möglich.

2. Eine Signatur auf einer Marke ist weder datiert (wie ein schriftlicher Prüfbefund) noch trifft sie eine nachvollziehbare Aussage zur Qualität der Marke. Das Prüfzeichen selber dokumentiert die Echtheit des Stückes, seine Stellung soll etwas zur Qualität sagen. Was genau, erschließt sich dem Laien in aller Regel nicht (einwandfrei, geringe Mängel, Zahnfehler, Gummimängel, Reparaturen... usw.). Viele Sammler kennen sich mit den verschiedenen Prüfzeichenstellungen überhaupt nicht aus. Für sie ist eine geprüfte (i. e.: signierte) Marke automatisch auch "einwandfrei". Gerade das ist aber bei höhergesetzten Signaturen eben nicht der Fall.

3. Wir sprechen hier nicht über Allerweltsmarken im Nettowert unter 100 Euro, sondern von hochwertigen Marken, die entweder sehr teuer oder sehr (ver)fälschungsgefährdet sind. In beiden Fällen wird ein erfahrener Sammler immer auf einem Attest (oder Befund/Kurzbefund, das wollen wir hier mal gleichstellen) bestehen, um die Qualität der Marke nachlesbar und auch nachvollziehbar vor Augen zu haben. Das kann eine Signatur, wie oben schon festgestellt, in aller Regel nicht.

4. In diesen teuren Fällen wird ein halbwegs vernünftiger Sammler eine ungeprüfte Marke, entgegen Ihrer Annahme, gar nicht kaufen. Erst recht nicht, wenn im Katalog ein expliziter Hinweis auf die Notwendigkeit einer BPP-Prüfung geschrieben steht, etwa bei Marken mit Aufdrucken (Berlin schwarz und rot, Bizone 52 Werte), gestempelten Marken, die viel teurer sind als die ungebrauchten (Inflation, DR Mi.-Nr. 28, Berlin Bl. 1) oder auch gummierungsgefährdeten Marken (Nachgummierungen, Entfalzungen bei DR Zeppelinen Südamerikafahrt, Polarfahrt, Chicagofahrt, Block 1 und 2).

5. Natürlich kann der Händler das mißliebige Attest mit der Nennung des Qualitätsmangels wegwerfen. Er wird dann aber das Stück in aller Regel nicht zu einem 1a-Preis verkaufen können, außer natürlich an einen völlig ahnungslosen Kunden. Wir bemühen uns seit vielen Jahren, den Sammlern klar zu machen, im Zweifelsfall nur geprüfte Marken zu kaufen. Gerade diese vorsichtigen Kunden müssen geschützt werden, indem man bestimmten Marktteilnehmern nicht die Gelegenheit gibt, mit höher signierter 2. Wahl ein gutes Geschäft zu machen. Die Ausreden für die Höhersignierung sind bekannt: der Prüfer hat das immer so gemacht, hatte einen schlechten Tag, gezittert, ist schon alt usw. Ist auf der Marke kein Prüfzeichen drauf, sondern ein eindeutiger schriftlicher Prüfbefund dabei, fällt dieser ganze Problemkreis weg.

6. Signaturen sind nicht nur undatiert, sie sagen auch nichts darüber aus, was einen Tag nach der Prüfung geschehen sein kann: Da wird der kleine Zahnfehler, der zur Höhersignierung geführt hat, kunstvoll beseitigt. Locheisen sind für kleines Geld im Zubehörhandel zu bekommen. Oder der 2 mm höher signierte Berlin-Block mit ESSt. wird am Unterrand abgeschnitten und ist damit wieder "tiefstsigniert". Oder unter das höhergesetzte Prüfzeichen wird ein Fantasiezeichen gesetzt. Dann heißt es, der Prüfer habe gezwungenermaßen höher signieren müssen, die Marke sei aber vollkommen in Ordnung.

7. Die meisten BPP-Kollegen berechnen bei mängelbehafteten Marken geringere Prüfvergütungen zwischen 1 % und 2,5 % vom Katalogwert. Ich finde das sehr kulant, denn der Prüf- und Dokumentationsaufwand ist bei einer fehlerhaften Marke höher als bei einer einwandfreien. Und nach dem Motto "Wo Läuse sind, sind auch Flöhe" muss der Prüfer noch genauer hinschauen, damit er ja auch nichts übersieht. Das sind hohe Anforderungen für ein paar Euro Prüfvergütung.

8. Ob die Prüfung von Briefmarken immer wirtschaftlich sein kann und muss, vermag ich nicht zu sagen. Briefmarkenprüfungen sind eine Dienstleistung, die von hochgradig spezialisierten Sachverständigen mit teils jahrzehntelanger Ausbildungszeit und Berufserfahrung erbracht wird. Der Stundensatz eines vergleichbaren Sachverständigen oder Juristen in der nichtphilatelistischen Welt liegt selten unter 150 Euro. BPP-Prüfer sind schon mit einem Drittel der Summe gut bedient, von dem Haftungsrisiko einmal ganz zu schweigen, das sich aus dem anzuwendenden Werksvertragsrecht ergibt.

Zusammenfassend kann ich keinen einzigen Grund erkennen, dass Signaturen auf Marken einem schriftlichen Befund überlegen sein sollen, die etwas geringeren Kosten einmal ausgenommen.. Ich bin immer wieder erstaunt, dass Sammler hohe Summen für ungeprüftes Material oder 2. Wahl ausgeben, wo sie einen gebrauchten PKW niemals ohne einen aktuellen TÜV-Bericht kaufen würden. Teppiche, Vasen, Gläser, Uhren - alle möglichen Anlageobjekte müssen heute über Zertifikate verfügen, in denen sie en detail beschrieben werden. Nur teure Briefmarken sollen mit einem kleinen schwarzen Prüfzeichen auskommen, weil sie aus Papier sind und rückseitig so schön zu bestempeln sind? Da steckt doch ein Logikfehler drin, oder?

Mit freundlichem Gruß,

Christian Geigle, Präsident des BPP e. V.
 

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