Thema: Sütterlin und andere Schriften - wer kann das lesen ?
evwezel Am: 30.05.2020 14:46:48 Gelesen: 512933# 1672@  
Liebe Sammelfreunde,

noch ein kleines Rätsel zu Pfingsten.

Viele Grüße,

Emiel


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Im Felde, 5.6.17

Lieber Franz!

Zunächst vielen Dank f.d. Karten.
In den ersten Tagen erhältst du wenigstens
schon einige Abzüge, die Zeit muβ ich mir
allerdings dazu stehlen. Ich habe jetzt
die Adjutantur fast übernommen und
mich entschlossen, den Posten vorerst zu
behalten. Ein gutes hat nämlich die Sache,
man gewöhnt sich wieder am regelmäβige
Arbeit, was im Kolonnenbetriebe nicht der
Fall war, u. das ist gerade sehr wichtig ein
Gedanken an den kommenden Frieden.
Auch kann man, wenigstens auf den Ge-
biete der Organisation und -non plus ultra-
der Intrig(...)[1] sowie der Einschätzung von Menschen
noch furchtbar viel hinzulernen. Du glaubst
nicht, was für ein geglanztes Menschenkind
so ein Major-Adjutant ist. Alle
Bitten u. Wünsche sowohl der Offizieren


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als auch der Unteroffizieren u. Manschaften werden
nimmer vertrauensvoll eröffnet, man wird (...)[2]
wie ein kleines Mädchen. Jedem möchte man
gefällig sein u. kann doch unmöglich jäden[3]
Wunsch erfüllen.

6-6-17
Gestern bin mit den Briefe nicht fertig
geworden, da wieder allerhand dazwischen
kam. Heute Morgen war ich schon früh
im Settel u. zwar galt unser Besuch
den hohen Stabsquartier des Führers unserer
201 Division Excellenz von Dickhut-Harrach.
Ich wurde so persönlich bekannt mit all
den Generalstabs-Onkels, mit denen ich tag-
täglich stundenlang am Fernsprecher unter-
handele. Es waren meist sehr nette Herren,
kaum ein Monokel-Träger war dabei,
die scheinen jetzt immer mehr zu verschwinden.
Von Sonntag bis Mittwoch wird unser
Traingeneral Goeden bei uns wohnen
u. hier Besichtigungen abhalten. Natürlich
kommt man in den Tagen zu gar nichts.
Heute in der Mittagssonne habe endlich
einige Abzüge der Ferienbilder machen
können, ich schicke dir jetzt schon welche mit


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weitere sollen folgen, sobald die Zeit es ge-
stattet. Damit du mal siehst, worin mein
Dienst hauptsächlich besteht, schicke dir heute
so eine Bierzeitung mit, wie ich sie
Tag für Tag herausgebe. Um 4 Uhr
beginnt der Redaktions-betrieb, um 7
reiten die Meldreiter mit 20 Exemplaren
los. Es schwengt gewöhnlich zwischen 3
u. 4 Seiten, mann muβ ordentlich den
Post zusammennehmen, um noch klug
zu werden aus den 1000 Verordnungen.
Das sind so die Leiden des Stellungskrieges.
Nachweisig(?)[4] haben wir hier allerdings das
schönsten Quartier, ein herrliches Landsitz.
Vor mir liegt ein wunderbarer Park,
Wald, Wiese und Wasser. Auch davon
sollst du nächstens Bilder haben.
Doch nun Schluβ für heute,
der Major ruft schon wieder, es
läβt ihn kein Ruhe, er erinnert mich
sehr an Onkel Christian.
Mit herzl. Gruβ u. Kuβ bin ich
dein Bruder
Richard

[1] "Intrigen" wurde logisch sein, aber das lese ich hier nicht...
[2] Ich hätte hier etwas erwartet wie "man wird behandelt wie ein kleines Mädchen".
[3] Soll das nicht "jeden" sein???
[4] Ich lese hier eigentlich "nachweitig", aber das ist doch kein normales Wort?!...




 
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