Thema: Sütterlin und andere Schriften - wer kann das lesen ?
evwezel Am: 09.06.2023 13:54:01 Gelesen: 134696# 2919@  
Liebe Sammelfreunde,

ich zeige Euch nochmals einen Feldpostbrief von Gefreiter Ackermann. Er befand sich zur Zeit des Schreibens in Nordmazedonien. Könnte mir jemand sagen, ob ich irgendwo noch eine dumme Fehler gemacht habe?

Viele Grüße,

Emiel

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Mazedonien, In Feuerstellung 10.I.18

Lieber Kamerad!

Welche Freude mir Ihr Brief vom
20.12 gemacht hat, können Sie sich gar nicht vor=
stellen. Hatte ich doch schon lange, leider vergeblich,
auf ein Zeichen des Gedenkens gehofft. Aber
nun herrsche eitel[1] Freude.
Die Gefühle, die uns hier fern
vom Vaterland beschlichen[2], als die Nachricht der
Friedensaussichten mit Rußland durch Telephon
kam, sind gar nicht zu beschreiben. Da sah man
doch so deutlich, was den Menschen „Frieden“
bedeutet und wir hier an der Heimat und
den geordneten Zuständen hängen. Und wenn
einige Feldgraue zusammen sind, sprechen sie
doch meistens von ihren Lieben daheim und
von den vergangenen schönen Zeiten.

[1] eitel = lauter
[2] beschleichen = (von Gefühlen, Gemütsbewegungen u. Ä.) langsam und unmerklich erfassen, überkommen

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Sie haben recht, wenn Sie
mir schreiben, daß mir der Tod meines
Freundes Carl sehr zu Herzen gegangen ist.
Trat doch da das Wort: Media vita in morte
sumus[3] so recht in den Vordergrund und
man eracht erst einmal die Gefahr, in der
man ständich schwebt. Als mich die Nachricht
erreichte, war ich gerade auf Beobachtung,
und Carl hat seine Verwundungen auf
Beobachtung erhalten. Für Ihr Beileid danke ich
Ihnen herzlich.
Ich bin inzwischen ja Gefreiter
geworden. Wenn Sie mal den Grund dafür
wissen wollen, dann lassen Sie sich bitte
einmal einen Brief an Frl. L. vom 13.-21.ii
datiert vorlesen. Ich habe sie übrigens auch
selbst schon gebeten, Ihnen den Brief vorzulesen,
weil es eine Schilderung des Lebens als Artl.=
verbindung[4] im verdeckten bulgarischen Schützen=
graben enthält. Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen
nicht auch so einen Brief geschrieben habe
aber so ein Dokument verfaßt man nur

[3] Latein. Der Text lässt sich etwa mit „Mitten im Leben sind wir im Tod“ übersetzen
[4] Artillerieverbindung

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einmal. Mit Ihrer Ver=
mutung, daß ich mich am vielgenannten
Doiransee[5] befinde, haben Sie das Richtige
getroffen. Wenn ich auf dem vor der
Stellung liegenden Berg steige, liegt der See
keine 2 km von mir ab. Wenn ich
übrigens nochmal gelegentlich nach Cerniste[6]
komme, werde ich Ihnen einige maze=
donische Ansichten schicken womit Sie sicher=
lich einverstanden sind. Besonders ist es ja
freilich nicht, aber immerhin etwas. Wie
ich Ihnen schon schrieb, nehme ich, nach=
dem ich den Luftsignalkursus hinter mir
habe, nochmals an einem Offz. = Asp.=
Kursus[7] teil, auf Befehl des Oberleutnants.
In Ehrenbreitstein der, seligen Angeden=
kens, war also nicht genug und hatte gar
keinen Zweck. Ferner erhalte ich Reit=
unterricht. Das macht spaß, wenn man
in Reithose und = Stiefel[8] auf dem Pferde
durch die wildzerrissen Gegend traben

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Neulich hatten wir -8°, dann Sonnenschein, jetzt Regen.
Das ist eine Abwechslung, bei der die Wege grundlos werden.


[5] Doiransee / Dojran lake. Siehe auch https://en.wikipedia.org/wiki/Battle_of_Doiran_(1917)
[6] Černište / Crnichani in Nordmazedonien
[7] Offiziers-Aspiranten-Kursus
[8] Reitstiefel - von Reitenden getragener Stiefel mit langem Schaft

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kann.
Wie Sie wissen, bin ich ja Fernsprecher.
Da der Apparat, auch während der Nacht, stets
besetzt bleiben muß, so hat man in den
4 Stunden Wacht Zeit zum Lesen und Schreiben.
Ich habe mir schon von meinen Eltern mei=
nen geliebten Homer in deutscher Ausgabe
schicken lassen. Da wäre ich Ihnen nun wirk=
lich herzlich danken, wenn Sie mich mit
geistiger Nahrung etwas versehen wollten. Denn
die vermißt man so manchmal. Mit dem
Dichten ist es eine Sache. Obwohl ich Zeit und
Anregung genug hätte hat das Wort, das Sie mir
schrieben, doch in etwa Recht: Inter arma
silent musae[9]. Es ist zuviel, was man er=
lebt. Bis jetzt habe ich erste zwei Gedichte zu
stande gebraucht, von denen das erste noch
sehr die Feile bedarf. Ich schreibe sie anbei.
Und nun seien Sie vielmals gegrüßt
von Ihrem treuen
Walter Ackermann

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Übrigens hat unser Batln. die Nummer geändert und ist vom
Landwehr zu einem aktiven Batln. gemacht worden. Genaue Adr.
Gefr.[10] W.A. 1. Batt. Fußartl. Batln. 118 d. Feldpost 239[11].

[9] Latein. „Unter Waffen schweigen die Musen“
[10] Gefr. = Gefreiter
[11] 1. Batterie? Fußartillerie. Bataillon 118 deutsche Feldpost 239.




 
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