Thema: Sütterlin und andere Schriften - wer kann das lesen ?
evwezel Am: 22.10.2023 15:50:38 Gelesen: 53422# 3140@  
Liebe Sammelfreunde,

Gestern habe ich die Postex-Messe in Barneveld (in den Niederlanden) besucht und dort fand ich einen interessanten Feldpostbrief. Der Briefschreiber hatte offensichtlich ein hitziges Temperament... Der Brief läßt sich ziemlich gut lesen, aber ich bin mir an einigen Stellen nicht ganz sicher (=fettgedruckt).

Viele Grüße,

Emiel

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Nr. 11 Görlitz [1] 6.5.1917

Meine lieben, guten Eltern!
Meine liebe Marta!

Die Bahnhofswache hätte ich glücklich hinter
mir. Es ging fast ununterbrochen die ganze
Nacht durch mit den Transporten. Gestern abend
zwischen 10h und 11h bin ich bei der Absper-
rung in eine solenne Keilerei[2] mit Ci-
vilisten, besonders Weibern, verwickelt
worden, die sich darüber aufregten, daß ich ge-
mäß meine Inspektion einen Jungen, der
die Posten belästigte und die Postenkette
durchbrach, auf die Wache bringen[3] wollte, und
die schließlich handgreiflich wurden. Es sam-
melten sich immer mehr Leute an, so daß ich
allein nichts mehr ausrichten konnte (1
Posten war gerade noch bei mir). Der Junge
wurde mir aus den Händen entrissen, und
der Helm von hinten weggenommen, als
ich denn blank zog[4], wich die Bande aber
doch zurück. Wenn mir noch mal so
etwas passiert, schlage ich alles kurz und


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klein, was mir unter die Finger kommt.
Die Absperrungsbestimmungen sind aller-
dings kolossal streng; so dürfen 3. l.[5] Verwandte
von denen, die beim Transporte sind, nicht
mit ihren Sohnen, Brüdern, Väter etc. sprechen.
Da zwischen 10h heute vorm.[6] und 6h nachm.[7]
kein Zug mehr durchkam, wurden wir um
¼ 11 vorm. schon entlassen, während wir sonst
erst um 3 45 nachm. abgelöst worden wären.
Nach Hause gekommen bekam ich gleich
Kompagniedienst bis morgen mittag. So
konnte ich wenigstens nachm. ausschlafen,
und es war ein billiger Sonntag.
Zu Mittag gab es: Suppe, Schmorbraten mit
Schöten und Karotten, Kartoffeln, Citronen-
speise. Nachher haben wir Jünke(?) noch Caffée ge-
trunken und Kuchen gegessen, und dann
fing mein Dienst an.
Empfanget die innigsten Grüße und Küsse
von Euren Euch innigst liebenden und
stets dankbaren
Walter

Absender
Fähnrich Hammer. I.K. 19
Ers. Batl . Görlitz. 3.Komp

Adresse
Familie
Bankier
Oskar Hammer
Berlin Lichterfelde-Ost
Goethestr. 7 dpt(?)

Tagesstempel
GÖRLITZ
-7.5.17.6-7V.
* 1 b


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%B6rlitz
[2] heftige Schlägerei
[3] Auf die Wache bringen = verhaften / festhalten
[4] blankziehen = eine Waffe aus der Scheide ziehen
[5] l.= liebe
[6] vorm. = vormittag
[7] nachm. = nachmittag



 
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