Thema: Sütterlin und andere Schriften - wer kann das lesen ?
evwezel Am: 21.02.2024 15:07:38 Gelesen: 19189# 3282@  
Liebe Sammelfreunde,

ich kann jetzt mit Olaf mitfühlen, denn auch ich habe vor kurzem einen Brief übersetzt den mein Selbstvertrauen völlig untergraben hat. Die Löcher im Text sprechen Bände (sieht gerade aus wie Emmentaler).

Der Brief wurde geschrieben in Frankreich am 7. Mai 1916. Das erste Teil dieses Briefes erzählt über die schrecklichen Ereignisse an der Front, das zweite Teil über die Tätigkeit der Briefschreiber als Heiratsvermittler.

Nachfolgend meine (teilweise) gescheiterte Leseversion des Briefes:

Seite 1

Waldlager, den 7.V.16.

Liebe Josefine!

Sonntag-Abend wäre
es nun u. erhielt ich Deine lb. Zeilen heute
Nachmittag zu meiner größten Freude.
Empfange vielen, herzlichen Dank dafür!
Zunächst war ich wirklich etwas überrascht,
als ich mir den Zeilen ersah, daß die lb.
Eltern nach Berlin seien. Nun es
freute mich auch wieder sehr, daß die
lb. Mutter einmal herangekommen
ist u. haben sie hoffentlich recht viel gesehen.
Dann ist es nebenbei auch zu großem Vor-
teil gewesen u. hat sich die Reise wirklich
gelohnt. So sieht man auch vor allem, daß
der lb. Gott uns auch in dieser schweren
Zeit nicht verlassen hat u. sind wir
Ihm allein dafür ewigen Dank schul-
dig. Wie ich aus Deinen Zeilen ersehe, kommt
jetzt auch bald für Euch die Zeit wo es
bereut(?) nach der Karte zu leben. Gewiss ist
es nichts leichter, aber verhungern wird
keiner dabei u. kennt(?) Ihr G.s.D. auch nicht
was von unseren tapferen Truppen geleistet
wird. Ein kleines Beispiel will ich an

Seite 2

führen. Seit gestern Nachmittag liegen
die armen Kerls in einem Hagel von glühen-
dem Eisen u. kann man es fast toppelter
Trommelfeuer nennen. Jede Sch(…)de
fällt nicht ein, (…) drei vier (…) &
geht es noch ununterbrochen so weiter.
Am 4 Uhr heute Nachmittag war außerdem
ein großer Sturm[1] auf Vaux(?) u. was das
heißt(?) auf solch einer (…) Stellung
zu stürmen kann man in Werten nicht
mitteilen. Das ganze Gelände sah aus wie
ein Kohlenrevier[2] wo Zeche[3] an Zeche Hoch-
ofen an Hochofen ist. Alles ist in schwerem
Pulverrauch gehüllt & bekommt(?) das Bild
eine kleine Abwechselung durch die Turm-
hohen Rauchsäulen der schweren Minen-
explosionen die auch jede Minute statt-
finden. Dass die Erschütterung(?) eine
sehr heftige sein muss(?) ersiehst Du am
besten daraus wenn ich Dir sage, dass
meine Sachen die ich in meiner Bude
an den Wänden aufgehangen habe grössten-
teils herumhergefallen sind. So geht es
nun ununterbrochen weiter & meint(?) man
es würde kein Ende nehmen. Nun
genug von diesem!

[1] heftiger, schnell vorgetragener Angriff

[2] Kohlenrevier = größeres Gebiet, in dem Kohle gefördert wird

[3] Zeche = Grube


Seite 3

L. Josefine! Jetzt will ich auch auf Deinen
vorletzten Brief zurückkommen. Es hat
mir schrecklich viel Freude gemacht, zumal
ich Deine Meinung & vor allem Dein Herzens-
wunsch daraus ertrennt(?) habe. Es ist
ja selbstverständlich dass ein jede von uns
darauf bedacht ist, das Ziel, wofür er in
die Welt ge(…) ist auch zu erreichen; mit
dem Unterschied, dass die einen es leichter
& schneller nehmen & die andern vor-
sichtiger & bedächtiger handeln. So ist
es nun auch bei Dir gewesen. Das Glück
kommt aber Geduld. Ich habe mein Möglichste
schon dazu getan & hoffe, dass der Erfolg
dazu nicht ausbleibt. Näheres will ich
& kann ich Dir noch nicht mitteilen da
ich den Lauf der ganzen Harte nicht stören
möchte & müssen wir es dem (…)
vorläufig überlassen. Aber nach dem
Feldsiege, versichere ich Dir einen Herren
& sowar ein ganz patenter Herr in unserem
Hause vorstellen zu können. Beten
wir aber & richten wir unsere Bitte
vor allem zur lieben Gottesmutter die
auch mir den Weg zum Glück gezeigt

Seite 4

& den ich auch wirklich gefunden habe.
Es ist ja auch mein Herzenswunsch
Dich meine lb. Schwester glücklich, ja recht
glücklich zu sehen & trifft es mich auch
sehr, wenn es nicht der Fall ist. Aber(?)
ausharren & nicht verzweifeln, wie wir
es auch in den jetzigen Weltenringen(?)
unseren (trotz)igen Feinden gezeigt haben
& weiter zeigen können.

Deshalb folge meinem
Rate & sei guten Mutes. Was ich
mit meinen schwachen Kräften erreichen
konnte, habe ich versucht & hoffe es
zur Vervollkommnung bringen
zu können.
Indem ich Dir nochmals(?)
recht herzlich für Deine lb. Zeilen
danke, bin ich in treuer Bruder-
liebe Dein Karl.
Viele Grüße an allen!
Das Geld schicke ich auch bei der ersten
Gelegenheit!

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Viele Grüße,

Emiel



 
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