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Thema: Das Grading von Briefmarken
Das Thema hat 34 Beiträge:
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Richard Am: 16.11.2023 15:50:46 Gelesen: 2629# 1 @  
Lars schrieb im Thema

Letzte Woche wurde bei Robert A. Siegel eine große Sammlung US-Marken (Semiklassik) verkauft. Fast jede Marke war "gegradet". Die erzielten Preise gingen teils sehr deutlich über das Scott-Niveau hinweg. Die Marken hatten in der Regel ein PSE-Zertifikat.

Hallo Lars,

da interessieren (vielleicht nicht nur) mich diese Fragen:

- Kannst Du kurz und exakt schreiben was Grading bedeutet ?

- Hast Du Erfahrung, was ein Grading Zertifikat kostet ?

- Du schreibst von Erlösen deutlich über den Scott Preisen. Die Sammler scheinen ja ganz narrisch zu sein, solche Gradings für ihre Marken zu erhalten. Wer aber legt die Gradings fest und nach welchen Grundsätzen ?

- Haben BPP und/oder andere Prüferberbände und Vereinigungen bereits mit dem Grading begonnen und kannst Du entsprechende Prüfernamen nennen ?

Selbstverständlich können auch alle anderen Mitglieder, die sich für qualifiziert halten, hier antworten oder weitere Fragen stellen.

Grüsse aus dem Allgäu, Richard
 
TeeKay Am: 16.11.2023 20:45:38 Gelesen: 2481# 2 @  
Grading ist ein Trend, den es außerhalb Deutschlands schon seit Jahren bei diversen Sammelprodukten gibt. In der Regel werden die Sammelstücke von einer gewinnorientierten Gradingorganisation nach selbst gewählten Kriterien nach dem Zustand bewertet, ausgedrückt in Prozent bzw. Punkten, und dann zusammen mit dem Gradingresultat in einer Plastikverpackung eingeschweißt.

Vorteile: Die Wahrscheinlichkeit, dass das Sammelstück noch in der Qualität vorliegt, die beim Grading bestand, ist höher, da eingeschweißt. Außerdem können auch total Uninformierte viel Geld ausgeben, da das Grading Sicherheit suggeriert. Ein BPP-Attest sagt nur was über die Echtheit aus, nicht ob Posthornsatz 1 besser ist als Posthornsatz 2. Ein Grading gibt vor, diese Information liefern zu können.

Nachteil: Das ist nur für Investoren geeignet, die das Zeug dann in den Tresor legen - denn die Gradingverpackung verhindert die Lagerung in einem Album.

Das Vorliegen prozentualer Zustandsbeschreibungen führte natürlich sehr schnell zu einem Run auf die best gegradeten Sammelstücke und zu einer Abwertung aller anderen - mit immensen Preisunterschieden. Bei Computerspielen können zwischen zwei Prozentpunkten mehrere hundert Dollar Unterschied liegen. Und natürlich ist das Grading subjektiv. Wer will sicherstellen, dass ein 95% Sammelstück wirklich schlechter ist als ein 96%-Stück? Interessiert aber keinen: Das mit 96% wird viel teurer sein.

Viele Sammler schauen heute nur auf das Attest oder schlimmer sogar nur auf den Signaturstempel, nicht auf das geprüfte Stück selbst. Mit dem Grading wird das ganze noch schlimmer, denn man kann die Marke nicht zur eigenen Prüfung aus der Verpackung entnehmen, ohne das Grading wertlos werden zu lassen. Und dabei stellt das Einschweißen nichtmal sicher, dass das Zeug unverändert bleibt - Stichwort Folienproblematik oder auch Sonneneinstrahlung.
 
bayern klassisch Am: 16.11.2023 22:00:49 Gelesen: 2432# 3 @  
@ TeeKay [#2]

Sehr guter Beitrag.

Meine Meinung dazu: Jeden Tag steht (mindestens) ein Dummer auf und jede Woche wird eine (neue) Sau durchs Dorf getrieben.

Wer in der weiten Welt der Philatelie nichts besseres zu sammeln findet, als gegradete Briefmarken, sollte gleich zu Bierdeckeln wechseln - diese kosten weniger, sind alle gut gegradet, brauchen keinen umweltschädlichen Kunststoff und haben in schweren Zeiten einen weitaus höheren Heizwert.

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
Lars Boettger Am: 17.11.2023 09:46:09 Gelesen: 2355# 4 @  
@ Richard [#1]

Kannst Du kurz und exakt schreiben was Grading bedeutet ?

Hallo Richard,

die klassischen Briefmarken der Vereinigten Staaten sind vom Motiv her sehr ästhetisch gestaltet, aber der Druck machte dann dergestalt Probleme, dass die Marken sehr eng nebeneinander liegend gedruckt worden. Die Linienzähnung der später ausgegebenen Marken hat ebenfalls nicht dazu beigetragen, dass es sehr viele gut zentrierte und ansprechende Marken gibt.

Auf der anderen Seite sind die US-Marken oft in hoher Auflage gedruckt worden und ein grosser Teil lässt sich auch heute noch recht günstig einkaufen. Auf der anderen Seite möchten Sammler und insbesondere Aussteller das "beste bekannte Exemplar" oder das "schönste bekannte Exemplar". Natürlich kann man das leicht behaupten, aber wenn man es von einer Prüforganisation bestätigt bekommt, ist der Sammler mit seiner Aussage nicht alleine. Ich habe den "Grading-Guide" verlinkt [1] [2].

Die PSE hat in 2001 mit dem Grading-Service begonnen. Die PSE veröffentlicht einen Report, wie viele Marken einen gewissen Qualitätsstandard erreicht haben [3] und sie veröffentlichen vierteljährlich eine Liste mit Preisangaben zu Einstufungen [4]. Die US-Amerikaner sind bereits mit Münzen und Baseball-Karten das Einschweißen gewohnt. Von daher war es nicht verwunderlich, dass die PSE auch für Briefmarken angeboten hat.

Wer sich deutsche Auktionskataloge ansieht, der findet darin ebenfalls Angaben zur Ästhetik ("das schönere von zwei bekannten Exemplaren", "ausnahmsweise sehr gut zentriert", "für diese Ausgabe sehr schön gestempelt"). Muss ich als Sammler nicht gut finden und kann ich, wie so vieles, ignorieren. Ich kenne aber auch Sammler, die für gut zentrierte und schön gestempelte Marken eine deutliche Prämie bezahlen. Die PSE hat sich diesen Trend zu Nutze gemacht und davon profitiert. Die bei Siegel erzielten Preise sprechen aus meiner Sicht dafür, dass Sammler immer noch bereit sind, eine Prämie für außergewöhnlich gut erhaltene Marken zu bezahlen.

Zu den anderen Fragen von Richard [#1]:

- Andere Prüfverbände: Nein - aber bei Ausnahmestücken schreibe ich einen entsprechenden Kommentar
- Kosten: Siehe [5]
- Preise: Siehe [4]

Der Wunsch nach gegradeten Marken hat m.E. in den letzten zehn Jahren deutlich abgenommen. Das Grading hat einen Wunsch bei den Sammlern begründet, nach dem "besten" Exemplar zu suchen. Da ich die Marken der USA nicht aktiv sammle, habe ich Grading nur als Marktentwicklung wahrgenommen.

Beste Grüsse!

Lars

[1] http://psestamp.com/intro.chtml
[2] http://psestamp.com/pdf/2009_GradingGuide_092009.pdf
[3] http://psestamp.com/pop/
[4] http://psestamp.com/prices/
[5] http://psestamp.com/servicesandfees.chtml
 
Philipp Harder Am: 17.11.2023 11:00:15 Gelesen: 2308# 5 @  
@ Lars Boettger [#4]

"Grading" war zu Beginn gleichbedeutend mit "Slabbing" ("Einschweissen"). Erfunden wurde das "Grading" für Münzen und Baseball-Sammelbilder, wo man die Qualitätsstufe weiterhin direkt auf die Schutzverpackung ("Slabbing") druckt. Bei Briefmarken ist man neuerdings wieder davon abgekommen. Die PSE bietet "Slabbing" nur noch so lange an wie ihr Vorrat an Plastikboxen reicht. Vorteil ist, dass der Briefmarkensammler wieder die Marke ins Album stecken kann. Nachteil ist, dass er jetzt zu jeder Marke ein "Grading-Zertifikat" abheften und auf nachträgliche Beschädigung achten muss.

"As of January 1, 2021 PSE is discontinuing its encapsulation service. Due to a combination of increased minimum supply requirements combined with a currently low demand for encapsulation service it has become cost prohibitive for PSE to continue providing this service at this time. PSE will continue to encapsulate stamps for as long as we have remaining sizes in stock. Orders submitted for encapsulation where current stock has run out will be issued graded certificates."

DeepL: "Ab dem 1. Januar 2021 stellt PSE seinen Verkapselungsdienst ein. Aufgrund einer Kombination aus erhöhten Mindestlieferanforderungen und einer derzeit geringen Nachfrage nach dem Verkapselungsservice ist es für PSE zu kostspielig geworden, diesen Service zu diesem Zeitpunkt weiter anzubieten. PSE wird weiterhin Briefmarken kapseln, solange wir noch Größen auf Lager haben. Für Aufträge, die zur Verkapselung eingereicht werden, weil der Vorrat aufgebraucht ist, werden abgestufte Zertifikate ausgestellt."

Quelle: http://psestamp.com/servicesandfees.chtml
 
DL8AAM Am: 17.11.2023 18:44:35 Gelesen: 2180# 6 @  
Damit man auch mal so eine PSE-Kapselung mit Grading sieht, hier ein Foto von der New York 2016. Leider weiss ich nicht mehr, an welchem Händler- bzw. Verkaufsstand ich das Bild seinerzeit gemacht habe. Sorry!



Die Gradingangangabe ist in diesem Fall "XF-Sub 95". Zur genauen Schlüsselung dieses Kodes, siehe das oben [#4], das zweite von Lars verlinkte File [1].

Beste Grüße
Thomas

[1] [2] http://psestamp.com/pdf/2009_GradingGuide_092009.pdf
 
DL8AAM Am: 28.04.2024 14:48:50 Gelesen: 1743# 7 @  
Das Grading-Theater in den USA ist vielleicht ärgerlich und übertrieben, aber fairerweise muss man anerkennen, dass die Sammler extrem auf die hohen Punktzahlen achten. Völlig normale Marken erreichen zum Teil Irrsinns-Preise, weil sie ganz hoch eingeschätzt werden in der Qualität. Wenn der Scott-Spezialkatalog dazu keine Aussagen machen würde, wäre dies eine Unterlassung.

Nur ganz kurz zur Illustration zu diesen, wertfrei gemeint, "Auswüchsen" ;-)

Ganz frisch aus der AP (The American Philatelist), na ja, halb frisch, Ausgabe Mai 2023, aus dem wirklich sehr interessanten Artikel "Are we Afflicted with Certitis? - The Ongoing Problem of ‘Certitis’" (Seite 442) von Wayne Youngblood.



Certitis, ein dickes Attest für eine Massenware-Marke zu 25 Scott-Cents, aber eben ein XF-Sub 95 ... Grading Matters ;-)

So wie die AP (des amerikanischen Phila-Daschverbandes APS) es macht, so würde ich mir uns hier mal ein deutsches Philateliemagazin wünschen, ein paar komplette Ausgaben als Leseproben unter [1].

Nein, ich bekomme keine Provision. ;-)

Beste Grüße
Thomas

[1] https://stamps.org/the-american-philatelist
 
drkohler Am: 28.04.2024 16:11:56 Gelesen: 1735# 8 @  
Bei dem Wellenstempel in der obigen Marke ziehen sich mir alle Zehennägel zusammen.

PSE wurde letztes Jahr beim massiven Betrügen erwischt. Unter den zahlreichen Marken, die sie "prüfen" (ich schreibe das absichtlich in "" weil PSE dutzendfach erwischt wurde, wie sie in ihren Zertifikaten nicht hinwiesen, dass Marken reperforiert, neugummiert oder fehlende Zähne und andere Schäden hatten) befanden sich etliche spezielle Marken:

Dutzende von gestempelten Marken wurden nur wenige Wochen nachdem sie vorher als "Neuware" zertifiziert wurden, erneut zertifiziert (zum Teil sogar mit anderen Zentrierwerten). Alle diese "gebrauchten" Marken hatten den exakt gleichen Wellenstempel (mit ziemlicher Sicherheit ein Gummistempel). Die obige Marke zeigt exakt diesen "Wellenstempel"!

Leider ist das ganze Grading in den USA ein Riesengeschäft, von etlichen Händlern gepuscht.

Ich habe gerade vor Kurzem an einer Siegel-Auktion mitgeboten (auf MH, nicht auf Gradingzeug). Da war eine 50 c Marke, die mit Gem 100 ausgezeichnet war. Katalogwert $ 21, SMQ-Wert für diesen Grad: $ 850. Die Marke wurde für $ 11'000 zugeschlagen. Eine andere Marke brachte es auf $ 8'000 bei einem Katalogwert von $ 2 (SMQ $110).

Es gibt auch immer noch genügend Vollpfosten, die für Neuware, die man noch auf der Post bekommen kann, das hundertfache hinblättern weil sie ein Grade 100 Zertifikat von dieser Pseudofirma bekam. Der Chef der Firma hat mal behauptet, dass er den Gummistempel vom Fälscher kassieren konnte. Wie das geschah und wo der Stempel jetzt ist, wer der Fälscher ist - keine Antworten. Es hilft auch nicht, das einige der Fälschungen von einem Besitzer zur Prüfung eingeschickt wurden, der in Las Vegas lebt. Ein Schelm, der Schlechtes denkt.

[Beiträge [#7] und [#8] redaktionell kopiert aus dem Thema "USA Scott Kataloge Standard-Ausgabe und Specialized"]
 
Dobe Am: 28.04.2024 19:01:03 Gelesen: 1690# 9 @  
Bis zu einem gewissen Grad gibt es eine Art Grading bei atitalienischen Briefmarken schon etwas länger. Wenn natürlich auch nicht eingeschweißt. Aber die Punktzahlen gibt es bei Bolaffi oder anderen Prüfern schon länger und eine Marke oder einen Satz mit einem Bolaffi-Wert von 100 % ist natürlich sehr viel mehr wert als mit 50 %. Wäre ja auch seltsam, wenn nicht.

Ganz aktuell suche ich für meinen Dienstmarken-Set mit Überdruck 1878 Italien die "0.02 auf 2 C." in postfrisch mit absolut optimaler Zentrierung. Die Marke hat selbst in postfrisch keinen hohen Handelswert, vl. 20 €. So wie ich sie haben will, liegt sie bei mindestens 150 € - die Zentrierung ist fast das wichtigste Merkmal aller italienischen Marken mit Zähnung zwischen 1863 bis etwa 1920/1923 (so bis zum Manzoni-Set etwa). Der Sassone unterscheidet da extrem - bis zu 30-fache höhere Bewertungen sind da drin.

Ich besitze z.B. die De La Rue 2 Cent - Torino Edition in postfrisch in einer lt. Prüfer von ihm noch nie gesehenen Zentrierung - diese Marke ist in postfrisch unter 1 €. Ich habe für diese Marke ein Zertifikat und für 100 € würde ich sie sofort loswerden.

Und der Run auf die extrem hoch bewerteten Marken mit optimaler Zentrierung ist aktuell extrem. Ich finde das auch völlig nachvollziehbar. Diese Marken sind ja auch sehr sehr viel seltener als die anderen, wenn man mal so einen ganze Bogen gesehen hat, da ist ja fast alles krumm und schief gedruckt und gezähnt. Und die perfekt zentrierten Marken dürften mindestens um den Faktor 30 eher 50 seltener sein, warum sollten sie da nicht auch mehr wert sein?

Das Einschweißen finde ich wirklich einen Trend, den ich nie mitmachen würde und wie schon angemerkt - da wird dem Betrug ja Tür und Tor geöffnet. Wer öffnet schon eine 100 % gegradete verpackte Marke??
 

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