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Thema: Die berühmtesten und wertvollsten Briefmarken der Welt
Das Thema hat 943 Beiträge:
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Heinz 7 Am: 06.08.2022 13:07:36 Gelesen: 169395# 869 @  
@ Heinz 7 [#868]

Ich möchte meinen kleinen "Rundgang" durch die Kilbourne-Auktion abschliessen mit dem fünft-teuersten Stück der Auktion von 1999: es erzielte bei einem Katalogwert von US$ 30'000 einen Zuschlag von US$ 60'000. Dazu kamen 10 % Kommission.



Diese Briefmarke ist, zumindest in Deutschland/Schweiz, wohl die mit Abstand bekannteste/berühmteste Briefmarke dieses Sammelgebietes "Confederate Postmasters' Provisionals". Sie ist auch graphisch ein sehr schönes Stück und hebt sich deutlich ab von vielen sehr einfachen Briefmarken des Sammelgebietes USA:CSA.

Die Marke wurde 1861 herausgegeben in Livingston, Alabama, und hat die Katalognummer Scott 51X1.

Das vorliegende Stück ex Kilbourne soll gemäss Siegel-Katalog das schönste Exemplar einer Einzelfrankatur sein. Wie wir bereits erwähnten, gibt es auch einen Brief mit einem Paar dieser Marke (= Unikat).

Doch auch eine Einzelfrankatur ist selten. Nach Siegel gibt es nur:

1 Brief mit Paar
6 Briefe mit Einzelfrankaturen
3 Einzelmarken

Der Katalog-Preis von US$ 30'000 (Scott 2000, Preis für Brief/Einzelfrankatur) ist also verständlich für diese sehr seltene und sehr begehrte Briefmarke.

Dieser Brief kam 1999 offenbar nach 138 Jahren seines Bestehens erstmals an eine öffentliche Auktion. Zuvor war sie nur privat weiterverkauft worden. Der Brief zierte die Sammlungen Harold C. Brooks und A. Earl Weatherly. Das Ehepaar Kilbourne kaufte auch diesen Brief 1963 von Weatherly.

Auf Seite 45 des Auktionskataloges nennt Siegel den Sammler Brooks mit Vornamen: "Harold C." - Wir dürfen also davon ausgehen, dass es derselbe Sammler ist wie bei Los 8 derselben Auktion [#868].

Heinz
 
Heinz 7 Am: 27.09.2022 21:24:24 Gelesen: 152874# 870 @  
@ Heinz 7 [#129]

Die Briefmarke von Millbury 1846 (Scott Nr. 7X1) habe ich vor fünf Jahren schon einmal vorgestellt. Heute kennt man meines Wissens 19 Stück davon:

- 1 x ungebraucht
- 8 x auf Brief (stets Einzelfrankaturen)
- 3 x auf Fragment
- 7 x gestempelt

Es gibt keine Paare oder andere Einheiten, nur Einzelstücke, wovon 18 gestempelt sind. Ein einziges Stück ist ungebraucht, mit Originalgummi. Kein Wunder, dass dieses Einzelstück eine "Ikone" der Philatelie ist, und zwar schon "seit Ur-Zeiten". Wir erinnern uns, dass bereits in der Studie Schubert (1913) diese Marke ungebraucht auf dem 6. Platz weltweit landete (Liste der teuersten Marken der Welt, nach dem Katalog "Senf" 1912).



An den Auktionen erzielte dieses Stück unterschiedliche Resultate:

7.4.1922 (Sammlung Ferrary, 3. Auktion), Los 563, FRF 18'000 Zuschlag = also nicht sehr hoch

2.2.1967 (Sammlung Josiah K. Lilly, 1. Auktion), Los 19, Zuschlag US$ 34'000 = also sehr respektabel

12.10.1989 (Händler-Bestand Gebrüder Weill), Los 631, Zuschlag (vermutlich) US$ 110'000 = also nochmals hoch

Bei solchen Prestige-Stücken fragen wir uns, ob die "ganz reichen" Sammler sie nicht kaufen wollten. Wir wissen ja, dass Erivan Haub eine phantastische USA-Sammlung hatte, aber - die Millbury ungebraucht hat er offenbar nie gekauft.

Es muss jetzt aber niemand enttäuscht sein, denn Erivan Haub kaufte die Marke sehr wohl, aber auf Brief! Und weil sie ihm so gut gefiel, kaufte er gleich zwei Briefe davon!

(Fortsetzung folgt)

Heinz
 
Heinz 7 Am: 27.09.2022 22:14:09 Gelesen: 152854# 871 @  
@ Heinz 7 [#870]

Manchen Sammlern gefallen Briefe besser als ungebrauchte Marken. Wir wissen, dass Erivan Haub sehr viele Briefe hatte, doch wir finden auch viele lose Stücke (ungebraucht oder gestempelt). Ich kann über seine Vorlieben nichts Definitives sagen.

Bei der seltenen Postmeistermarke von Millbury entschied sich Haub für die Variante "Brief".



Dieser wunderbare Brief wurde am 24.6.2021 New York verkauft (Los 1 der 5. Haub-Auktion USA). Gemäss Auktionsbeschreibung war DIESER Brief zum allerersten Mal auf einer Auktion.

Der Ausruf lag bei moderaten US$ 75'000. Leider kenne ich den Zuschlagpreis nicht.

Dieser Brief ist im Buch "Edition Spéciale": "Postmasters' Provisionals. United States and Confederate States, The "Erivan" Collection" abgebildet auf Seite 48. Dort erfahren wir, warum der Brief früher nie angeboten wurde:

1884 wurde der Brief verschenkt (offenbar von der Familie des Empfängers des Briefes) an die "American Antiquarian Society, Worchester". Diese Organisation trennte sich nach über 100 Jahren von diesem Schmuckstück; 1990 konnte es gekauft werden. So kam das Stück zu Erivan Haub.

Eine nette Anmerkung: da der Brief 1846 nach Worcester geschickt wurde, dürfen wir annehmen, dass der Brief 144 Jahre lang in Worchester ruhte.

Heinz
 
Heinz 7 Am: 07.12.2022 14:56:41 Gelesen: 129255# 872 @  
@ Heinz 7 [#336]

Ein Farbfehldruck hat 2022 für grösste Aufmerksamkeit gesorgt: Die Österreich 1867, 3 Kreuzer Marke rosakarmin statt grün. Bis Ende Jahr 2021 waren erst sechs Exemplare dieser Weltrarität bekannt. Gemäss Angaben des Verkäufers wurde nun 2022 nun ein 7. Stück entdeckt: das dritte auf Brief! Während die ersten zwei bekannten Briefe in der ungarischen Reichshälfte zur Verwendung kamen, wurde dieser Brief rund zwei Jahre später von Wien nach Triest gesandt.



Der Brief war das Schmuckstück der Auktion von Viennafil, Wien Ende November/Anfang Dezember 2022 in Wien. Als Los 5009 wurde der Brief angeboten, mit einem Schätzpreis von Euro 200'000. Nun ist die Auktion durchgeführt worden; der Zuschlag des Loses erfolgte gemäss Ergebnisliste zu Euro 250'000. Dazu kommt ein Aufgeld von 24%, total also Euro 310'000.

Nun kennen wir also:

3 Briefe
1 Fragment
3 lose Marken dieser Grossrarität.

Wir haben diesen Fehldruck ausführlich besprochen in den Beiträgen [#331] - [#340].

Heinz
 
Heinz 7 Am: 08.01.2023 13:44:55 Gelesen: 114830# 873 @  
Ich wünsche allen Philaseiten-Lesern ein gutes Neues Jahr!

Aus Zeitgründen musste ich "mein" geliebtes Thema in den letzten Monaten vernachlässigen. Umso mehr freue ich mich nun, Ihnen die ersten "Paukenschläge" des Jahres 2023 ankündigen zu können.

In New York bei H.R.Harmer kommt am 17./18.1.2023 ein phantastisches Angebot unter den Hammer. Während uns der "General sale" wohl nicht besonders zu fesseln vermag, ist es - einmal mehr! - der "Erivan Sale", der uns - zumindest mich - zum Schwärmen bringt.

Fangen wir gleich beim Top-Stück an. Es trägt auch die Los-Nummer 1.

Es gibt einige Stücke der Philatelie, die sind optisch nicht besonders schön, eher das Gegenteil. Die Postmeister-Ausgabe von Boscawen gehört bestimmt dazu. Das Design ist sehr primitiv, und auch die Erhaltung der Marke (knittrig?) und des Briefes ist eher schlecht.



Zu allem Überfluss hat der dritte Besitzer des Stückes, Briefmarken-Tycoon Arthur Hind, den Brief noch mit Heftpflaster (?) auf seinem Albumblatt befestigt; das Entsetzen war gross, als das Stück 1933 wieder auf den Markt kam.

Jemand sagte einmal: wie kann man für so viel Hässlichkeit so viel Geld bezahlen?

Aber es ist eben ein Unikat, das schon 1922, bei der Ferrary-Auktion grosse Wellen warf, und dort nicht weniger als das fünfthöchste (!!) Ergebnis ALLER Weltraritäten erzielte!

Seither hat dieser Brief fast "Kult-Status" erworben, gerade auch, WEIL er durch die Heftpflaster entstellt wurde. Niemand hat seither diese Dinger entfernt, obwohl sie ja nicht wirklich schön sind - aber sie "gehören" heute zu dieser Weltrarität.

Der Brief wurde vor dem Krieg noch einmal verkauft (1937) und verschwand dann längere Zeit von der Bildfläche, bis er 1989 wieder die Sammlerschaft in Aufregung versetzte. Im Postmasters-Sale von Christie's New York (Weill-Brothers' Stock) am 12.10.1989 erschien der Brief als Los 627, ausgepreist immerhin mit (Schätzpreis) US$ 120'000-150'000.

Wir wissen heute, dass Erivan Haub damals der Käufer war. Er dürfte mit seinem Erwerb sehr zufrieden gewesen sein, denn der Zuschlag erfolgte bereits bei US$ 160'000 + 10 % (Angabe ohne Gewähr/PR Liste nicht zur Hand). Das war nicht besonders viel.

Nun wird der Brief schon zu US$ 50'000 Startpreis ausgerufen, das ist natürlich eine Riesenchance für einen Sammler mit grossen Mitteln. Wir haben bereits gesehen, dass viele Erivan-Postmeister-Raritäten eher tiefe Preise erzielten; aber nun kommt ein Stück auf den Markt, das nach dem "Blue Boy von Alexandria" in den Augen einiger Spezialisten wohl als "Nummer 2" der US-Postmeistermarken gilt.

Die lange Dauer von mehr als 33 Jahren, in welcher dieses Stück nicht verfügbar war, hat dazu beigetragen, dass dieses Sammelgebiet heute ziemlich eingeschlafen ist. Es wäre also DIE Gelegenheit für einen "Neustart".

Ich bin gespannt. Wenn ich Geld hätte, wäre mir das Stück CHF 500'000 wert. Auch damit läge ich noch einiges tiefer als der "Zeitwert" 1922 der Ferrary-Auktion.

Heinz
 
Martin de Matin Am: 08.01.2023 21:24:59 Gelesen: 114786# 874 @  
@ Heinz 7 [#873]

Gibt es irgendwelche Nachweise, das Boscawen zu dieser Zeit eigene Marken benutzt (schriftliche Unterlagen oder Zeitungen) hat, und hat man damals in Boscawen nicht gestempelt sondern Ort und Datum handschriftlich auf die Briefe angebracht?

Bei dem Aussehen der Marke/ Brief muss man schon etwas kritisch sein. Rein hypothetisch gesehen könnte auch jemand zu früheren Zeiten etwas zusammengefügt haben. Das "PAID 5 CENTS" könnte ja auch auf einem Brief aufgestempelt gewesen sein. Vor dem 1. Weltkrieg hat man schon einiges für die Sammler von Raritäten produziert.

Bei Ferrary ist auch nicht alles echt gewesen, was damals teuer verkauft wurde. Als Beispiel dienen zwei Postmeistermarkenbriefe der Konförderierten Staaten der Marke von Pittsylvania in Virginia, die sich erst später als Fälschungen erwiesen haben (gemäß 815. Siegelauktions im Text von Los 135).

Gruss
Martin
 
Heinz 7 Am: 09.01.2023 14:15:42 Gelesen: 114705# 875 @  
@ Martin de Matin [#874]

Lieber Martin,

diese Briefmarke wurde und wird meines Wissens nicht angezweifelt. Als Referenz-Werk verweise ich auf das Handbuch von John N. Luff. Ob es ein späteres anerkanntes Werk zu dieser Marke gibt, kann ich im Moment nicht beantworten.

Freundliche Grüsse

Heinz
 
Koban Am: 09.01.2023 16:40:13 Gelesen: 114679# 876 @  
@ Martin de Matin [#874]

Hallo Martin,

danke für Deine Frage. Wie eigentlich die Echtheit der vielen Unikate aus diesem Bereich festgestellt wurde, ist mir aus ganz ähnlichen Überlegungen auch immer wieder ein Rätsel.

Hat jemand das von Heinz 7 in [#875] erwähnte Handbuch und kann allgemein oder meinetwegen am Beispiel der Boscawen-Marke aufzeigen, wie es zur Echtheitsbestätigung ohne Vergleichsmaterial kommt ?

Ist zwar preislich nicht meine Liga, aber interessieren würde mich das schon.

Gruß,
Koban
 
Heinz 7 Am: 09.01.2023 21:27:02 Gelesen: 114622# 877 @  
@ Heinz 7 [#873]
@ Martin de Matin [#874]
@ Koban [#876]

Hallo Kollegen

die Briefmarke von Boscawen scheint alles andere als dubios zu sein. Im Raritäten-Buch von Leon N. Williams "Encyclopaedia of rare and famous stamps" steht zu dieser Marke:

Band I: "The stories" (Seite 305):

"The Boscawen' is probably the best known of the United States Postmasters' stamps."

Die Marke kam bereits 1865 in den Besitz eines Sammlers (H.H.Lowrie). Er konnte auch erklären, wie er in den Besitz des Briefes gekommen war.

Sie wurde von John Luff ausführlich behandelt in seinem Werk (von 1937) auf Seiten 23+24



Der Postmeister von Boscawen, Worcester Webster, gab (vermutlich 1846) die Marke heraus. Webster war Postmeister von Boscawen von 1845 bis 1851. Er hat den Abgangsort des Briefes handschriftlich vermerkt, wie dies damals üblich war, vor allem, bevor es in der Gegend Briefmarken gab.

Luff war einer der führenden Philatelisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

.

Zweifel an der Echtheit kann man natürlich trotzdem haben, aber das scheint mir unangemessen.

Hiram E. Deats war der zweite Sammler, der diese Marke von Lowrie abkaufte (1894). Zuvor war sie 29 Jahre im Besitz von Lowrie. Das ist alles aktenkundig. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts war diese Marke/dieser Brief bei den Händlern & Sammlern sehr hoch bewertet.

Meine Begeisterung für dieses Marke wäre nicht so ausgeprägt, wenn ich nicht von der Echtheit des Stückes überzeugt wäre.

Heinz
 
DL8AAM Am: 10.01.2023 15:20:18 Gelesen: 114553# 878 @  
@ Martin de Matin [#874]
@ Koban [#876]

Zur Echtheitsfrage der "The Boscawen", hier der entsprechende Auszug (Seite 20) aus dem von Heinz o.g. Katalog von Luff [#877], hier aber aus der Ausgabe von 1902 (Erstauflage 1897) [1]



Plainfield, N. J , Feb. 28, 1894.

Mr. H. E. Deats,
Dear Sir:

Permit me to enclose for your inspection a few philatelic gems. (...) The old and very curious envelope I have owned for the past 29 years and came into possession of it at the general post-office in Washington, D. C. through Mr. Wm. M. Ireland, who was then chief clerk and the Third Asst. P. M General. As you will see, the mailing office, Boscawen, was written on the corner, as was the custom of P. M 's in those days, when no cancellation stamp was used. It performed its duty as a postal envelope and I do not doubt but it is as genuine as any of the provisional issues of the period before stamps were issued. (...)

Yours truly,
H. H. Lowrie, A. P. A.


Das ist die (einzige?) "Echtheitsquelle". Die Echtheit bzw. Authentizität begründet sich also auf dem Glauben einer damals sehr vertrauenswürdigen Quelle. Warum auch nicht? War/Ist ja bei vielen solcher Provisorien nicht unüblich. Luff selbst schreibt "Inquiries made in Boscawen have failed to supply any further information."

Beste Grüße
Thomas

[1] John N. Luff: The Postage Stamps of the United States - https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=coo1.ark:/13960/t5q81wh5q (PDF-Download 10.01.2022)

[Redaktionelle Ergänzung der Übersetzung:

Gestatten Sie mir, Ihnen einige philatelistische Kostbarkeiten zur Einsicht beizufügen. (...) Der alte und sehr merkwürdige Umschlag, den ich die letzten 29 Jahre besessen habe, kam durch Mr. Wm. M. Ireland, der damals Prokurist und Third Asst. PM General. Wie Sie sehen werden, stand das Postamt Boscawen an der Ecke, wie es damals bei P. M 's üblich war, als kein Stempel verwendet wurde. Es erfüllte seine Pflicht als Postumschlag, und ich bezweifle nicht, dass es so echt ist wie alle vorläufigen Ausgaben aus der Zeit, bevor Briefmarken herausgegeben wurden. (...) ]
 
10Parale Am: 17.01.2023 21:01:58 Gelesen: 113086# 879 @  
Heute habe ich mal eine Frage zur Provenienz-Forschung und welchen speziellen Nutzen an Hand eines konkreten Beispiels daraus zu ziehen ist. Siehe auch Thema: Provenienz ist ein Qualitätssiegel / vom 1. bis 3.10.2020 in London (von Richard).

Hier zeige ich einen Ausschnitt aus der Ergebnisliste der Corinphila Auktion vom November 2022. Hier haben wir also einen philatelistischen Stammbaum einer sehr wertvollen und berühmten 81 Parale Marke aus dem Fürstentum Moldau. Wenn ich es also richtig verstehe, wurde diese Marke zuerst 1924 bei Corinphila versteigert. Woher sie kam und wohin sie ging wissen wohl nur Insider. Doch wir erfahren, dass diese Marke erst 87 Jahre (ein langes Leben) später in der Moldau Collection auftauchte (oder versteigert wurde?).

Sollte diese Marke also wieder einmal versteigert werden, dann stünde dort Corinphila Auktion (2022) als dritter Hinweis auf die Provenienz. Also haben wir im Prinzip lediglich einen Stammbaum derjenigen Auktionsdaten, bei denen die Marke versteigert wurde. Ich könnte noch andere Beispiele nennen, möchte es aber dabei mal belassen. Ich finde es sehr zukunftsweisend, was für Vorteile man aus der Provenienz ziehen kann. Nun, wenn ich jetzt den Eurojackpot am Wochenende knacke, dann könnte ich mir vielleicht solch ein paar Marken zulegen (sofern sie am Auktionsmarkt zu haben ist). Also geht meine Frage eher in eine andere Richtung und die Rede sei hier mal wieder vom Bordeaux-Brief bzw. der berühmten Blauen Mauritius:

Wie wir alle wissen, ist der erste Besitzer eines Briefes immer der Empfänger. Nicht alle Einladungskarten zum Ball vom 30. September 1847 und all die andere Post, die Frau Gomm und ihr Mann und auch die Geschäftsleute Edward Francis & Co. in St. Louis verschickt hatten, wurde aufgehoben. Aber im Keller der Weinhandlung Messieurs Ducau and Lurguie fand ein kleiner Junge (kennt man eigentlich seinen Namen? - er wird immer als französischer Schuljunge bezeichnet?) diesen wertvollen Brief. Der nächste Besitzer hieß dann meines Wissens Théophile Lemaire in Paris, nachdem noch ein Zwischenhändler (Adams ?) eingeschaltet war - egal, die Geschichte kann man ja nachlesen. Zu gern würde ich mal die Provenienz des Bordeaux-Briefes sehen, da mutet die Provenienz der 81 Parale Marke, die nun für CHF. 48.800,-- versteigert wurde, ja richtig spärlich an. Zurück zur Frage:

Bedeutet Provenienz nun eigentlich Stammbaum der Auktionen oder Stammbaum der Vorbesitzer? Wird der französische Schuljunge nie in einer Provenienz auftauchen? Zugegeben: Frage eines Amateurs am Beispiel einer berühmten rumänischen Marke.

Liebe Grüße

10Parale


 
Heinz 7 Am: 27.02.2023 21:03:36 Gelesen: 102214# 880 @  
@ Heinz 7 [#199]

Es ist ja noch gar nicht so lange her, als die Möglichkeit bestand, die traumhafte Sammlung "British Guyana" von John Du Pont an einer Auktion zu kaufen - vorausgesetzt, man besitzt das nötige "Taschengeld" - das in DIESEM Fall ziemlich grosszügig ausgestattet sein sollte.

Nun, die Auktion 2014 verlief ja auf den ersten Blick sensationell, aber es stellte sich danach heraus, dass es grössere Probleme gab mit dem Zuschlag/dem Bezahlen, u.s.w. - Ich möchte darauf nicht erneut eingehen.

Am 14.10.2021 gab es eine neue Auktion bei David Feldman, als viele dieser Stücke wieder angeboten wurden, und nun, zu oft deutlich anderen Preisen, offenbar ihren Käufer fanden. Die Sammlung "Imperium" (2021) war aber nicht identisch mit der Sammlung Du Pont (2014).

Ein Super-Stück möchte ich hier näher betrachten: Die 4 Cent Marke auf blauem Papier der 4. Ausgabe 1956.

Fast "jeder" Philatelist kennt die 4. Ausgabe von Guyana, weil die "ONE CENT"-Marke davon ja das Weltrekord-Stück ist, das auch in diesem Thema ausführlich schon besprochen wurde. Von der 4 Cents-Marke gibt es Marken

- schwarz auf karmin (Michel Nr. 10, Stanley Gibbons no. 24), oder auf rose-carmine (nur SG, no. 25)
- schwarz auf blau (Michel Nr. 11a, SG no. 26)
- schwarz auf dunkelblau (Michel Nr. 11b, SG no. 27 = paper coloured through)



Die Stanley Gibbons no. 26 hatte vor ca. 15 Jahren einen stattlichen Katalogpreis von GB£ 60'000 (Katalog SG 2008; das Pfund war damals noch mehr wert), zur Erinnerung: bei Schubert 1913 schaffte es die Marke (gestempelt) noch nicht unter die "Top 100" mit einem Katalogwert von (Senf 1912) "nur" Mark 500.

Dies waren aber die Preise für GESTEMPELTE/GEBRAUCHTE Exemplare. Im SG-Katalog von 2008 lesen wir beim Eintrag für ungebrauchte Marken das "Kreuz-Zeichen", das einleitend erklärt, dass es diese Marke in dieser Erhaltung NICHT GIBT.

Heinz
 
Heinz 7 Am: 27.02.2023 21:31:33 Gelesen: 102206# 881 @  
@ Heinz 7 [#880]

Im Auktionskatalog von David Feldman 2021 lesen wir nun, dass diese 4 Cents Marke auf blauem Papier UNGEBRAUCHT sei. Die schwarzen Spuren stammen von der Unterschrift des Postbeamten.

Folglich lesen wir folgende Beschreibung:

"An outstanding world rarity: the unique unused example recorded, one of the two rarest and most valuable of all unused stamps of British Guiana (...) being presented in this sale for the first time, as an unsed example (...)".

In der ausführlichen Losbeschreibung lesen wir, dass das Stück früher als "gebraucht" galt und in so berühmten Sammlungen war wie

Ferrary (1921 verkauft)
Burrus (1963)
Gilbert (2005)
"Tatiana" (2016)

Den Schätzpreis setzte Feldman an bei GB£ 100'000 - 150'000.

Es gab aber kein Bieter-Gefecht für diese Rarität, sondern der Zuschlag erfolgte gemäss Resultatliste bei GB£ 90'000 + 22 % = GB£ 109'800 (Los 30'125).

2016 wurde ein Attest ausgestellt der British Philatelic Association, dass das Stück "unused" sei. Darum erstaunt es vielleicht schon, dass das Stück den unteren Schätzpreis nicht erreichte.



Wie auch immer - vielleicht mussten sich die Sammler von British Guyana auch zuerst an diese offenbare "Neu-Entdeckung" gewöhnen. Wer nun "frischen Mut" gefunden hat, und wer das Stück gerne kaufen möchte, kann dies nun tun!

Bei Classicphil in Österreich wird das Los nun, am 3. März 2023, angeboten zu einem Startpreis (?) von Euro 175'000 (Los 1587). Der Auktionator ist, aus verständlichen Gründen, begeistert von dem Los. Seinen "Schätzpreis" von Euro 900'000 darf man aber wohl als "offensiv" bezeichnen, wenngleich ich das ausdrücklich nicht als "völlig übertrieben" bezeichnen möchte. Immerhin ist es offenbar die einzige ungebrauchte Marke ... und British Guyana war und ist ein "Triple-A" Sammelgebiet ... (Neben der "One Cent" Marke der gleichen Ausgabe wären auch Euro 900'000 deutlich weniger als die Millionen-Beträge der One Cent-Marke. Jedenfalls: die zwei Marken NEBENEINANDER auf einer Albumseite, DAS wäre eine Augenweide).



Es ist gut möglich, dass ein kluger (aber auch mutiger) Investor die Marke 2021 gekauft hat, weil sie offenbar 2021 "liegenblieb", und er sie nun zu einem höheren Preis verkaufen möchte.

Nun, wir werden sehen. Ich bin gespannt auf das Resultat!

Heinz
 
Heinz 7 Am: 28.02.2023 07:05:32 Gelesen: 102177# 882 @  
@ 10Parale [#879]

Das Wort "Provenienz" ist ein Fremdwort für "Herkunft". Es ist klar, dass ein Sammelstück, bei dem man weiss, wo es herkommt, mehr wert ist, als ein Stück aus unbekannter Herkunft.

Der Brief Mauritius mit den zwei Werten 1 Penny und 2 Pence auf Brief nach Bordeaux ist einer der am meisten besprochenen Briefe der Philatelie-Geschichte. Die Geschichte seiner Besitzer ist nun 175 Jahre alt, und weist ein paar "unbekannte Felder" auf, zumindest für die Öffentlichkeit. Einiges weiss man aber auch von diesem Brief.



Eine Provenienz-Angabe sollte idealerweise unterscheiden zwischen Händlern/Auktionatoren, die das Stück treuhänderisch besassen um es zu verkaufen, Investoren und Sammlern, die das Stück in ihre Sammlung einbauten. Es gibt Sammler, die stellen ihre Sammlung nie aus und niemand weiss, dass sie Besitzer sind von diesen Stücken; oft wird erst Jahrzehnte später bekannt, dass ein Sammler ein Stück (oft über Jahrzehnte!) besass! Erivan Haub war solch ein Sammler; viele seiner Schätze waren "untergetaucht", waren lange Zeit von der Bildfläche verschwunden und kein (bzw. kaum ein) Mensch wusste, wer das Stück besass.

Ich habe versucht, die Provenienz des wertvollsten Briefes der Welt hier einmal klar aufzuzeigen.



Ich stütze mich dabei auf die Quelle: Leon N. Williams: Encyclopaedia of rare and famous stamps, vol. 2 (1997), ergänzt um einen Eintrag.

Ich habe die "Händler-Stationen" von den wahren Sammlern getrennt und letztere sind meines Erachtens viel wichtiger als die "Zwischenstationen".

Vielleicht überrascht es, dass (meines Wissens) erst 6 Sammler diesen Brief wirklich besassen, sonst war er in den Händen von Investoren, oder - die ersten 54 Jahre - noch unentdeckt.

1993 wurde das Stück in Zürich verkauft; ich sass damals im Auktionssaal. Leider weiss man (bzw. ich) bis heute nicht, wem der Brief seither gehört; er wurde zwar verschiedene Male an Ausstellungen gezeigt, aber immer anonym. In einer Ausstellungssammlung wurde der Brief m.W. noch nie gezeigt! Darum sind die drei Auktionskataloge (1934-1963-1993) so wertvoll, weil sie die Sammlungen Hind-Burrus-Kanai dokumentieren.

Vielleicht erfahren wir irgendwann mehr, was in den letzten 30 Jahren mit dem Brief geschah?

Am längsten war der Brief im Besitz des Tabak-Industriellen Maurice Burrus. 28 Jahre ist zwar nicht ganz richtig, da Burrus 1959 starb, doch dauerte es vier Jahre, bis die Sammlung Burrus verkauft wurde. 1962 hatte der Amhelca Trust die Sammlung wohl von den Erben übernommen, ich habe diese Zusatz-Info in meine oben gezeigte Tabelle übernommen, ansonsten halte ich mich an die Stationen gemäss Buch Williams.

Heinz
 
10Parale Am: 26.03.2023 19:46:37 Gelesen: 96271# 883 @  
@ Heinz 7 [#882]

Vielen herzlichen Dank, wieder eine hervorragende Expertise aus dem Haus Heinz 7.

Heute habe ich "leider" einen Seite bei ebay entdeckt [1], wo ein Verkäufer namens "ayarlai" im Moment 112 Artikel in seinem Angebot hält, worin sich REPRODUKTIONEN vieler berühmten und wertvollen Briefmarken der Welt befinden. Für bis zu 60 Euro erhält man Reproduktionen allerlei berühmter Briefe und Marken.

Liebe Grüße

10Parale

[1] https://www.ebay.de/sch/i.html?item=284850225497&rt=nc&_trksid=p2047675.m3561.l2562&_ssn=ayarlai
 
Martin de Matin Am: 10.04.2023 13:58:30 Gelesen: 93856# 884 @  
Ich glaube über ein Los der Ferrary-Auktionen wurde noch nicht gesprochen. Bei der ersten Auktion kam mit Los 172 ein grosser Teil der Uruguaysammlung zum Verkauf. Das Los umfasste 2.222 Marken und wurde für 111.000 Francs verkauft. Zum Vergleich ein Brief mit einem Paar der Britisch Guayana Nr.1 wurde damals mit 21.000 Francs zugeschlagen. Das Los wurde von Theodore Champion für Alfred Lichtenstein erworben. Es enthielt einige Raritäten, die am 28.3.2023 bei Robert Siegel in New York wieder auf den Markt kamen.

Die bei Siegel versteigerte Magnolia Collection umfasste die Uruguaymarken bis MiNr.22, also hauptsächlich alle Marken mit Sonnenmotiv. Der Überfluss an Seltenheiten zeigt sich allein an zwanzig Briefen auf dem Bereich MiNr.1 bis 4. Briefe der ersten Ausgabe von Uruguay sieht man sehr selten auf Auktionen, zumindest was deutsche Auktionshäuser betrifft. Des weiteren waren Plattenrekonstrucktionen (Plattengrösse 35 Marken) der MiNr.1 bis 3 teils mehrfach enthalten. nun aber zu den eigentlichen Seltenheiten, den Marken mit dem zweiten Hauptmotiv (MiNr. 5 bis 7). Von der MiNr.5 einer 120 centavo-Marte und der 180 c gibt es Kehrdrucke.

Von dem 120 c Kehrduck sind drei Stück bekannt eins befindet sich unerreichbar in der Taplingsammlung, eins war in der Farraysammlung und das hier angebotene Stück ex Hall, Pack und Lichtenstein.



Dieses Stück wurde für 105000 Dollar verkauft [1].

Der Kehrdruck der 180 c existiert nur zweimal, davon einmal in der Taplingsammlung und dann das hier angebotene Stück ex Ferrary; somit auch das einzig verfügbare Stück.



Diese Stück wurde für 255.000 Dollar versteigert [2].

Bei dieser Auktion gab es noch einen weiteren sechsstelligen Preis, nähmlich einen Sechserblock der 120 c. Gemäß Angabe von Siegel ist der Sechserblock neben den drei Kehrdruckpaaren die einzige Einheit dieser Marke. Dieses Stück befand sich im Los 457 der 3. Ferrary-Auktion welches mit 17.500 Francs verkauft wurde. Dies Los umfasste 1275 Marken hauptsächlich der MiNr.8 bis 26.



Diese Einheit wurde jetzt für 105.000 Dollar verkauft [3].

Das diese Marken beliebt waren zeigen auch die zahlreichen Fälschungen, die es hiervon gibt. Manch eine primitive Fälschung wird auch heutzutage als echt angeboten (siehe auch Beiträge im Thema: Auktionen: Falsche Beschreibungen in Auktions Katalogen)

Gruss
Martin

[1] https://www.philasearch.com/de/i_9425_27722/6600_Uruguay/9425-A1279-48.html?set_sprache=de&treeparent=COSUBGRP-31590&set_anbieter=9425&set_auktionnr=9038&postype=PH&page=2&row_nr=47&breadcrumbId=1681126058.6772

[2] https://www.philasearch.com/de/i_9425_27723/6600_Uruguay/9425-A1279-49.html?set_sprache=de&treeparent=COSUBGRP-31590&set_anbieter=9425&set_auktionnr=9038&postype=PH&page=2&row_nr=48&breadcrumbId=1681126359.8592

[3] https://www.philasearch.com/de/i_9425_27724/6600_Uruguay/9425-A1279-50.html?set_sprache=de&treeparent=COSUBGRP-31590&set_anbieter=9425&set_auktionnr=9038&postype=PH&page=2&row_nr=49&breadcrumbId=1681127161.5825
 
Heinz 7 Am: 10.04.2023 22:24:25 Gelesen: 93808# 885 @  
@ Martin de Matin [#884]

Du zeigst uns wirklich einige der "Kronjuwelen" der Uruguay-Philatelie.

Leider wurde die tolle Sammlung Uruguay von Ferrary tatsächlich geschlossen verkauft; das war schade, denn so erfuhren wir fast nichts über den Inhalt der Sammlung Ferrary. Kein einziges Stück wurde fotografiert, weil das Los als Nachtrag zur 1. Auktion angeboten und verkauft wurde.

Erst später tauchten Fotos der Weltraritäten auf. Ein Spitzenstück kann ich hier auch zeigen:

die Michel Nr. 5K von 1858, ungebraucht. Wir kennen von diesem Kehrdruck nur drei Paare, wie Du ja korrekt erwähnt hast.



Dieses Exemplar wurde 2012 in Lugano verkauft (bei Spink, Lugano).

In der "Encyclopaedia" von Williams wurden die drei Exemplare alle gelistet, mit Foto.

Bei Williams wäre dieses Exemplar die Nummer I. Dies sieht man am besten am Druckausfall bei äusseren Rand unter der ersten Ziffer "120" (untere Marke). Das ist einmalig bei den 6 Marken der 3 Kehrdruckpaare.

Gemäss Williams war die Besitzerkette die Folgende:

Ferrary 1921 - Theodore Champion (für Alfred F. Lichtenstein)
A. Lichtenstein 1922 - (Privatverkauf)
Louise Boyd Dale 1947 (Erbschaft)
Roberto Hoffmann 1951 (Privatverkauf)
1982 Enrique de Bustamente (Auktion bei Corinphila)
1993 Dr. Gene Scott (Auktion bei David Feldman)

Der Spink-Katalog gibt eine andere Provenienz-Reihe, die mir aber nicht korrekt scheint.

Auch bei deiner Liste setze ich ein Fragezeichen. Ich verweise auf Williams (Nr. III)
Hall (Jahr ?)
Pack (Jahr ?)
Lichtenstein (1945, Pack-Auktion bei Harmer Rooke)
Dr. Norman Hubbard (1970, Auktion Harmer New York, Lichtenstein)

Heinz
 
Martin de Matin Am: 11.04.2023 20:38:38 Gelesen: 93747# 886 @  
@ Martin de Matin [#884]
@ Heinz 7 [#885]

Die Provenienz des bei Siegel angebotenen Stücks der 120 c habe ich aus der Losbeschreibung entnommen. Dort steht auch das Pack das Kehrdruckpaar 1912 bei der internationalen Jubiläumsausstellung in London ausstellte und einige Zeit vorher von Hall erworben hatte.

Gruss
Martin
 
Heinz 7 Am: 12.04.2023 08:26:48 Gelesen: 93718# 887 @  
@ Martin de Matin [#886]

"ex Hall, Pack und Lichtenstein" - Du schreibst es ja - richtig, sorry, da habe ich nicht aufgepasst (Ex. III).

Die Losbeschreibung bei Spink Lugano war nicht deckungsgleich wie die Angaben bei Williams (Ex. I).

Super, dass wir nun von zwei der drei Stücke wunderbare Farbfotos haben. Die drei Stücke sind nicht einfach auseinanderzuhalten, da sie ähnliche Positionen haben (senkrecht leichte Verschiebungen) und auch der Schnitt ist nicht unähnlich.

Im Buch von Williams ist auch das Tapling-Stück abgebildet (Ex. II), aber, ich glaube nur in schwarzweiss.

Heinz
 
Heinz 7 Am: 13.04.2023 23:50:58 Gelesen: 93661# 888 @  
@ Martin de Matin [#884]

Du hast in mir die Liebe zu den Briefmarken von Uruguay neu geweckt mit Deinem schönen Beitrag. Die Magnolia-Sammlung hatte ich nicht auf dem Radar, heute habe ich den Katalog etwas studiert. Seite 7 (6) gibt viele interessante Informationen.

1982 war ich 23 Jahre alt, da kam die Grand Prix-Sammlung von Roberto Hoffmann zur Auktion (Corinphila, Zürich). Ich war sehr beeindruckt. Ich denke, es gab/gibt keine bessere Sammlung von Uruguay "ever".

Ein Jahr später bot Rapp die märchenhafte Sammlung Rumänien an von Tomasini/Künzi. Sie wurde vor dem Verkauf zurückgezogen und gelangte dann erst 23 Jahre (!!) später zum Verkauf, 2006 bei David Feldman.

1989 entschied ich mich, Rumänien zu sammeln; Rumänien hatte sich bei meiner Evaluation - knapp! - gegen Uruguay durchgesetzt. Wäre ich reich, hätte ich bestimmt auch Uruguay gesammelt. So aber musste ich mich beschränken.

Ein Grund für meinen Entscheid war, dass die teuerste Marke von Uruguay im Senf von 1912 "nur" mit RM 800 bewertet war (Senf No. 1 II, Michel Nr. 4), *. 79 Marken waren damals höher bewertet, vgl. BD [#2]; Mark 800 reichten "nur" für Platz 80. Das war mir zu wenig.

Wir wissen, dass Uruguay sehr, sehr teure Stücke hat:

a) Kehrdruckpaare
b) grosse Einheiten
c) schöne Frankaturen

Aber das hat Rumänien alles auch - und dazu noch vier (!) Marken unter den "Top 58" (Grenze RM 1000). Dieses Argument war überzeugend.

Doch zurück zu Uruguay:

Die zwei Welt-Raritäten Kehrdruck-Paare der Senf/Michel Nr. 5 und 6 sind völlig zu Recht heiss begehrt bei den Uruguay-Sammlern. Weil es davon so wenig gibt, ist die Auswahl an Sammlern klein, die je ein solches KD-Paar ihre eigen nennen konnten. Nicht einmal Emanuel J. Lee (ein "m" in Emanuel) hatte einen in seinen mehr als 7000 Losen.

Die fast schon tragische Geschichte mit der Nummer III (Williams) der Michel Nr. 5 K zeigt, dass auch sehr reiche Leute manchmal nie ans Ziel kommen. Er hatte das Stück eigentlich "schon gekauft", es fehlte dann aber beim Verkäufer und kam erst viele Jahre später wieder ans Licht.

Dass der grosse Charles Lathrop Pack ein Kehrdruckpaar hatte, sehen wir am Katalog Harmer Rooke New York, 19.-21.11.1945, Sales 290-292, Los 793, Fototafel 8). Ob er das wertvolle Stück aber schon 1912 hatte, dafür habe ich noch keinen Nachweis.

Der Hinweis im Siegel-Katalog wollte ich am Original-Ausstellungskatalog London 1912 verifizieren.



Heinz
 
Heinz 7 Am: 14.04.2023 00:26:00 Gelesen: 93657# 889 @  
@ Heinz 7 [#888]

Ich habe diesen schönen und seltenen Katalog (London 1912) in meiner Bibliothek. Ich wusste auch, dass Pack damals mit seiner Uruguay-Sammlung eine Goldmedaille errang.

Die alten Ausstellungskataloge sind gelegentlich äusserst interessant, denn sie enthalten in einigen Fällen recht ausführliche Beschreibungen der Exponate!

Auch die Sammlung 101 "URUGUAY" von Charles Lathrop Pack ist auf 15 Zeilen beschrieben.



Wir finden hier aber keinen Hinweis auf den Kehrdruck! (Michel 5 K)

Es scheint so, dass in dieser Sammlung 101 nur die erste Ausgabe "Diligencia" (Michel Nr. 1-4) beinhaltete! Auch in der Klasse "L - Rarities" (Exponate 137-141)" hat Pack kein Uruguay-Kehrdruckpaar ausgestellt!

Natürlich interessiert mich nun, wer wann und warum meinte zu wissen, dass Pack angeblich dieses Stück in London 1912 ausgestellt habe... Weiss jemand mehr? In der Zeitschrift "The Philatelic Record" Volume XXXIV (1912), Nr. 10 (October 1912) wird die Ausstellung ausführlich besprochen (Seiten 176-183), inkl. die Sammlung Pack Uruguay; auch hier wird ein Kehrdruck-Paar der Ausgabe 1858 nicht erwähnt.

Herzliche Grüsse

Heinz
 
Heinz 7 Am: 14.04.2023 22:41:38 Gelesen: 93585# 890 @  
@ Martin de Matin [#884]

Lieber Martin,

ich bin echt froh, dass Du mich auf diese Auktion in New York aufmerksam gemacht hast! Es ist in diesen Tagen "Philatelie-Geschichte" geschrieben worden! Das mag jetzt pathetisch klingen, aber ich finde, das Ereignis ist wirklich höchst bemerkenswert.

1858 entstand dieses Kehrdruck-Paar. Natürlich zeigten die grossen Sammler des XIX. Jahrhunderts grösstes Interesse daran. Nur die "Grössten" konnten sich je ein Exemplar sichern:

Ferrary & Tapling!



Mehr gab es nicht! Bis heute sind nur zwei Kehrdruck-Paare der Michel Nr. 6 (also Michel 6 K) bekannt! Das Exemplar von Tapling wurde 1891 definitiv vom Markt genommen; nach dem (sehr frühen!) Tod des Sammlers gelangte seine Sammlung in das British Museum (Legat des Sammlers).

Andere grosse Sammler warteten vergeblich auf die Chance, so ein Stück zu erwerben. Der Millionär Alfred F. Lichtenstein, geboren 1877 war einer von Ihnen.

30 Jahre später kam eine neue "einmalige" Gelegenheit.

1921 wurde der Nachlass von Ferrary zwangs-versteigert. Lichtenstein hatte wohl mit dem Auktionator einen Deal abgeschlossen: die gesamte Uruguay-Sammlung sollte "en bloc" angeboten werden. So kam es denn auch.

An der ersten Auktion, am 23. Juni 1921, kam eine kleine Auswahl von nur 171 Losen zum Verkauf. Die Auktion schlug ein, wie eine Bombe! Ein Juwel nach dem anderen wurde verkauft, u.a. die Hawaii Two Cents, ungestempelt.

Als die Auktion eigentlich schon beendet war, kam ein Zusatzlos, Nr. 172, zum Verkauf: die phantastische Sammlung "Uruguay" mit 2'222 Briefmarken, darunter ZWEI Kehrdrucke:

Michel 5 K + Mi. 6 K.

Das Los war zu "schwer" für viele Bieter. Wäre die Sammlung in Einzellosen angeboten worden (die Spitzenstücke daraus), wären bestimmt viele hohe Preise erzielt worden. Aber am 23.6.1921 konnte sich A.F. Lichtenstein zu einem Schnäppchen-Preis die ganze Sammlung sichern. Lichtenstein hatte im besten Alter von nur 44 Jahren eine Sammlung erworben, die Grand-Prix-Niveau hatte!

Heinz
 
Heinz 7 Am: 14.04.2023 23:25:13 Gelesen: 93578# 891 @  
@ Heinz 7 [#890]

Auch 1921 wurde für dieses einzig verfügbare Kehrdruck-Paar kein Preis festgelegt.

Die Katalog-Hersteller wussten nicht, wie sie den Kehrdruck bewerten sollten.

Die Briefmarken von Uruguay waren ein grosser Stolz von Lichtenstein. 1940 stellte Lichtenstein im Collectors Club New York seine Uruguay-Sammlung aus. Mit BEIDEN Kehrdrucken (Mi 5 K + 6 K) ex Ferrary.

1947 starb Lichtenstein, 70-jährig. Seine Sammlung ging an seine Tochter, Louise Boyd-Dale. Also wieder kein Verkauf, wieder keine faire Preis-Findung.

Louise Boyd-Dale starb früh, 1967, erst 54-jährig. Ab 1968 wurde ihre Sammlung verkauft; sie erregte grösste Aufmerksamkeit, vor allem dank der Rekordpreise für Mauritius.

Uruguay kam erst später zum Verkauf, bei der 9. Auktion in New York (Harmers Inc.), am 7. Mai 1970. Endlich - offenbar zum ersten Mal! - wurde ein Preis an einer Auktion bestimmt.

Die Katalog-Preise waren sehr tief. 112 Jahre lang war dieses Kehrdruck-Paar meines Wissens nie "im Wettbewerb" einer Auktion. Scott hatte den Katalogpreis damals auf moderate US$ 6'750 angesetzt. Los 982 erzielte an der Auktion dann auch nur US$ 11'000.

Nun - wieder 53 Jahre später - kam dieses Markenpaar wieder zur Auktion. Siegel war so fair und verständig, diesem Traum-Stück einen angemessenen Schätzpreis mitzugeben: US$ 200'000.

Dazu ist vielleicht hilfreich, sich den Katalogpreis von Michel vor Augen zu führen. Im Katalog 2010 lag er bei (sorry: lächerlichen!) Euro 20'000.

Am 28. März 2023 wurde diese Welt-Rarität (meines Wissens erst zum zweiten Mal) an einer Auktion verkauft. Sie erzielte den stolzen Preis von US$ 255'000.

Spät, sehr spät, erst 165 Jahre nach Herausgabe der Briefmarke (!), wurde das Kehrdruck-Paar erstmals so bewertet, wie es (meines Erachtens) angemessen ist. - Ein historischer Moment. - -

Gelegentlich dauert es lange, bis sich gewisse Dinge richtigstellen! Ich freue mich darüber.

Heinz
 
Martin de Matin Am: 16.04.2023 11:36:46 Gelesen: 93485# 892 @  
Nicht nur Uruguay kann mit Kehrdruckpaaren glänzen, sondern auch Argentinien mit den Marken von Buenos Aires.

Die 1 Peso-Marke MiNr. 7 gibt es auch als Kehrdruck. Die MiNr.7 hat die Inschrift "IN PESO", die entstand dadurch, das von der 5 Peso-Marke (CINCO) die Buchstaben "C" und "CO" entfernt wurden. Reste des ersten "C" sind auf dem nachfolgenden Kehrdruckpaares zu sehen. Das Kehrdruckpaar soll nach der Katalogbeschreibung der Amundsensammlung von den Bogenpositionen 33 und 43 stammen

Bei Stanley Gibbons wurden Teile der Lars Amundsensammlung vom 5. - 7. Februar 1969 versteigert. Mit Los 23 kam ein senkrechtes Kehrdruckpaar zur Versteigerung. Der Schätzpreis war 1500 Pfund und der Zuschlag erfolgte bei 2300 Pfund. Dies war der sechsthöchste Preis für ein Los bei dieser Auktion. Die höheren Preise war bis 4000 Pfund mit Ausnahme des Zusammendruck von Brasilien MiNr.1 und 2, der für 11.500 Pfund zugeschlagen worden ist.

Dieses Kehrdruckpaar wurde auch am 6.5.2008 bei Siegel in New York als Los 82 versteigert. Der Preis waren damals 575.000 Dollar, was einer deutlichen Steigerung in 40 Jahren entspricht auch wenn man den Kaufkraftverlust einberechnet.

Bei Siegel wurden folgende ehemaligen Besitzer angegeben: Caspary, Amundsen, Schatzkes, Boker und Sanchez.




Nach Angabe im Amundsenkatalog gibt es noch zwei weitere Kehrdruckpaare, die aber waagerecht sind. Eins davon war vermutlich in der Ferraysammlung und wurde als Los 146 der VII.Auktion und wurde mit 32ooo Franc zugeschlagen und ging in die Sammlung von Lichtenstein (ob Lichtenstein es direkt auf der Auktion oder etwas später erwarb kann ich nicht sagen).



In der letzten Auflage des Kohlhandbuchs steht, das man früher aufgrund eines breitrandigen Einzelstücks, das Teile eines Kehrdrucks zeigt, auf vorhanden seins von Kehrdrucken schloss. Diese Einzelstück befand sich in der Sammlung Marco del Pont. Das senkrechte Paar soll auch nach dem Ferrarypaar bekannt geworden sein.

Gruss
Martin
 
Heinz 7 Am: 16.04.2023 13:15:29 Gelesen: 93469# 893 @  
@ Martin de Matin [#884]

Machen wir doch eine Zeitreise.

November 1864. Die Philatelie trieb ihre ersten Blüten, eifrige Sammlerinnen und Sammler waren mit Leidenschaft dabei, ihre Sammlungen auszubauen. Die ersten Kataloge wurden mit Begeisterung gekauft, und die ersten Vordruck-Alben waren den Sammlern Ansporn, die "leeren Felder" zu füllen.

Und: ein Land nach dem anderen brachte seine ersten Briefmarken heraus, z.B.

1840 England
1847 Mauritius
1858 Fürstentum Moldau und Uruguay

Die Nachrichtenlage darüber war allerdings noch schwierig. Die Existenz über viele Briefmarken wurde erst im Nachhinein bekannt und Philatelie-Journalisten füllten die ersten philatelistischen Zeitschriften mit Erkenntnissen über Neuerscheinungen.

Im November 1864 machte Frau Jeanne Borchard eine märchenhafte Entdeckung. Jeanne war verheiratet mit Kaufmann und Reeder Adolphe Borchard aus Bordeaux, der geschäftliche Verbindungen mit Mauritius hatte. Die damals 37-jährige Ehefrau fand in der Geschäftskorrespondenz ihres Mannes Exemplare der allerersten Ausgabe von Mauritius, die "Post Office"-Marken von 1847.

Nicht nur eine Marke fand die Sammlerin, sondern insgesamt 13 Stück wurden von ihr entdeckt (1864-1869)! Meines Wissens war bis November 1864 die Briefmarke noch nicht bekannt, und folglich noch in keinem Katalog verzeichnet, noch in einem Vordruck-Album berücksichtigt.

Sehen wir uns einmal an, was Frau Borchard da fand, unter anderem:



Uns bleibt der Atem weg. Eine Mauritius Nr. 2+1, zusammen verwendet. Natürlich denken wir sofort an den zweifellos wertvollsten Brief der Welt, den "Bordeaux-Brief" von Mauritius



Frau Jeanne Borchard machte den ersten ganz grossen Fehler als Sammlerin: sie löste die zwei Marken vom Brief ab. Sonst wäre der oben gezeigte Brief kein Unikat, sondern hätte einen Zwilling.

Aber Frau Borchard machte noch einen zweiten Fehler. Sie tauschte nämlich dieses Paar gegen zwei "Montevideo-Suns"! (!!!)

Wir wissen nicht exakt, welche Briefmarke Frau Borchard erhielt.





Ich zeige hier eine Auswahl von möglichen Briefmarken. Hoffen wir, dass Frau Borchard wenigstens eine dieser Marken erhielt:

Wir sehen eine Michel 4b*, den seltensten Wert, Farbe indigo, mit einem Katalogwert von Euro 5000 (Michel 2010), eine Michel 3 (Katalogwert Euro 400 oder 450) und eine Michel 4a (Katalogwert Euro 2600).

Von der 4a gibt es angeblich rund 40 Stück; das hier gezeigte ist ein seltenes Exemplar mit 4 ganzen Rändern, darum wurde diese Marke 2012 als Teil der "Tito"-Sammlung auf US$ 5000 geschätzt.

Wir sehen also: Frau Borchard hat Briefmarken im Wert von höchstens CHF 10'000 erhalten für ihr Mauritius-Paar, das 1881 von "Briefmarkenkönig" Ferrary als Teil der Philbrick-Sammlung gekauft wurde. 1921 kaufte Maurice Burrus dieses lose "Paar" an der 2. Ferrary-Auktion zu einem Preis von FRF 98'000. Wir haben gesehen, dass die GANZE Uruguay-Sammlung (mit 2222 Marken, inkl. der zwei Kehrdruckpaare (!)) wenige Monate zuvor nur FRF 111'000 gekostet hatte.

Also... Frau Borchard hat zwei folgenschwere Fehler gemacht und damit einen sehr wertvollen Schatz (heutiger Wert > CHF 1 Million) hergegeben. Auch das gehört zur schillernden Geschichte der Philatelie.

Heinz
 

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