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Thema: Das Grading von Briefmarken
Richard Am: 16.11.2023 15:50:46 Gelesen: 1486# 1 @  
Lars schrieb im Thema

Letzte Woche wurde bei Robert A. Siegel eine große Sammlung US-Marken (Semiklassik) verkauft. Fast jede Marke war "gegradet". Die erzielten Preise gingen teils sehr deutlich über das Scott-Niveau hinweg. Die Marken hatten in der Regel ein PSE-Zertifikat.

Hallo Lars,

da interessieren (vielleicht nicht nur) mich diese Fragen:

- Kannst Du kurz und exakt schreiben was Grading bedeutet ?

- Hast Du Erfahrung, was ein Grading Zertifikat kostet ?

- Du schreibst von Erlösen deutlich über den Scott Preisen. Die Sammler scheinen ja ganz narrisch zu sein, solche Gradings für ihre Marken zu erhalten. Wer aber legt die Gradings fest und nach welchen Grundsätzen ?

- Haben BPP und/oder andere Prüferberbände und Vereinigungen bereits mit dem Grading begonnen und kannst Du entsprechende Prüfernamen nennen ?

Selbstverständlich können auch alle anderen Mitglieder, die sich für qualifiziert halten, hier antworten oder weitere Fragen stellen.

Grüsse aus dem Allgäu, Richard
 
TeeKay Am: 16.11.2023 20:45:38 Gelesen: 1338# 2 @  
Grading ist ein Trend, den es außerhalb Deutschlands schon seit Jahren bei diversen Sammelprodukten gibt. In der Regel werden die Sammelstücke von einer gewinnorientierten Gradingorganisation nach selbst gewählten Kriterien nach dem Zustand bewertet, ausgedrückt in Prozent bzw. Punkten, und dann zusammen mit dem Gradingresultat in einer Plastikverpackung eingeschweißt.

Vorteile: Die Wahrscheinlichkeit, dass das Sammelstück noch in der Qualität vorliegt, die beim Grading bestand, ist höher, da eingeschweißt. Außerdem können auch total Uninformierte viel Geld ausgeben, da das Grading Sicherheit suggeriert. Ein BPP-Attest sagt nur was über die Echtheit aus, nicht ob Posthornsatz 1 besser ist als Posthornsatz 2. Ein Grading gibt vor, diese Information liefern zu können.

Nachteil: Das ist nur für Investoren geeignet, die das Zeug dann in den Tresor legen - denn die Gradingverpackung verhindert die Lagerung in einem Album.

Das Vorliegen prozentualer Zustandsbeschreibungen führte natürlich sehr schnell zu einem Run auf die best gegradeten Sammelstücke und zu einer Abwertung aller anderen - mit immensen Preisunterschieden. Bei Computerspielen können zwischen zwei Prozentpunkten mehrere hundert Dollar Unterschied liegen. Und natürlich ist das Grading subjektiv. Wer will sicherstellen, dass ein 95% Sammelstück wirklich schlechter ist als ein 96%-Stück? Interessiert aber keinen: Das mit 96% wird viel teurer sein.

Viele Sammler schauen heute nur auf das Attest oder schlimmer sogar nur auf den Signaturstempel, nicht auf das geprüfte Stück selbst. Mit dem Grading wird das ganze noch schlimmer, denn man kann die Marke nicht zur eigenen Prüfung aus der Verpackung entnehmen, ohne das Grading wertlos werden zu lassen. Und dabei stellt das Einschweißen nichtmal sicher, dass das Zeug unverändert bleibt - Stichwort Folienproblematik oder auch Sonneneinstrahlung.
 
bayern klassisch Am: 16.11.2023 22:00:49 Gelesen: 1289# 3 @  
@ TeeKay [#2]

Sehr guter Beitrag.

Meine Meinung dazu: Jeden Tag steht (mindestens) ein Dummer auf und jede Woche wird eine (neue) Sau durchs Dorf getrieben.

Wer in der weiten Welt der Philatelie nichts besseres zu sammeln findet, als gegradete Briefmarken, sollte gleich zu Bierdeckeln wechseln - diese kosten weniger, sind alle gut gegradet, brauchen keinen umweltschädlichen Kunststoff und haben in schweren Zeiten einen weitaus höheren Heizwert.

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
Lars Boettger Am: 17.11.2023 09:46:09 Gelesen: 1212# 4 @  
@ Richard [#1]

Kannst Du kurz und exakt schreiben was Grading bedeutet ?

Hallo Richard,

die klassischen Briefmarken der Vereinigten Staaten sind vom Motiv her sehr ästhetisch gestaltet, aber der Druck machte dann dergestalt Probleme, dass die Marken sehr eng nebeneinander liegend gedruckt worden. Die Linienzähnung der später ausgegebenen Marken hat ebenfalls nicht dazu beigetragen, dass es sehr viele gut zentrierte und ansprechende Marken gibt.

Auf der anderen Seite sind die US-Marken oft in hoher Auflage gedruckt worden und ein grosser Teil lässt sich auch heute noch recht günstig einkaufen. Auf der anderen Seite möchten Sammler und insbesondere Aussteller das "beste bekannte Exemplar" oder das "schönste bekannte Exemplar". Natürlich kann man das leicht behaupten, aber wenn man es von einer Prüforganisation bestätigt bekommt, ist der Sammler mit seiner Aussage nicht alleine. Ich habe den "Grading-Guide" verlinkt [1] [2].

Die PSE hat in 2001 mit dem Grading-Service begonnen. Die PSE veröffentlicht einen Report, wie viele Marken einen gewissen Qualitätsstandard erreicht haben [3] und sie veröffentlichen vierteljährlich eine Liste mit Preisangaben zu Einstufungen [4]. Die US-Amerikaner sind bereits mit Münzen und Baseball-Karten das Einschweißen gewohnt. Von daher war es nicht verwunderlich, dass die PSE auch für Briefmarken angeboten hat.

Wer sich deutsche Auktionskataloge ansieht, der findet darin ebenfalls Angaben zur Ästhetik ("das schönere von zwei bekannten Exemplaren", "ausnahmsweise sehr gut zentriert", "für diese Ausgabe sehr schön gestempelt"). Muss ich als Sammler nicht gut finden und kann ich, wie so vieles, ignorieren. Ich kenne aber auch Sammler, die für gut zentrierte und schön gestempelte Marken eine deutliche Prämie bezahlen. Die PSE hat sich diesen Trend zu Nutze gemacht und davon profitiert. Die bei Siegel erzielten Preise sprechen aus meiner Sicht dafür, dass Sammler immer noch bereit sind, eine Prämie für außergewöhnlich gut erhaltene Marken zu bezahlen.

Zu den anderen Fragen von Richard [#1]:

- Andere Prüfverbände: Nein - aber bei Ausnahmestücken schreibe ich einen entsprechenden Kommentar
- Kosten: Siehe [5]
- Preise: Siehe [4]

Der Wunsch nach gegradeten Marken hat m.E. in den letzten zehn Jahren deutlich abgenommen. Das Grading hat einen Wunsch bei den Sammlern begründet, nach dem "besten" Exemplar zu suchen. Da ich die Marken der USA nicht aktiv sammle, habe ich Grading nur als Marktentwicklung wahrgenommen.

Beste Grüsse!

Lars

[1] http://psestamp.com/intro.chtml
[2] http://psestamp.com/pdf/2009_GradingGuide_092009.pdf
[3] http://psestamp.com/pop/
[4] http://psestamp.com/prices/
[5] http://psestamp.com/servicesandfees.chtml
 
Philipp Harder Am: 17.11.2023 11:00:15 Gelesen: 1165# 5 @  
@ Lars Boettger [#4]

"Grading" war zu Beginn gleichbedeutend mit "Slabbing" ("Einschweissen"). Erfunden wurde das "Grading" für Münzen und Baseball-Sammelbilder, wo man die Qualitätsstufe weiterhin direkt auf die Schutzverpackung ("Slabbing") druckt. Bei Briefmarken ist man neuerdings wieder davon abgekommen. Die PSE bietet "Slabbing" nur noch so lange an wie ihr Vorrat an Plastikboxen reicht. Vorteil ist, dass der Briefmarkensammler wieder die Marke ins Album stecken kann. Nachteil ist, dass er jetzt zu jeder Marke ein "Grading-Zertifikat" abheften und auf nachträgliche Beschädigung achten muss.

"As of January 1, 2021 PSE is discontinuing its encapsulation service. Due to a combination of increased minimum supply requirements combined with a currently low demand for encapsulation service it has become cost prohibitive for PSE to continue providing this service at this time. PSE will continue to encapsulate stamps for as long as we have remaining sizes in stock. Orders submitted for encapsulation where current stock has run out will be issued graded certificates."

DeepL: "Ab dem 1. Januar 2021 stellt PSE seinen Verkapselungsdienst ein. Aufgrund einer Kombination aus erhöhten Mindestlieferanforderungen und einer derzeit geringen Nachfrage nach dem Verkapselungsservice ist es für PSE zu kostspielig geworden, diesen Service zu diesem Zeitpunkt weiter anzubieten. PSE wird weiterhin Briefmarken kapseln, solange wir noch Größen auf Lager haben. Für Aufträge, die zur Verkapselung eingereicht werden, weil der Vorrat aufgebraucht ist, werden abgestufte Zertifikate ausgestellt."

Quelle: http://psestamp.com/servicesandfees.chtml
 
DL8AAM Am: 17.11.2023 18:44:35 Gelesen: 1037# 6 @  
Damit man auch mal so eine PSE-Kapselung mit Grading sieht, hier ein Foto von der New York 2016. Leider weiss ich nicht mehr, an welchem Händler- bzw. Verkaufsstand ich das Bild seinerzeit gemacht habe. Sorry!



Die Gradingangangabe ist in diesem Fall "XF-Sub 95". Zur genauen Schlüsselung dieses Kodes, siehe das oben [#4], das zweite von Lars verlinkte File [1].

Beste Grüße
Thomas

[1] [2] http://psestamp.com/pdf/2009_GradingGuide_092009.pdf
 
DL8AAM Am: 28.04.2024 14:48:50 Gelesen: 600# 7 @  
Das Grading-Theater in den USA ist vielleicht ärgerlich und übertrieben, aber fairerweise muss man anerkennen, dass die Sammler extrem auf die hohen Punktzahlen achten. Völlig normale Marken erreichen zum Teil Irrsinns-Preise, weil sie ganz hoch eingeschätzt werden in der Qualität. Wenn der Scott-Spezialkatalog dazu keine Aussagen machen würde, wäre dies eine Unterlassung.

Nur ganz kurz zur Illustration zu diesen, wertfrei gemeint, "Auswüchsen" ;-)

Ganz frisch aus der AP (The American Philatelist), na ja, halb frisch, Ausgabe Mai 2023, aus dem wirklich sehr interessanten Artikel "Are we Afflicted with Certitis? - The Ongoing Problem of ‘Certitis’" (Seite 442) von Wayne Youngblood.



Certitis, ein dickes Attest für eine Massenware-Marke zu 25 Scott-Cents, aber eben ein XF-Sub 95 ... Grading Matters ;-)

So wie die AP (des amerikanischen Phila-Daschverbandes APS) es macht, so würde ich mir uns hier mal ein deutsches Philateliemagazin wünschen, ein paar komplette Ausgaben als Leseproben unter [1].

Nein, ich bekomme keine Provision. ;-)

Beste Grüße
Thomas

[1] https://stamps.org/the-american-philatelist
 
drkohler Am: 28.04.2024 16:11:56 Gelesen: 592# 8 @  
Bei dem Wellenstempel in der obigen Marke ziehen sich mir alle Zehennägel zusammen.

PSE wurde letztes Jahr beim massiven Betrügen erwischt. Unter den zahlreichen Marken, die sie "prüfen" (ich schreibe das absichtlich in "" weil PSE dutzendfach erwischt wurde, wie sie in ihren Zertifikaten nicht hinwiesen, dass Marken reperforiert, neugummiert oder fehlende Zähne und andere Schäden hatten) befanden sich etliche spezielle Marken:

Dutzende von gestempelten Marken wurden nur wenige Wochen nachdem sie vorher als "Neuware" zertifiziert wurden, erneut zertifiziert (zum Teil sogar mit anderen Zentrierwerten). Alle diese "gebrauchten" Marken hatten den exakt gleichen Wellenstempel (mit ziemlicher Sicherheit ein Gummistempel). Die obige Marke zeigt exakt diesen "Wellenstempel"!

Leider ist das ganze Grading in den USA ein Riesengeschäft, von etlichen Händlern gepuscht.

Ich habe gerade vor Kurzem an einer Siegel-Auktion mitgeboten (auf MH, nicht auf Gradingzeug). Da war eine 50 c Marke, die mit Gem 100 ausgezeichnet war. Katalogwert $ 21, SMQ-Wert für diesen Grad: $ 850. Die Marke wurde für $ 11'000 zugeschlagen. Eine andere Marke brachte es auf $ 8'000 bei einem Katalogwert von $ 2 (SMQ $110).

Es gibt auch immer noch genügend Vollpfosten, die für Neuware, die man noch auf der Post bekommen kann, das hundertfache hinblättern weil sie ein Grade 100 Zertifikat von dieser Pseudofirma bekam. Der Chef der Firma hat mal behauptet, dass er den Gummistempel vom Fälscher kassieren konnte. Wie das geschah und wo der Stempel jetzt ist, wer der Fälscher ist - keine Antworten. Es hilft auch nicht, das einige der Fälschungen von einem Besitzer zur Prüfung eingeschickt wurden, der in Las Vegas lebt. Ein Schelm, der Schlechtes denkt.

[Beiträge [#7] und [#8] redaktionell kopiert aus dem Thema "USA Scott Kataloge Standard-Ausgabe und Specialized"]
 
Dobe Am: 28.04.2024 19:01:03 Gelesen: 547# 9 @  
Bis zu einem gewissen Grad gibt es eine Art Grading bei atitalienischen Briefmarken schon etwas länger. Wenn natürlich auch nicht eingeschweißt. Aber die Punktzahlen gibt es bei Bolaffi oder anderen Prüfern schon länger und eine Marke oder einen Satz mit einem Bolaffi-Wert von 100 % ist natürlich sehr viel mehr wert als mit 50 %. Wäre ja auch seltsam, wenn nicht.

Ganz aktuell suche ich für meinen Dienstmarken-Set mit Überdruck 1878 Italien die "0.02 auf 2 C." in postfrisch mit absolut optimaler Zentrierung. Die Marke hat selbst in postfrisch keinen hohen Handelswert, vl. 20 €. So wie ich sie haben will, liegt sie bei mindestens 150 € - die Zentrierung ist fast das wichtigste Merkmal aller italienischen Marken mit Zähnung zwischen 1863 bis etwa 1920/1923 (so bis zum Manzoni-Set etwa). Der Sassone unterscheidet da extrem - bis zu 30-fache höhere Bewertungen sind da drin.

Ich besitze z.B. die De La Rue 2 Cent - Torino Edition in postfrisch in einer lt. Prüfer von ihm noch nie gesehenen Zentrierung - diese Marke ist in postfrisch unter 1 €. Ich habe für diese Marke ein Zertifikat und für 100 € würde ich sie sofort loswerden.

Und der Run auf die extrem hoch bewerteten Marken mit optimaler Zentrierung ist aktuell extrem. Ich finde das auch völlig nachvollziehbar. Diese Marken sind ja auch sehr sehr viel seltener als die anderen, wenn man mal so einen ganze Bogen gesehen hat, da ist ja fast alles krumm und schief gedruckt und gezähnt. Und die perfekt zentrierten Marken dürften mindestens um den Faktor 30 eher 50 seltener sein, warum sollten sie da nicht auch mehr wert sein?

Das Einschweißen finde ich wirklich einen Trend, den ich nie mitmachen würde und wie schon angemerkt - da wird dem Betrug ja Tür und Tor geöffnet. Wer öffnet schon eine 100 % gegradete verpackte Marke??
 
TeeKay Am: 28.04.2024 20:06:48 Gelesen: 483# 10 @  
Bei Computerspielen wurde der Grading-Scam von einem Youtuber aufgedeckt [1][2] - in der Folge kollabierten die Preise um teils 97 %.

Die hohen Zuschläge für top-gegradete Briefmarken müssen also nicht auf Sammler- oder Investorennachfrage beruhen, sondern könnten wie bei Computerspielen auch Teil eines Betrugsnetzwerkes sein.

[1] https://www.youtube.com/watch?v=rvLFEh7V18A
[2] https://www.youtube.com/watch?v=HJ0GdGkZ5PM
 
Dobe Am: 30.04.2024 12:04:44 Gelesen: 237# 11 @  
@ DL8AAM [#7]

Lieber Thomas,

ich muss dir da leider widersprechen. Die Zentrierung der Marke ist phänomenal und genau das unterscheidet eine Marke von der Massenware.

Ich werde zu diesem Thema übernächste Woche einen Beitrag verfassen über einen ähnlichen Fall. Die Königreich Italien De La Rue Sassone/Michel 15 (2 Cent) - Torino Edition ist eine "Massenware" auch in postfrisch. Ich besitze die vermutlich laut Paolo Cardillo am besten zentrierte 2 Cent - Torino auf dem Markt. Er ist Stammprüfer für Bolaffi und ich denke, er kann das sicher beurteilen.

Er hat mir wortwörtlich mitgeteilt, dass ich die Sassone-Bewertung für meine Marke vergessen solle (240€) und der wahre Wert auf dem Markt weit drüber liegt. Diese echten wirklichen 100% Exemplare sind extrem gesucht. Ich versuche gerade für meinen Onduline-Set (Königreich Italien) die Sassone/Michel 29 in postfrisch und wirklich optimal zentriert zu erhalten. Es gibt weltweit genau ein Angebot für diese Marke und der italienische Händler weiß das ganz genau - aber 320€ für diese Marke sind eben auch extrem viel.

Ich kann das aber alle gut nachvollziehen - ist doch logisch - der Kreis der Sammler wird weniger, die die noch aktiv sammeln haben eher etwas mehr Geld und hohe bis höchste Ansprüche. Die "normalen" Marken werden dadurch abgewertet, der Preis für die wirklich guten bis perfekten Marken steigt. Das ist Marktwirtschaft, wie sie die Theorie vorhersagt.

Viele Grüße

Michael
 
drkohler Am: 30.04.2024 13:34:52 Gelesen: 183# 12 @  
@ Dobe [#11]

Man muss immer unterscheiden, wie alt die Marke ist.

In den USA waren die Preise für Uraltmarken in sehr guter Qualität immer schon deutlich teurer als im Spezialkatalog angegeben (die Preise gelten dort für "VF" - und jeder Sammler wusste, wie "F", "F/VF oder "VF" aussah). Niemand hat sich darüber aufgeregt. Der Grund ist einfach: Die Markenproduktion im Altertum war "hit and miss", das heisst die meisten Uraltmarken existieren praktisch nur im "Solala" Zustand.

Das Problem mit dem Grading in den USA ist, dass auch moderne Marken und sogar Neuware (Marken, die noch am Schalter erhältlich sind) zu völlig überrissenen Preisen angeboten und von Vollpfosten auch bezahlt werden.

Ich kann mich auch erinnern, wie Alles begann:

In den wöchentlichen Linn's Journal Ausgaben befinden sich hinten unter Inseraten die "Kaufe" - "Verkaufe" Annoncen. Üblicher Weise kauf(t)en Händler Bogenware für etwa 50-70% Nennwert (30% für Ramschware, genannt "Scrap"). Das ging Jahrzehnte lang so. Dann von einem Zeitpunkt an tauchten plötzlich Inserate von einer Händlergruppe auf, die 100-120% bezahlten für Bögen. Im Kleingedruckten stand da allerdings sehr oft "Bögen müssen sehr gut zentriert sein, mangelhafte Ware wird zurückgeschickt". Die Inserate waren einige Jahre lang aktiv.

Dann eines schönen Tages, quasi über Nacht, begann der Gradingfad. Händler boten "Supermarken" mit Grades 90(+) an, später dann Grades 95(+), dann 98(+), jetzt sind es 100(+).

Und der Dummenfang begann zu funktionieren. Es gab genügend Spinner die das Mehrfache für diese "Graded Stamps" hinlegten auf Auktionen (viele Auktionatoren sprangen erst nach einer Weile auf den Zug auf) und von Händlern.
Überraschung: Die Händler, die diese graded stamps anboten, waren die gleichen, die Jahre zuvor in den Inseraten "Superbögen" aufkauften. Viele dieser ursprünglichen Händler(-mafia?) pushen jetzt immer noch das Gradingbusiness.

(Zumindest ein Superspinner hatte allerdings Alles richtig gemacht. Er hat von Anfang an Supermarken gekauft wahrscheinlich zum 1-5 fachen Katalogwert und dann auf einer Auktion seine Supersammlung verkauft en Block etwa zum 10-50+ fachen des Katalogwertes).

Geradezu witzig ist auch wie die Vollpfosten abgezockt wurden über die Jahre. Am Anfang kamen 90+ Marken auf den Markt. Als die Flaute langsam einsetzte, kamen 95+ Marken auf den Markt. Gefolgt von 98+ Marken. Im Moment sind 100+ Marken das Mass aller Dinge.

Die Preise für modernere <100 Marken sind stark am Fallen, wie ich an einigen zeitnahen Auktionen beobachten konnte. Gerade für ältere 100+ Marken werden immer noch Irrsinnspreise hingelegt.

Man kann jetzt sagen: "Das Gradinggeschäft geht mir am A* vorbei". Leider hat es schlimme Nebenwirkungen. Man sieht immer öfter "SuperGem100" ungeschnittene Marken, die aus einem Neunerblock herausgeschnitten wurden. Das heisst von einem Block von 3*3 Marken werden 8 davon willentlich zerstört, um eine Super-Zentrumsmarke herzustellen.
 
Dobe Am: 30.04.2024 15:14:07 Gelesen: 132# 13 @  
@ drkohler [#12]

Danke für die eindrückliche historische Betrachtung. Ich kann wie gesagt nur für Altitalien und bzgl. Zentrierung speziell nur für Königreich 1863-1901 sprechen (mit Einschränkungen bis 1923). Im Sassone gibt es schon seit langem eigene Tabellen bzgl. des Zentrierungsgrads. Deswegen und wg. der fehlenden Farbdifferenzierung kann ich mit dem Michel auch wirklich nichts anfangen.

Ich persönlich kann diesen Hang aber nachvollziehen. Ich finde eine perfekt zentrierte Marke einfach wesentlich ästhetischer als eine nicht perfekt zentrierte Marke (und Königreich Italien gibt es unfassbar viele krumm und schief geschnittene Marken, die Bestimmung davon füllt ganze Seiten im Sassone).
 
TeeKay Am: 30.04.2024 22:52:55 Gelesen: 31# 14 @  
@ drkohler [#12]

In den wöchentlichen Linn's Journal Ausgaben befinden sich hinten unter Inseraten die "Kaufe" - "Verkaufe" Annoncen. Üblicher Weise kauf(t)en Händler Bogenware für etwa 50-70% Nennwert (30% für Ramschware, genannt "Scrap"). Das ging Jahrzehnte lang so. Dann von einem Zeitpunkt an tauchten plötzlich Inserate von einer Händlergruppe auf, die 100-120% bezahlten für Bögen. Im Kleingedruckten stand da allerdings sehr oft "Bögen müssen sehr gut zentriert sein, mangelhafte Ware wird zurückgeschickt". Die Inserate waren einige Jahre lang aktiv.

Dann eines schönen Tages, quasi über Nacht, begann der Gradingfad. Händler boten "Supermarken" mit Grades 90(+) an, später dann Grades 95(+), dann 98(+), jetzt sind es 100(+).


Also exakt so wie bei alten Computerspielen - wie im oben von mir verlinkten Video beschrieben. Erst wurden auf Messen alle verfügbaren alten Spiele aufgekauft. Dann eine neue Gradingfirma von einer Auktionsfirma finanziert. Das erste von dieser Firma gegradete Spiel wurde praktischerweise zum Mondpreis vom Auktionsfirmenbesitzer gekauft. Und der Run war geboren. Der Auktionshausbesitzer hat das gleiche Spiel in den 1980-ern schon mit gegradeten Münzen gespielt. Münzen, Spiele, Briefmarken - überall der gleiche Scam. Die Preise für gegradete Münzen und Spiele kollabierten bereits. Bei Briefmarken wird es nicht anders laufen.

(Zumindest ein Superspinner hatte allerdings Alles richtig gemacht. Er hat von Anfang an Supermarken gekauft wahrscheinlich zum 1-5 fachen Katalogwert und dann auf einer Auktion seine Supersammlung verkauft en Block etwa zum 10-50+ fachen des Katalogwertes).

Du wirst lachen - aber auch das ist im Youtube-Video über Computerspiele bei. Exakt das gleiche.
 
Vernian Am: 30.04.2024 23:35:34 Gelesen: 2# 15 @  
Mal all das zusammengefasst: Grading ist eine genauso bescheuerte Mode wie der Versuch Cryptostamps Sammlern schmackhaft zu machen und wird genauso über kurz oder lang in der Versenkung verschwinden… Dafür wird es dann wieder irgendeinen anderen Unsinn geben, auf den irgendwelche Idioten fliegen ...
 
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