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Thema: Recht: Gesetz für Virtuelle Hauptversammlung wird wohl zur Dauerregelung
Das Thema hat 37 Beiträge:
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Jürgen Häsler Am: 02.04.2020 22:21:42 Gelesen: 9653# 1 @  
Wer momentan die Webseiten von BDPh und LV Südwest besucht, findet dort inzwischen eine Vielzahl von aufgrund der Corona-Krise abgesagten philatelistischen Veranstaltungen. Das ist schade, wurde doch im Vorfeld oft schon viel Arbeit in die Vorbereitung und Organisation der Veranstaltungen investiert.

Auch Hauptversammlungen von philatelistischen Arbeitsgemeinschaften, Vereinen und Landesverbänden sind davon betroffen. In der Regel werden diese Versammlungen lediglich verschoben, da sie satzungsgemäß in einem regelmäßigen Turnus stattfinden müssen.

Normalerweise sind diese Versammlungen Präsenzveranstaltungen, für die Stimmabgabe bei Wahlen und Beschlüssen müssen die Mitglieder persönlich erscheinen. Eine Stimmrechtsübertragung oder Stimmabgabe in Schriftform oder mittels elektronischer Kommunikation ist nur dann möglich, wenn dies die jeweilige Satzung ausdrücklich erlaubt.

In vielen Fällen fehlen jedoch entsprechende Regelungen in den „üblichen“ Satzungen von Briefmarkensammlervereinen.

Wirklich kritisch kann es werden, wenn wichtige Gründe (z.B. eine anstehende Vertragsverlängerung oder -kündigung durch den Verein oder eine notwendige Erhöhung des Mitgliedsbeitrages) einen Beschluss der Mitgliederversammlung erfordern, der wegen der Corona-Pandemie aber zur Zeit gar nicht möglich ist.

Gemäß § 32 Abs. 2 BGB können Beschlüsse ohne Mitgliederversammlung nur dann gefasst werden, wenn ALLE Mitglieder schriftlich zustimmen. Dies ist in der Praxis (sogar in kleinen Vereinen) unmöglich.

Deshalb hat der Bundestag letzte Woche das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (GesRuaCOVBekG) beschlossen [1].

Es enthält in § 5 wichtige Regelungen für Vereine.

Absatz 1 regelt, dass Vorstandsmitglieder von Vereinen und Stiftungen auch nach Ablauf der Amtszeit im Amt bleiben, bis eine Abberufung oder eine Neuwahl erfolgt.

Absatz 2 gestattet den Vereinsvorständen auch ohne entsprechende Satzungsbestimmung, ihren Vereinsmitgliedern die Ausübung der Mitgliederrechte in einer „virtuellen“ Mitgliederversammlung (ohne persönliche Anwesenheit am Versammlungsort) mittels elektronischer Kommunikation zu ermöglichen sowie die schriftliche Stimmabgabe vor Durchführung der Mitgliederversammlung zu erlauben.

Absatz 3 erleichtert die Beschlussfassung ohne Mitgliederversammlung enorm. Beschlüsse sind nun bereits gültig, wenn die Hälfte aller Mitglieder ihre Stimme in Textform (es genügt also eine E-Mail) abgegeben haben, sofern alle Mitglieder beteiligt wurden. Natürlich muss der Beschluss immer noch mit der erforderlichen Mehrheit gefasst werden.

Alle Änderungen gelten befristet zunächst bis Jahresende 2020. Das Bundesjustizministerium wurde aber ermächtigt, die Geltungsdauer gegebenenfalls bis Ende 2021 zu verlängern, falls die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie fortbestehen sollten.

FAZIT: Unsere philatelistischen Vereine bleiben auch in Zukunft handlungsfähig.

Jürgen Häsler
Briefmarken-Sammlerclub Villingen e.V.

[1] https://www.gesetze-im-internet.de/gesruacovbekg/__5.html
 
Jürgen Häsler Am: 27.05.2020 22:25:28 Gelesen: 9319# 2 @  
Ich möchte noch kurz auf den Artikel von Rechtsanwalt Dr. Bernd Lindemeyer in der Juni-Ausgabe der philatelie (Seite 4 und Seite 6) hinweisen, der sich mit obiger Thematik befasst. Schon bei meiner Arbeit in der Strukturkommission des BDPh habe ich Herrn Dr. Lindemeyers Fachkompetenz schätzen gelernt. Seine rechtliche Beurteilung war auch dem BDPh-Newsletter 04-2020 beigefügt, der von Herrn Schmidt am 06. Mai an alle Vereinsvorsitzenden verschickt wurde.

Es ist erfreulich, dass sich der BDPh mit diesen Fragen auseinandersetzt und so die Vereine aktiv unterstützt.

Zudem besteht inzwischen begründete Hoffnung, dass zumindest ab September wieder Vereinsveranstaltungen und Hauptversammlungen stattfinden können. Für Großveranstaltungen wie z.B. Messen im Herbst bin ich allerdings pessimistisch. Sie bergen für die Veranstalter ein nur schwer kalkulierbares, immenses Kostenrisiko.

Viele Grüße
Jürgen Häsler
 
filunski Am: 27.05.2020 23:20:13 Gelesen: 9299# 3 @  
@ Jürgen Häsler [#2]

Hallo von einem Betroffenen der sich mit der Thematik eingehend auseinandergesetzt hat, ;-)

Das Schreiben vom BDPh kenne ich recht gut. Ich war vielleicht sogar einer der Auslöser, damit sich der BDPh, namentlich der durchaus geschätzte Dr. Lindemeyer mit der Thematik auseinandergesetzt hat, und wir, der Vorstand der zweitgrößten ArGe im BDPh, standen vor der Frage, wie wir in Zeiten von Corona unsere für das Jahr 2020 fällige Jahreshauptversammlung (JHV) durchführen könnten. Eine nicht ganz einfache Fragestellung, zumal bei uns in diesem Jahr neben Routinetagesordnungspunkten auch fast der komplette Vorstand zur Neuwahl ansteht.

Nicht zuletzt angeregt durch den Beitrag [#1] erschien uns die Option einer virtuellen Hauptversammlung (VHV) recht verlockend und wir machten uns, nach einer ersten Abstimmung im Vorstand, auf, dies konkreter in die Wege zu leiten. In der Zwischenzeit hatte ich selbst auch schon Einladungen zu VHVn bekommen und somit auch schon reelle Vorstellungen dazu.

Die dann intensivere Befassung mit den nötigen Details und vor allem den noch ungeklärten und nicht genau definierten, juristischen Einzelheiten, ließen sehr schnell Ernüchterung aufkommen.

Eine VHV kommt m.E. für keinen kleinen und auch mittleren Verein, und wohl auch nicht für einen einzigen im BDPh organisierten Verein oder ArGe in Frage! Die VHV wurde geschaffen und ist nur praktikabel für große (DAX notierte) Unternehmen und große Vereine (Bundesliga, ADAC etc.).

Auch eine VHV muss zeitlich und örtlich definiert, physisch irgendwo vor Ort stattfinden, unter Anwesenheit der zumindest wichtigsten Vorstandsmitglieder und eventueller virtueller Zuschaltung von wichtigen Funktionsträgern (z.B. Kassenprüfer). Dazu bedarf es gewisser Räumlichkeiten (Geschäftsräume) mit entsprechender technischer Ausstattung um Mitglieder virtuell zuzuschalten und die Veranstaltung zu übertragen um allen Vereinsmitgliedern, die dies möchten, zu erlauben virtuell an der Versammlung teilzunehmen und ihr Stimmrecht während der Versammlung (nicht nur durch vorherige Abstimmung schriftlich per Brief, FAX oder E-Mail) auszuüben. Wir zumindest haben keine deratig ausgestatteten Geschäftsräume und auch nicht die technischen Möglichkeiten. Daneben wären auch viele unserer Mitglieder technisch überfordert daran teilzunehmen.

Da aber auch bei Vorliegen der eben genannten Voraussetzungen bislang nicht juristisch genau geklärt ist, wie insbesondere die Ausübung der Mitgliederrechte virtuell ablaufen müssen, könnte auch das Ergebnis einer solchen VHV angreifbar sein und u.U. für nichtig erklärt werden können.

Dies nur die wichtigsten Gründe, die uns von dem Gedanken einer VHV Abstand nehmen liessen.

Wir haben aber einen anderen Weg gefunden um das anstehende Problem erst mal zu verschieben bis sich vielleicht die Corona-Lage wieder entspannt. Unser erster Vorsitzender verfasste ein Schriftstück an das zuständige Registergericht in dem er auf die Nicht-Durchführbarkeit einer VHV hinwies und bat um Aufschiebung. In ungewohnter Schnelle und völlig unbürokratisch gab das Registergericht dem Antrag statt. Es gestattete die Verschiebung der JHV auf nächstes Jahr und bestätigte das "im Amt bleiben" des derzeitigen Vorstands bis zur nächsten JHV.

Vielleicht eine Idee für andere Vereine die vor demselben Problem stehen.

Viele Grüße,
Peter
 
drmoeller_neuss Am: 29.05.2020 18:11:37 Gelesen: 9212# 4 @  
Erst einmal kommt es darauf an, ob laut Satzung eine Mitgliederversammlung einmal im Jahr einzuberufen ist. Dann muss der Vorstand das auch tun (§36 BGB).

Wenn der Vorstand das aus eigenem schuldhaften Verhalten versäumt, kann das einen Schadensersatzanspruch des Vereins auslösen. Allerdings muss dem Verein ein Schaden entstanden sein und dieser muss auch beziffert werden.

Es ist egal, ob das Registergericht mit einer Verschiebung einverstanden ist.
Ich wüsste aber nicht, welcher Schaden einem Briefmarkensammlerverein durch den Ausfall einer Jahreshauptversammlung entstanden sein kann. In der Regel kostet die Durchführung einer Jahreshauptversammlung den Verein Geld und bringt nichts ein.

Die Kassenprüfung kann sich auch über zwei Jahre erstrecken, ebenso kann die Entlastung des Vorstandes nachgeholt werden.

Anders sieht es aus, wenn ein Verein gemeinnützig ist. Dann wacht das Finanzamt über die Einhaltung der Gemeinnützigkeit und kann auch die Gemeinnützigkeit entziehen, wenn gegen die Satzung verstossen wird. Hier würde ich mir in jedem Fall die Erlaubnis vom Finanzamt einholen und auf die dringenden Gründe für eine Nichteinberufung der satzungsgemäßen Mitgliederversammlung hinweisen.

Im übrigen solltet Ihr einen Blick in die aktuelle Corona-Verordnung Eures Landes werfen. Z.B. sind in NRW satzungsmässige Mitgliederversammlungen nicht mehr verboten, es muss aber auf die "üblichen" Corona-Regeln geachtet werden, wie z.B. Mindestabstand. Das kann bei größeren Vereinen dazu führen, dass eine Mitgliederversammlung nicht organisiert werden kann, weil kein entsprechender grosser Raum zur Verfügung steht.

In jedem Fall sollte ein Vorstandsbeschluss zur Verschiebung der Mitgliederversammlung herbeigeführt und und ordentlich dokumentiert werden. Hier kann z.B. festgehalten werden, dass die derzeitige Corona-Verordnung eine Durchführung nicht erlaubt, oder eine Durchführung der Mitgliederversammlung wegen der Risikogruppen im Verein nach sorgfältiger Abwägung aller Interessen nicht geboten ist. Gerade in Briefmarkensammlervereinen gibt es viel ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen, die besonders gefährdet sind.

Wichtig ist die Kommunikation mit den Mitgliedern. Ich gehe davon aus, dass jedes Mitglied dafür Verständnis hat, dass Mitgliederversammlungen derzeit nicht stattfinden.
 
Jürgen Häsler Am: 01.06.2020 00:34:36 Gelesen: 9124# 5 @  
@ filunski [#3]

Hallo Peter,

herzlichen Dank für Deine Rückmeldung und den „Erfahrungsbericht“ Deiner ArGe.

In meinem ersten Beitrag und auch im Artikel von RA Dr. Lindemeyer steht die Darstellung der neuen Rechtslage im Mittelpunkt. Mein Fazit, dass die philatelistischen Vereine handlungsfähig bleiben, bezieht sich vor allem auf die gesetzliche Verlängerung der Amtszeit von Vereinsvorständen als gesetzliche Vertreter nach § 26 BGB, unabhängig von der jeweiligen Regelung innerhalb der Vereinssatzung.

Was tun, wenn die geplante HV des Vereins wegen der COVID-19-Pandemie „ausfallen“ musste ?

Variante 1:
Verschieben der HV auf einen neuen Termin im Herbst unter Beibehaltung als „herkömmliche“ Präsenzveranstaltung

Die einfachste Lösung. Birgt aber natürlich das Risiko, das die verschobene Veranstaltung bei einem (unerwarteten) Wiederaufflammen der COVID-19-Pandemie erneut ausfallen muss. Nach heutigem Stand ist eine große 2. Infektionswelle im Herbst aber eher unwahrscheinlich, wenn auch nicht ausgeschlossen. Nach dieser Variante verfährt der LV Südwest (Verlegung vom 16.05.2020 auf den 07.11.2020)

Variante 2:
Verschiebung der HV auf einen neuen Termin und gleichzeitige Nutzung der schriftlichen Stimmabgabe des „Corona-Gesetzes“.
So verfährt der BSC Villingen e.V. (Verlegung vom 29.03.2020 auf 20.09.2020) Der Vorstand hat beschlossen, den Mitgliedern ausnahmsweise auch die schriftliche Stimmabgabe zu ermöglichen. Zusammen mit Einladung und Tagesordnung werden auch Stimmzettel mit frankiertem Rückumschlag sowie die Stellungnahme des Vorstandes zu den einzelnen Tagesordnungspunkten verschickt. Sind nur Abstimmungen durchzuführen (Ja/Nein/Enthaltung) ist dieses Verfahren sehr einfach umzusetzen. Der Vorstand will dadurch auch herausfinden, ob sich die Beteiligung der älteren Vereinsmitglieder durch dieses schriftliche Verfahren ohne persönliche Teilnahme an der HV erhöhen lässt.

Sind Wahlen durchzuführen, ist dieses Verfahren jedoch unpraktikabel.

Aus diesem Grund haben wir die eigentlich vorgesehene „Nachwahl“ der neuen Schatzmeisterin von der Tagesordnung gestrichen und auf 2021 verschoben, wenn die regulären Vorstandswahlen anstehen. Bis dahin bleibt der „kommissarische“ Schatzmeister im Amt.

Generell gilt das in Beitrag [#4] von drmoeller_neuss Gesagte:

In jedem Fall sollte ein Vorstandsbeschluss zur Verschiebung der Mitgliederversammlung herbeigeführt und ordentlich dokumentiert werden. Offene Kommunikation mit den Vereinsmitgliedern ist natürlich wichtig, die Mitglieder müssen über die Gründe für die Verschiebung informiert werden, dann sollte auch Verständnis für die Maßnahme vorhanden sein.

Das Vereinsregistergericht über die Verschiebung zu informieren, halte ich für eine sehr gute Idee. Aus meiner Sicht hat Deine ArGe alles richtig gemacht. Die Vereinsregistergerichte sind auch angewiesen, "großzügig" zu verfahren.

Eine echte „virtuelle Hauptversammlung“ zu veranstalten ist sehr aufwendig und deshalb für einen Verein, der von Ehrenamtlichen geleitet wird, nicht zu empfehlen. Es gibt natürlich Firmen, die (für viel Geld, versteht sich) die Organisation einer VHV übernehmen. Die VHV-Regelung im „Corona-Gesetz“ ist, wie Du selbst richtig festgestellt hast, vor allem für Aktiengesellschaften gedacht, die in § 1 des Gesetzes behandelt und in Absatz 7 zum Teil auch vor der Anfechtung von HV-Beschlüssen geschützt werden. Die Bundesregierung wollte insbesondere auch eine zeitliche Verzögerung bei der Restrukturierung der Commerzbank und der Integration der comdirect bank verhindern, woran sie großes Interesse hat.

@ drmoeller_neuss [#4]

Eine sehr gelungene Darstellung des Sachverhaltes mit dem wichtigen Hinweis auf die Unterschiede, die bei gemeinnützigen Vereinen zu beachten sind, insbesondere der Kontrolle der Einhaltung der Satzungsbestimmungen durch die Finanzämter.

Der Aussage:

„In der Regel kostet die Durchführung einer Jahreshauptversammlung den Verein Geld und bringt nichts ein.“ kann ich jedoch nicht zustimmen.

In unserem Verein gehört die HV zu den wichtigsten Veranstaltungen des ganzen Jahres. Hier treffe ich viele Vereinsmitglieder, die bei den Vereinsabenden wegen beruflicher Belastung oder aus privaten und familiären Gründen nicht kommen können. Hier entscheiden die Mitglieder über alle Vereinsaktivitäten und damit über die Zukunft des Vereins. Dass die Teilnahme an Hauptversammlungen oft eher gering ist, hat mit den vielen Formalien zu tun, die erledigt werden müssen und auch mit der „Furcht“, dass einem ein Vereinsamt „angetragen“ wird. Zudem ist die Angst vor persönlicher Haftung verbreitet und schreckt so viele von der Übernahme eines Ehrenamtes an.

Zitat aus dem Empfehlungsbericht des Normenkontrollrates Baden-Württemberg zur Entbürokratisierung bei Vereinen und Ehrenamt [1]:

„42 Tage im Jahr bzw. 6,5 Stunden pro Woche muss sich ein typischer, mittelgroßer Verein mit einem aktiven Vereinsleben nur um die Erfüllung bürokratischer Vorgaben kümmern (337 Stunden). Die wenigsten Vereine haben hauptamtliche Beschäftigte. Die Bürokratie wird deshalb in der Regel von ehrenamtlichen Vereinsvertretern geleistet – und das am Abend oder am Wochenende! Die bürokratischen Lasten werden immer mehr, vieles wird als unnötig empfunden, die Akzeptanz wird geringer."

Der Normenkontrollrat hat deshalb 49 konkrete Vorschläge zur Entlastung erarbeitet.

[1] https://stm.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF/191204_NKR_BW_Entbuerokratisierung_bei_Vereinen_und_Ehrenamt.pdf

Viele Grüße
Jürgen
 
Jürgen Häsler Am: 17.02.2021 23:49:20 Gelesen: 8372# 6 @  
Es ist Zeit für ein kurzes Update zu den Themen "Virtuelle Hauptversammlung" und "Verschiebung von Hauptversammlungen".
Zunächst gilt festzuhalten, dass die Geltungsdauer des COVID19-Gesetzes am 20. Oktober 2020 durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz bis zum 31.12.2021 verlängert wurde. [1]

Der Bundestag hat Mitte Dezember 2020 jedoch noch weitere wichtige Änderungen für Vereine beschlossen, die Zustimmung des Bundesrates ist am 18. Dezember 2020 erfolgt.
Die Änderungen finden sich im Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht.

Zunächst wird die virtuelle Hauptversammlung rechtlich abgesichert. In einem früheren Beitrag hatte ich bei ehrenamtlich geführten Vereinen von der Durchführung einer rein virtuellen Hauptversammlung (VHV) ohne schriftliche Stimmabgabe abgeraten.

Das eigentliche Problem an der bisherigen Fassung des COVID19-Gesetzes bezüglich VHVs war die Möglichkeit, Beschlüsse anzufechten, wenn einem Mitglied die Teilnahme an der Mitgliederversammlung "unangemessen" erschwert wird.

Wenn ein Mitglied nicht über die erforderliche technische Ausstattung (Computer, Notebook oder Tablet mit Mikrofon, Lautsprecher und Webcam) sowie einen ausreichend schnellen Internetzugang verfügt, kann man das als "unangemessenes Erschwernis" betrachten. Und nach der allgemein geltenden Rechtsauffassung ("Relevanztheorie" genannt) genügt bereits EIN einziges Mitglied, das eine solche "Erschwernis" nachweisen kann, um ALLE bei einer VHV gefassten Beschlüsse durch Anfechtung für unwirksam zu erklären.

Eine Horrorvorstellung für jeden Vereinsvorstand.

Der durch Bundesgesetz neu gefasste § 5 Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG beseitigt dieses Problem. Es heißt dort nun:

(2) Abweichend von § 32 Absatz 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann der Vorstand auch ohne Ermächtigungen in der Satzung vorsehen, dass Vereinsmitglieder
1. an der Mitgliederversammlung ohne Anwesenheit am Versammlungsort teilnehmen, und Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können oder müssen, ...

Das bedeutet, der Vorstand kann in Zukunft einfach anordnen, dass die Hauptversammlung als virtuelle Hauptversammlung stattfindet, ohne auf die Befindlichkeiten einzelner Mitglieder Rücksicht nehmen zu müssen, die Schwierigkeiten haben, an einer VHV teilzunehmen.

Auch die Unsicherheit von Vereinsvorständen, die pandemiebedingt gezwungen waren, die Hauptversammlung zu verschieben, hat der Gesetzgeber durch Einfügung eines neuen Absatzes (2a) in das COVID19-Gesetz beseitigt. Dort heißt es in Zukunft:

(2a) Abweichend von § 36 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist der Vorstand nicht verpflichtet, die in der Satzung vorgesehene ordentliche Mitgliederversammlung einzuberufen, solange die Mitglieder sich nicht an einem Ort versammeln dürfen und die Durchführung der Mitgliedersammlung im Wege der elektronischen Kommunikation für den Verein oder die Vereinsmitglieder nicht zumutbar ist.

Eine Verschiebung der Hauptversammlung ist also rechtlich zulässig und löst auch keine unerwünschten Haftungsfolgen für den Vorstand aus.

Alle neuen Regelungen treten am 28.02.2021 in Kraft und gelten bis zum 31.12.2021.

Es sei noch darauf hingewiesen, dass das Gesetz nur die (pandemiebedingte) Verschiebung der ordentlichen Hauptversammlung erlaubt. Das Minderheitenbegehren auf Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung gemäß § 37 BGB bleibt weiterhin bestehen.

Jürgen Häsler

[1] http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl120s2258.pdf
[2] https://www.bundesrat.de/drs.html?id=761-20
 
nagel.d Am: 18.02.2021 13:42:38 Gelesen: 8250# 7 @  
Hört sich alles wunderschön an. Aber mir stellt sich dann die Frage, was macht ein Mitglied, das keine Möglichkeit hat (ob nun altersbedingt oder fehlender technischer Ausstattung oder mangels des Verständnis die Technik zu beherrschen, der Gründe sind da viele Wege offen) an einer virtuellen Hauptversammlung teilzunehmen?
 
saeckingen Am: 18.02.2021 18:41:55 Gelesen: 8171# 8 @  
@ nagel.d [#7]

Nicht teilnehmen! Wie vielen Mitgliedern ist es aus zeitlichen oder finanziellen Gründen nicht möglich persönlich an einer Hauptversammlung teilzunehmen? Für eine Reise innerhalb Deutschlands mit Übernachtung sind gleich mal ein paar hundert Euro weg. Darüber machte sich auch nie jemand Gedanken!

Durch online Meetings sind viel mehr Mitglieder in der Lage an einer Veranstaltung teilzunehmen, vor allem bei Arbeitsgemeinschaften die Mitglieder nicht nur aus ganz Deutschland sondern aus der ganzen Welt haben! Gestern hatten wir z.B. wieder ein Zoom Meeting einer deutschen Arge mit Teilnehmern nicht nur aus Österreich und der Schweiz, sondern auch aus Schweden, Italien, den USA und sogar Jordanien!

Es hat also auch für viele Mitglieder Vorteile, nicht nur Nachteile!

Grüße
Harald
 
nagel.d Am: 18.02.2021 19:18:08 Gelesen: 8154# 9 @  
@ saeckingen [#8]

Diesen Hintergrund hat man natürlich so nicht beleuchtet.

Vielleicht ist das jetzt die Chance in Zukunft eine Mischung zu starten. Auf der einen Seite Mitglieder die persönlich anwesend sind und Mitglieder die virtuell zugeschaltet sind.
 
filunski Am: 19.02.2021 00:23:12 Gelesen: 8106# 10 @  
@ nagel.d [#9]

"Auf der einen Seite Mitglieder die persönlich anwesend sind und Mitglieder die virtuell zugeschaltet sind"

Hallo Nagel,

ist ja alles schön und recht und in der Theorie ganz super, wie so vieles.

Aber welcher Verein oder ArGe hat denn die logistischen, technischen usw. Mittel und das Personal das zu stemmen? Es wird also dabei bleiben diese Versammlungen erst mal so lange zu verschieben, wie es vom Gesetzgeber erlaubt wird (Verlängerung der Ausnahmegenehmigung). Also bis Corona unter Kontrolle gebracht wird. Bis dahin bleiben eben alle Vorstände weiter in Amt und Würden und wir alle schön zuhause.

Viele Grüße von einem Vorstandsmitglied dass sich dazu schon lange keine grauen Haare mehr wachsen lässt. ;-)

Peter
 
nagel.d Am: 19.02.2021 17:29:40 Gelesen: 8033# 11 @  
@ filunski [#10]

Es war ja ein gutgemeinter Denkanstoß vor allem wenn man anfängt über virtuelle Veranstaltungen zu diskutieren.
 
Jürgen Häsler Am: 20.02.2021 14:14:12 Gelesen: 7935# 12 @  
@ nagel.d [#7]

Aber mir stellt sich dann die Frage, was macht ein Mitglied, das keine Möglichkeit hat (ob nun altersbedingt oder fehlender technischer Ausstattung oder mangels des Verständnis die Technik zu beherrschen, der Gründe sind da viele Wege offen) an einer virtuellen Hauptversammlung teilzunehmen?

Hallo Dirk,

Deine Frage ist mehr als berechtigt. Diese Mitglieder werden von einer Teilnahme an einer reinen VHV faktisch ausgeschlossen. Das ist auch der Grund, warum in der Regel nur die in meinem Beitrag [#5] beschriebenen 2 Varianten (Verschiebung oder Verschiebung mit schriftlicher Stimmabgabe) praktiziert werden. Beim BSC Villingen war die Kombination aus

1. verschobener Präsenzveranstaltung mit reduzierter Besetzung (nur Vorstand und Kassenprüfer verteilten sich im September 2020 im Nebenraum einer Gaststätte, der unter normalen Umständen locker für 20 Personen ausgereicht hätte) und

2. schriftlicher Stimmabgabe im Vorfeld der Veranstaltung ein voller Erfolg. Wir hatten mit ca 70 % die höchste Teilnehmerquote der letzten 75 Jahre, also seit Wiederzulassung des Vereins nach dem 2. Weltkrieg.

Trotzdem ist Haralds Einwand aus [#8] nicht von der Hand zu weisen.

Wie vielen Mitgliedern ist es aus zeitlichen oder finanziellen Gründen nicht möglich persönlich an einer Hauptversammlung teilzunehmen?


Ja richtig, wer nimmt eigentlich Rücksicht auf diese Mitglieder, die gerne zur HV kämen, aber denen Zeit und Geld fehlt, um eine lange Anreise in Kauf zu nehmen ?

Auch mein BSC Villingen hat, obwohl Ortsverein, inzwischen mehrere Mitglieder aus dem Raum Stuttgart und Ulm, für die die Anreise zur HV problematisch ist.
Unsere Münzgruppe trifft sich im Gegensatz zu den Briefmarkensammlern auch während des Corona-Lockdowns monatlich in einer Online-Videokonferenz per Skype oder Zoom.

Diese Mitglieder dürfen zu Recht erwarten, in Zukunft online an der HV teilnehmen zu können, wo sich diese virtuellen Treffen während der Pandemie doch bestens bewährt haben.

Die Satzung wurde von uns bereits entsprechend geändert, um eine Kombination aus Präsenz- und virtueller HV auch nach dem 31.12.2021 möglich zu machen.

Was uns im Jahr 2021 allerdings daran hindert, das auch so umzusetzen:
In unserer Vereinsgaststätte gibt es kein schnelles Internet.

Wie Peter in [#10] schreibt:

Aber welcher Verein oder ArGe hat denn die logistischen, technischen usw. Mittel und das Personal das zu stemmen?

Ja, momentan ist die Technik bei uns in Villingen noch nicht so weit. Aber je länger die Pandemie dauert, umso größer wird allerorten der Druck, dass sich das ändert.

Und die Nutzung von Skype, Zoom, Jitsi, BigBlueButton oder Microsoft Teams wird irgendwann zur Routine.

Bis es soweit ist, bleibt vielen Vereinen und Verbänden nur die Verschiebung der Präsenz-Hauptversammlung. Der LV Südwest und der BDPh machen davon auch Gebrauch.

Jürgen Häsler
 

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